Dreyer muss um die Führung bangen

Seit Jahrzehnten regiert die SPD in Rheinland-Pfalz. Nun droht ihr bei der anstehenden Landtagswahl das schlechteste Ergebnis überhaupt.

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei der Landtagswahl am 14. März in Rheinland-Pfalz geht es vor allem für die tonangebende SPD um alles oder nichts. Seit 30 Jahren ist die Sozialdemokratie im 4,1 Millionen Einwohner zählenden Südwestland auf Landesebene unangefochten die Nummer eins. Sie gewann hier sechs Landtagswahlen in Folge. Während die regionalen Führungsfiguren der SPD im Lande glänzten, blieben sie auf der Bundesebene glücklos.

Das von den Siegermächten gebildete Rheinland-Pfalz ist ländlich, kleinstädtisch und katholisch geprägt. Es galt über Generationen als uneinnehmbare Hochburg der CDU. Hier legte der spätere CDU-Kanzler Helmut Kohl in den 1960er Jahren einen steilen Aufstieg vom Industrielobbyisten zum Ministerpräsidenten hin. Als er 1976 nach Bonn ging, prägte sein Nachfolger Bernhard Vogel noch bis Ende der 1980er Jahre das Land. Doch dann setzten heftige interne Streitigkeiten in der siegesverwöhnten CDU der Vorherrschaft ein Ende. Vogel brach seine Zelte im Südwesten ab und übersiedelte Anfang der 1990er Jahre nach Thüringen, wo er alsbald erneut Ministerpräsident wurde.

Bei der Landtagswahl im Frühjahr 1991 schaffte die SPD in Rheinland-Pfalz den Durchbruch. Sie wurde mit 44,8 Prozent stärkste Partei, die CDU folgte mit 38,7 Prozent weit abgeschlagen auf Platz zwei. Als Koalitionspartner wählte SPD-Spitzenmann Rudolf Scharping demonstrativ nicht die Grünen, sondern die vom heutigen Pflegelobbyisten Rainer Brüderle angeführte FDP. Erst als die SPD 2006 mit 45,6 Prozent die absolute Mehrheit errang, fand die innige Kooperation mit den Liberalen ein Ende.

Doch Scharping blieb der Landespolitik nicht lange erhalten. Er gewann als Favorit des rechten SPD-Flügels 1993 die Urwahl für den SPD-Bundesvorsitz und wechselte 1994 als Oppositionsführer in den Bundestag. Schon 1995 wurde er als SPD-Chef im Duell mit Oskar Lafontaine wieder abgewählt. 1998 wurde er Bundesverteidigungsminister im ersten Kabinett von Gerhard Schröder, verlor das Amt aber im Sommer 2002 wieder.

Als Nachfolger in der Mainzer Staatskanzlei hatte Scharping den damaligen SPD-Fraktionschef Kurt Beck aufgebaut, der die Amtsgeschäfte im Herbst 1994 übernahm und fast zwei Jahrzehnte führte. Er gab den fürsorglichen Landesvater und schlug bei jeder Landtagswahl die Rivalen von der CDU. Zu den schillerndsten Figuren in Becks Kabinetten gehörte Sozialminister Florian Gerster, Mitglied im rechtssozialdemokratischen Seeheimer Kreis. Er übernahm 2002 die Führung der Bundesanstalt für Arbeit, vollzog ihren Umbau zur »Agentur«, musste aber 2004 wegen dubioser Verträge mit Beratungs- und PR-Firmen seinen Hut nehmen. Seither engagierte er sich als Lobbyist für diverse Konzerne und wurde 2020 von der FDP als Neumitglied freudig begrüßt.

