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»Weil ich sie verehre«
Wie Thomas Jastram dazu kam, Rosa Luxemburg in Bronze zu gießen
Wie kamen Sie dazu, eine Statue von Rosa Luxemburg zu gestalten?
André Brie, PDS- und Linke-Politiker, bat mich. Er hat eine besondere Beziehung zu meinen Arbeiten und scheint davon überzeugt gewesen zu sein, dass ich der geeignete Künstler sei, zu Rosas 150. Geburtstag eine Skulptur zu fertigen.
Der Bildhauer, 1959 in Rostock geboren, studierte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, wo er 1985 sein Diplom bei Helmut Heinze machte. Danach arbeitete er als freischaffender Künstler in Rostock. 1992/93 war er Meisterschüler an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Von 1998 bis 2000 lehrte er an der Hamburger Technischen Kunstschule, anschließend leitete er die Rostocker Technische Kunstschule. Mit dem seit 2011 in Hamburg lebenden Künstler sprach Karlen Vesper.
Ein Auftragswerk also?
Es war ein Auftrag, den ich mir zu eigen gemacht habe. Die Zusage fiel mir leicht, weil ich Rosa Luxemburg ebenso wie André Brie und viele andere Menschen verehre. Sie ist eine beeindruckende Person der Zeitgeschichte, eine mutige, emanzipierte, streitbare Frau, die für ihre Überzeugungen lebte und kämpfte - und 1919 feige ermordet worden ist.
Die Intentionen des Auftraggebers und des Künstlers waren in diesem Fall deckungsgleich?
Naja, deckungsgleich vielleicht nicht. André schwebte eine Sitzende und eine Assoziation zu Rosas Gefängnisbriefen vor, die sie während des Ersten Weltkrieges aus dem Zuchthaus Breslau an Freunde und Mitstreiterinnen, darunter Sonja Liebknecht und Clara Zetkin, schrieb. Und in denen sie auch ihre Beobachtungen aus dem Zellenfenster oder beim Hofgang und ihr inniges Verhältnis zur Natur, Flora und Fauna sowie zu ihren gefiederten »Besuchern« notierte. Ich habe eine aufrecht stehende Rosa porträtiert - mit einer Taube in der rechten Hand.
Die Friedenstaube als Synonym für die Antimilitaristin?
Ja und nein. Man denkt immer an die berühmte Friedenstaube, die Pablo Picasso für den Weltfriedenskongress 1949 in Paris geschaffen hat. Die Taube taucht aber bereits in der biblischen Sintflut-Erzählung auf. Eine von Noah ausgesandte Taube kehrt mit einem frischen Olivenzweig im Schnabel zur Arche zurück und verkündet damit die frohe Botschaft, dass Land, also endlich ein normales, friedliches Leben für die gebeutelten Menschen und alles Getier, in Sicht ist. Die Taube ist ein überregionales und übernationales Symbol. Auch Mohammed wurde, als er im Jahr 622 mit einer kleinen Schar von Getreuen von Mekka nach Medina fliehen musste, vertrieben von ihm nicht wohlgesonnenen Kaufleuten, von Tauben begleitet worden.
Die Taube ist ein starkes Symbol - für den Heiligen Geist im weiteren Sinne, für Frieden und Internationalität. Das finde ich sehr schön. Und das empfand ich auch treffend als ein Attribut für Rosa Luxemburg.
Haben Sie ein detailgetreues Abbild von Rosa Luxemburg schaffen wollen?
Soweit das möglich ist. Ich habe sie nicht in ihrer vollen Körpergröße dargestellt. Die Skulptur misst 1,45 Meter. Aber ich habe ihre Gesichtszüge und ihre Frisur, die der damaligen Mode entsprach, nachzuzeichnen versucht. Zugleich wollte ich ihre Stärke und Kraft wie auch ihre Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit zeigen. Besonderes wichtig war mir, den beeindruckenden Charakterkopf herauszuarbeiten. Ich glaube, wenn man ihr heute auf der Straße begegnen würde, man würde sie sofort erkennen.
Haben Sie sich schon zuvor an historische Persönlichkeiten gewagt?
Ja, ich habe beispielsweise Otto Wels porträtiert, der am 23. März 1933 im Reichstag für die Sozialdemokraten Hitlers »Ermächtigungsgesetz« mit den Worten abgelehnt hatte: »Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.« Ich habe ein Denkmal für Fritz Reuter in Rostock-Reutershagen sowie eine Büste des von mir verehrten Meisters der Leipziger Schule Bernhard Heisig geschaffen.
All diese und viele weitere Arbeiten von Ihnen sind im öffentlichen Raum zu bewundern, Ihre Rosa aber nicht. Sie wird am heutigen Freitag anlässlich des 150. Geburtstages im mecklenburgischen Wooster Teerofen, wo André Brie wohnt, eingeweiht - in Anwesenheit von Gregor Gysi.
Coronabedingt in kleiner Runde. Rosa steht dort in einem halböffentlichen Raum, auf einer Wiese. Natürlich würde ich mich darüber freuen, wenn sich für die Skulptur ein prominenterer Platz fände.
Anfragen aus einer Kommune, Stadt oder vom Staat gab’s nicht?
Leider nein. Umso mehr ist zu schätzen, dass André Brie Flagge zeigt.
Was kann uns Rosa Luxemburg heute noch sagen?
Eine Menge. Ihr Antimilitarismus, ihr transnationales Denken, ihre Idee von einem friedfertigen Europa, ihr Kampf um soziale Gerechtigkeit - das alles sind Themen, die uns nach wie vor umtreiben. Und nicht zuletzt ist das kulturvolle Leben, das sie lebte, gerade heute nachahmenswert.
Im Gedenken an die NS-Opfer des Zuchthauses Torgau haben Sie für die dortige Gedenkstätte eine Pietà gestaltet. War Ihr Vorbild die Pietà von Michelangelo Buonarroti im Petersdom in Rom oder die von Käthe Kollwitz in der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin?
Weder noch das eine noch das andere. Ich schätze beide, aber bei meiner Pietà gibt es nicht eine gramgebeugte Mutter, die ihren toten Sohn im Schoß hält. Ich wählte den Kontrast: eine aufrecht stehende Frau, die natürlich auch in Trauer und Schmerz auf den ihr zu Füßen liegenden Sohn blickt. Meine Pietà ist allen Verfolgten und Ermordeten des Naziregimes gewidmet und sollte zugleich hinaus, über die Zeit der faschistischen Barbarei weisen: Die Überlebenden werden das Vermächtnis der Toten wachhalten. Für die weibliche Figur stand meine Tochter Modell.
Sie stammen aus einer Maler- und Bildhauerdynastie. Fluch oder Segen?
Beides. Manchmal nervt es, wenn man darauf angesprochen wird. Aber natürlich war es schön, in einem künstlerischen, kulturvollen Umfeld aufzuwachsen. Das hat mich geprägt. Ich habe im Atelier meines Onkels Jo Jastram viel gelernt, war dadurch gut gerüstet für das Studium bei meinem wunderbaren Professor Helmut Heinze. Seine Söhne haben ebenfalls eine künstlerische Laufbahn beschritten. Wenn ich in die Fußstapfen meines Vaters getreten wäre, wäre ich Architekt geworden. Dann hätte ich meine Rosa nicht gemacht. Das wäre doch schade, oder etwa nicht?
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