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Linke haben die Demokraten in Nevada übernommen
Mitglieder des »Left Caucus« und DSA-Aktivisten kontrollieren nun die Parteispitze der Demokraten im Wüstenstaat
»Bernie Sanders hat gerade Nevada gewonnen – noch einmal«. Mit diesem Twitter-Witz kommentierte Jack Califano, ehemaliger Mitarbeiter der Sanders-Kampagne das politische Erdbeben, das sich gerade rund um die Casino-Stadt Las Vegas abspielt. Dort hat in den letzten Monaten ein Bündnis aus progressiven Demokraten, Bernie-Sanders-Anhängern und Mitgliedern der Democratic Socialists of America den Parteiapparat der Demokraten übernommen – es ist das Ergebnis von jahrelanger linker Basisarbeit. »Ich weiß, dass viele Menschen denken, die Demokratische Partei zu übernehmen sei uncool oder eine politische Sackgasse, aber allein wie beleidigt das Establishment reagiert zeigt, dass es sicht lohnt«, witzelt Califano.
Als vorläufiger Abschluss des Prozesses kündigten am Dienstag alle mit dem Parteiestablishment in Nevada verbundenen hauptamtlichen Mitarbeiter und Berater der Parteiführung ihre Jobs – angeblich um einem Rausschmiss zuvorzukommen. Denn: Am Wochenende hatte die Bernie-Sanders-Unterstützerin Judith Whitmer die Wahl für den Parteivorsitz gewonnen. »Wir sind immer besser im Organizing geworden und waren ihnen immer einen Schritt voraus«, so Whitmer über das Parteiestablishment im Staat um Harry Reid, den ehemaligen Mehrheitsführer im US-Senat unter Obama. Zusammen mit Whitmer waren fünf weitere linke Demokraten zur Wahl der neuen Parteispitze für Ämter wie das des Schatzmeisters angetreten – alle fünf setzten sich auf einer Delegiertenkonferenz am Samstag durch.
Vier von ihnen sind Mitglied der Democratic Socialists of America – die Aktivistenorganisation, die keine Partei ist aber auch an Wahlen teilnimmt, hat landesweit mittlerweile rund 92.000 Mitglieder. Die Ortsgruppe in Las Vegas ist laut eigenen Angaben die »schnellstwachsende« DSA-Gruppe im Land, schon im Zuge der Vorwahlkampagne von Bernie Sanders 2020 hatte sie viel Zulauf erhalten – und sie hatte einen entscheidenden Anteil daran, dass Sanders den Staat in der Vorwahl gewann.
Der steigende Einfluss der Parteilinken hatte sich schon im Sommer 2020 angekündigt, als 9 der 14 staatsweiten Sitze des Executive Board, der das Tagesgeschäft der Partei besorgt, an Kandidaten des »Left Caucus« gingen. In der von Whitmer gegründeten »Linksfraktion« hatten sich nach dem Ende der Sanders-Kampagne verschiedene Parteilinke gesammelt und weiter Politik gemacht.
Im Umfeld von Sanders Kampagne 2016 waren die Parteilinken im Staat noch gegen die politische Maschine des Parteistablishments rund um die graue Eminenz Harry Reid unterlegen. Die Parteistrukturen unterstützten Hillary Clinton. Ein medial verbreitetes Gerücht über fliegende Stühle durch Sanders-Unterstützer auf einem Landesparteitag 2016 stellte sich später als Falschmeldung heraus. Doch diese passte in die vom Clinton-Anhängern betriebene Kampagne gegen vermeintlich sexistische »Bernie Bros«.
Doch Jahre später hat sich der Sanders-Flügel nun durchgesetzt und will das Budget der Nevada-Demokraten von rund 13 Millionen Dollar vor allem für transparentere Politik, »ganzjährigen« und vertieften Graswurzel-Aktivismus und nicht für teure Berater ausgeben. Die Establishment-Mitarbeiter, die die Partei nun verlassen, hatten in Erwartung der Ereignisse vom Wochenende vorgesorgt und Parteigelder in Höhe von rund 450.000 Dollar auf Konten des von der Parteiführung in Washington DC kontrollierten Democratic Senatorial Campaign Committee transferiert. Das Geld soll offenbar zur Wiederwahl von Nevadas Demokraten-Senatorin Catherine Cortez Masto verwendet werden, wie das linke Onlineportal The Intercept berichtet.
Doch Parteilinke wie Jack Califano sind darüber nicht besonders besorgt. Die »alte Garde« habe sich zwar mit dem Geld »aus dem Staub gemacht«, aber wenn Bernie Sanders eine Mail mit einer Spendenaufforderung schreiben würde, könnte man diese Summe durch Graswurzel-Spenden im Zuge eines Tages sammeln, so der ehemalige Sanders-Kampagnen-Mitarbeiter auf Twitter. Sanders selbst gratulierte Whitmer in einer kurzen Grußnote.
Der Landesverband der Demokraten in Nevada gilt als einer der politisch aktivsten im Land, war von Obamas Strippenzieher Harry Reid systematisch aufgebaut worden. Nach jahrelanger politischer Kontrolle der Republikaner haben die Demokraten mittlerweile das Amt des Gouverneurs, die Mehrheit in beiden Parlamentskammern im Staat und beide Sitze im US-Senat übernommen. Nun wird sie vermutlich unter Führung des »Left Caucus« noch jünger und aktivistischer werden.
Auch wenn die meisten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten in den vergangenen zwanzig Jahren Nevada gewonnen haben, es war immer knapp: Der Staat ist ein Swing State. Vor kurzem hatten Establishment-Politiker in Nevada vor einem »Blutbad« bei den Zwischenwahlen 2022 - also vor enormen Sitzverlusten gewarnt - offenbar um die Erwartungen zu reduzieren. Die neue Parteichefin Whitmer dagegen will »keinen einzigen Sitz« schon vorher aufgeben und mit den rund 1000 Organizern des »Left Caucus« um jedes Mandat kämpfen.
Die Linksfraktion in Nevada sieht das eigene Vorgehen explizit als Modell für andere Bundesstaaten in den USA. »Linke sollten genau gucken, was hier passiert und daran glauben, das sie das auch schaffen können, mit Beharrlichkeit und Solidarität könnt ihr das Gleiche schaffen«, so der »Left Caucus« auf Twitter. Man sei bereit, die Erfahrungen weiter zu geben, damit es bald überall im Land einen »Left Caucus« bei den Demokraten gäbe. In den letzten zwei Jahren haben progressive Demokraten in mehreren Staaten an Einfluss gewonnen, in New York oder Kalifornien etwa. Doch die Parteispitze und -infrastruktur kontrollieren Parteilinke dort nicht.
In Nevada wollen die Establishment-Berater und Apparatschiks aus dem Umfeld von Reid, die ihre Jobs gekündigt haben, trotzdem weitermachen. Laut Informationen des Las Vegas Review Journal wollen sie in Zukunft aber außerhalb und »um die Partei herum arbeiten«. Offenbar soll nun zumindest teilweise eine Art Parallelstruktur zur offiziellen Partei errichtet werden, getragen von Beratern und Ex-Mitarbeitern, Lobbyisten und wirtschaftsnahen Mandatsträgern.
Weitermachen und die »politische Revolution« von Sanders weitertragen will auch Jack Califano. Auf seinem Twitter-Profil ist ein Ausschnitt einer Rede von Bernie Sanders angeheftet: »Nicht Bernie oder irgendjemand kann es alleine schaffen. Wir müssen es zusammen tun, mit Millionen Menschen«.
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