Nach dem Wahlsieg von 2006 versuchte sich auch Beck als SPD-Bundesvorsitzender, ohne jedoch das Mainzer Regierungsamt aufzugeben. Er war dabei so glücklos wie Scharping in den 1990er Jahren und die ebenfalls aus Rheinland-Pfalz stammende Andrea Nahles, Parteichefin 2018 bis 2019. Becks Amtszeit wurde zunehmend überschattet durch Affären um den letztlich gescheiterten Versuch, auf dem Gelände der Rennstrecke Nürburgring in der Eifel eine privat finanzierte Freizeit- und Tourismusanlage zu errichten. Für das Land war der Nürburgring ein Fass ohne Boden. Auch ein anderes Flaggschiff der Ära Beck verlor an Strahlkraft: Mit dem Regionalflughafen Hahn im Hunsrück auf einem ehemaligen US-Militärgelände wollte sich Beck ein Denkmal setzen und ein Beispiel für gelungene Konversion schaffen. Bis 2007 stiegen die Passagierzahlen auf fast vier Millionen jährlich. Dann aber setzte der Niedergang ein.

Und so war der Absturz der SPD bei der Landtagswahl 2011 auf 35,7 Prozent der Anfang vom Ende der Ära Beck. Die CDU lag mit 35,2 Prozent fast gleichauf. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima sprangen die Grünen auf 15,4 Prozent hoch und wurden als Koalitionspartner der Sozialdemokraten unentbehrlich. Der Wunschpartner FDP war nicht mehr im Landtag vertreten.

Beck baute gezielt seine langjährige Sozialministerin Malu Dreyer als Nachfolgerin in der Staatskanzlei und im Vorsitz der Landespartei auf und zog sich 2013 aus der Landespolitik zurück. Dreyer wuchs rasch in die Rolle der populären Landesmutter hinein und warb auf Wahlplakaten 2016 ganz ohne das Kürzel »SPD«. Hoffnungen der damaligen CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner, Dreyer aus der Staatskanzlei zu verdrängen, endeten mit einem Absturz. Mit 31,8 Prozent verbuchte die CDU 2016 die größte Schlappe aller Landtagswahlen seit der Nachkriegszeit. Gleichzeitig kam die AfD mit 12,6 Prozent erstmals ins Mainzer Parlament.

Klöckner gab nach zwei gescheiterten Anläufen alle landespolitischen Ambitionen auf und fand Zuflucht als Agrarministerin im Kabinett Merkel. Dreyer hingegen lehnte eingedenk der Schicksale ihrer Vorgänger Scharping und Beck das Angebot ab, für den SPD-Bundesvorsitz zu kandidieren. Sie übernahm ihn in der Führungskrise ihrer Partei 2019 als Teil eines Trios nur kommissarisch.

Mit dem im Vergleich zu früheren Zeiten schwachen Ergebnis von 36,2 Prozent war die SPD 2016 auf gleich zwei Koalitionspartner angewiesen: FDP und Grüne. Und ihr Kabinett ist nicht sonderlich stabil. Der stellvertretende Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, Volker Wissing, übernahm im vergangenen Jahr noch einen Zweitjob in Berlin: Er ließ sich zum FDP-Generalsekretär wählen - und strebt im September ein Bundestagsmandat an. Die seit 2011 amtierende Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) musste derweil im Dezember 2020 ihren Rücktritt einreichen. Der Grund: fragwürdige Beförderungsverfahren für Beamte in ihrem Ministerium ohne die üblichen Stellenausschreibungen und Beurteilungen. Bis zur Wahl leitet nun Integrations- und Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) das Umweltressort mit.

Auf der Zielgeraden deutet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU an. Beide liegen aktuell zwischen 33 und 35 Prozent. CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf war schon 2006 erstmals Landesvorsitzender geworden, hatte jedoch zwischenzeitlich Julia Klöckner den Vortritt gelassen.

Der 14. März dürfte nicht nur für Dreyer und Baldauf zu einem entscheidenden Tag in ihrer politischen Karriere werden. Auch der neue CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet braucht Siege seiner Partei bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz - und bei der zeitgleich stattfindenden in Baden-Württemberg. Für ihn geht es um das Fundament für seine Kanzlerkandidatur.

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