Anklage gegen Seenotretter

Aktive mehrerer Organisationen fürchten Haftstrafen von bis zu 20 Jahren

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Anwältin der Organisation Jugend rettet, Francesca Cancellaro, stellt klar: »Menschenleben zu retten ist niemals ein Verbrechen«. Die Staatsanwaltschaft der westsizilianischen Hafenstadt Trapani könnte jedoch zu einer anderen Auffassung gelangen. Drei Jahre ermittelte sie gegen die Crew des Seenotrettungsschiffes »Iuventa«, nun erhebt sie Anklage gegen 21 Personen. Inzwischen beschränken sich die Ermittlungen nicht mehr auf die Berliner Hilfsorganisation Jugend rettet. Auch Vertreter*innen von Save the Children und Ärzte ohne Grenzen werden vor Gericht erscheinen müssen. Beide Organisationen waren mit Rettungsschiffen im Einsatz, der »Vos Hestia« und der »Vos Prudence«. Die Anklage gegen Jugend rettet lautet auf Beihilfe zur illegalen Einreise. Im Falle der anderen Organisationen stehen noch weitreichendere Vorwürfe im Raum. Den Beschuldigten soll der Prozess gemacht werden, im Falle einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 20 Jahre Haft.

Die Anklage bezieht sich auf mehrere Rettungseinsätze zwischen 2016 und 2017. Insgesamt 14 000 Menschenleben hat die Crew des deutschen Schiffes »Iuventa« in dieser Zeit gerettet, bei mehreren Einsätzen assistierten Schiffe von Ärzte ohne Grenzen und Save the Children dabei, die Geflüchteten sicher ans italienische Festland zu bringen. Dass Seenotrettungsorganisationen kooperieren, ist eigentlich ein normaler Vorgang. In der Anklageschrift, die »nd« vorliegt, will die Staatsanwaltschaft aber belegen, dass die Organisationen zusammenarbeiteten, um die illegale Einreise von Personen auf italienisches Staatsgebiet zu ermöglichen. Die italienischen Behörden ermittelten deshalb jahrelang gegen die Helfer, verwanzten unter anderem die Kommandobrücke der »Iuventa«. Jugend rettet bezeichnete die Anklage als »politische Kampfansage«. Derartige Versuche, Helfer mit juristischen Mitteln zu blockieren, kosteten vor allem noch mehr Menschen das Leben.

Unterdessen wurde am selben Tag, an dem die Staatsanwaltschaft in Trapani ihre Entscheidung verkündete, auch in Catania im Westen Siziliens Anklage gegen Seenotretter erhoben. Der Vorwurf: Mehrere Personen, darunter Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, sollen in der Hafenstadt potenziell gefährliche Abfälle von ihren Schiffen illegal entsorgt haben. Ärzte ohne Grenzen bestreitet die Vorwürfe und erklärte, die Klage sei Teil einer Kampagne gegen Seenotretter.

In einem dritten Fall in dieser Woche warfen sizilianische Staatsanwälte der Nichtregierungsorganisation Mediterranea vor, illegale Zahlungen von der Reederei Maersk erhalten zu haben. Als Gegenleistung soll Mediterranea eine Gruppe von Migranten übernommen haben, die ein Schiff von Maersk gerettet hatte. Sowohl die NGO als auch die Reederei bestreiten die Vorwürfe.

Iuventa: Die Falschen stehen vor Gericht. Sebastian Bähr über Versuche, die Seenotrettung zu kriminalisieren

Dariusz Beigui, Kapitän der Iuventa, bezeichnet das Vorgehen der italienischen Behörden als »Rundumschlag gegen die Seenotrettung«. »Solange Regierungen ihre eigenen Gesetze, internationale Konventionen und das Seerecht missachten, kommen mir solche Anschuldigungen wie ein Witz vor«, sagt er. Beigui verweist damit unter anderem auf das Agieren der EU-Grenzagentur Frontex. Deren Chef Fabrice Leggeri musste sich am Donnerstag erstmals den Fragen einer Untersuchungskommission des Europaparlaments stellen. Diese will Vorwürfen gegen Frontex aufklären, die Agentur würde illegale Rückführungen von Flüchtlingen in der Meerenge Ägäis nicht nur dulden, sondern auch vertuschen.

Unterdessen berichtete die Organisation Sea-Watch am Donnerstag, ihr Schiff »Sea-Watch 4«, das im vergangenen Jahr bei seinem ersten Rettungseinsatz von italienischen Behörden festgesetzt wurde, sei frei. Knapp sechs Monate später habe das Verwaltungsgericht in Palermo die Festsetzung vorläufig aufgehoben, so dass man nun erneut zu Rettungseinsätzen aufbrechen könne. Die Behörden hatten der Crew unter anderem vorgeworfen, nicht ausreichend Rettungswesten an Bord zu haben, was die Organisation zurückweist.

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