Der IS wird zum willkommenen Argument

Der Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuss kritisiert die Aufstockung der Nato-Präsenz im Irak

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei der Sitzung der Verteidigungsminister der Nato am vergangenen Donnerstag wurde entschieden, die Nato-Mission im Irak massiv aufzustocken. Das Kontingent soll von bisher 500 auf 4000 Soldaten erhöht werden. Waren der Verteidigungsausschuss und die Abgeordneten über die Entscheidung informiert?

Nein. Wir sind erst einen Tag später informiert worden mit einem Schreiben aus dem Bundesministerium für Verteidigung. Am 19. Februar um 16:47 Uhr bekamen wir eine E-Mail mit einem zweiseitigen Schreiben im Anhang. In dem wurde die Aufstockung als Entschluss des Nato-Verteidigungsministertreffens bekannt gegeben.

Alexander S. Neu
Der Abgeordnete der Linkspartei im Deutschen Bundestag ist Obmann im Verteidigungsausschuss. Von 2000 bis 2002 und 2004 arbeitete er für die OSZE im ehemaligen Jugoslawien. Danach war er bis 2013 Referent für Sicherheitspolitik bei der Linke-Fraktion. 

An diesem Mittwoch ist eine Sitzung des Verteidigungsausschusses: Wird wenigstens im Nachhinein darüber gesprochen?

Normalerweise erhalten wir bei Treffen der Nato-Verteidigungsminister und der Außenminister einen Vorabbericht über die Themen der Tagesordnung und danach erst einen Bericht darüber, was entschieden wurde. Demnach müsste das Thema bei der Sitzung am Mittwoch auf der Tagesordnung stehen, tut es aber nicht. Vermutlich wird das Thema dann bei der nächsten Ausschusssitzung auf der Tagessitzung stehen, am 3. März, zwei Wochen später als erforderlich.

Es werden Tatsachen geschaffen, ohne die Abgeordneten zumindest zu informieren?

Überrascht sind wir schon, aber so ist das im parlamentarischen Betrieb. Man wird über etwas in Kenntnis gesetzt und hat als Abgeordneter kaum eine Möglichkeit.

Die Nato-Mission und die vom Bundestag bis Ende Januar 2022 verlängerte Beteiligung der Bundeswehr in der Region sind Teil der US-geführten Anti-IS-Allianz, der Operation Inherent Resolve im Irak, in Syrien und Jordanien. Der Einsatz wird mit der Niederschlagung des »Islamischen Staates im Irak und in der Levante« begründet. Ist der IS nach Ihrer Einschätzung noch eine reale Gefahr?

Ich finde, dass der IS eine reale Gefahr ist. 2017, 2018 gab es die Aussage, der IS sei in der Fläche besiegt. Aber die Ideologie lebt noch weiter. Laut Bundesregierung soll der IS jetzt sogar wieder kleine Gebiete kontrollieren, im Irak und in Syrien. Ich kann das nicht beurteilen, ob das so ist. So oder so ist der IS natürlich ein willkommenes Argument, um die eigene militärische Präsenz in der Region zu begründen. Vor diesem Hintergrund scheint man kein Interesse zu haben, den IS wirklich definitiv zu besiegen, dann könnte man eine wie eben erweiterte Nato-Mission nicht mehr begründen. Die USA könnten ihre völkerrechtswidrige Besetzung beenden, der syrischen Regierung also ihr Territorium zurückgeben, um die restlichen IS-Konstellationen, die islamistischen Verbände zu bekämpfen. Das machen die USA aber nicht, im Gegenteil. In Ostsyrien wird die syrische Armee, wenn sie sich zu weit über den Euphrat hinweg bewegt, von den Amerikanern bombardiert. Auf der einen Seite gibt man vor, man muss dort sein, um die Islamisten zu bekämpfen, auf der anderen Seite unterstützt man geradezu die Islamisten gegen die Assad-Regierung.

Die Region ist ein Pulverfass. Die Aufstockung von Nato-Truppen im Irak ist keine Entspannungspolitik.

Es geht um geostrategische Interessen der USA und Europa auf der einen, von Russland und China auf der anderen Seite. Das beeinflusst die regionalen Akteure, beispielsweise mit Waffenlieferungen, mit politischer oder nachrichtendienstlicher Unterstützung. Wenn man diese Eskalation, die Verdichtung militärischer Präsenz dort reduzieren will, dann bedürfte es zunächst einmal des Abzugs der westlichen Akteure aus der Region. Nicht nur die Beendigung der militärischen Präsenz, sondern auch die Beendigung des Anspruchs, sich dort in der Region einzumischen und die regionalen Kräfte für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Damit könnten weitere Rüstungsexporte und Truppenstationierungen gestoppt und die Lage entschärft werden.

Wo ist also die Stimme der Linkspartei? Im Programm heißt es: »Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden, neue Auslandseinsätze lehnen wir ebenfalls ab, unabhängig davon, unter welcher Organisation sie stattfinden.« Gilt das angesichts der öffentlich ausgetragenen Debatte über die friedenspolitischen Positionen Ihrer Partei noch?

In der Linkspartei gibt es Kräfte, die eine Anpassungspolitik betreiben Richtung SPD und Grüne und dabei außen- und sicherheitspolitische Grundposition schleifen wollen. Das bedeutet die Akzeptanz der Nato, die Akzeptanz einer imperialen Politik. Auch wenn es so nicht ausgesprochen wird, steckt genau das dahinter. Man ist bereit, wesentliche Prinzipien und Alleinstellungsmerkmale der Partei aufzugeben.

Die Linke gibt ihre Friedenspolitik auf?

Es ist ja nicht so, dass in den letzten 20 Jahren die Weltpolitik sicherer geworden wäre. Spätestens seit 2000 hat sich herausgestellt, dass Russland wieder der neue Feind ist. Rüstungsexporte und Rüstungsausgaben steigen von Jahr zu Jahr. Und einige »Experten« haben jetzt nichts Besseres zu tun, als unsere Position Richtung Grüne und SPD in die Mitte zu verschieben, anstatt diese Entwicklung zu kritisieren. Das lehne ich nachdrücklich ab, und ich denke, das trifft - bis auf wenige Ausnahmen - für die ganze Partei zu. In Nordrhein-Westfalen, wo ich herkomme, gibt es dafür keine Zustimmung.

Nehmen wir diese erweiterte Nato-Mission im Irak. Noch lehnt Die Linke das ab, aber wie wird es in Zukunft sein?

Janine Wissler hat jetzt gegenüber dem »Spiegel« kundgetan, dass sie sich strikt gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht. Im Entwurf des neuen Parteiprogramms heißt es allerdings nur, dass man »Auslandseinsätze beenden« möchte. Der zweite Satz, auch keine neuen Auslandseinsätze zu beginnen, wurde gar nicht erwähnt. Dieser Entwurf wurde von Katja Kipping und Bernd Rixinger nach meinen Informationen ohne Absprache im Parteivorstand in die Welt gesetzt. Dieser Entwurf ist durchsetzt von Mehrdeutigkeiten, Begriffe können sowohl in die eine als auch in die andere Richtung weisen. Da ist enormer Bedarf an Verbesserungen. Würde aus diesem Entwurf das neue Parteiprogramm werden, wäre die Linke in der Friedenspolitik weitgehend offen. Das wäre das Ende der Linken.

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