- Wirtschaft und Umwelt
- Datenreport zur sozialen Lage
Wer einmal arm ist, bleibt dies immer öfter dauerhaft
Laut einer aktuellen Studie verfestigt sich die soziale Ungleichheit in Deutschland weiter
Wer in Deutschland einmal unter die Armutsgrenze rutscht, bleibt immer öfter länger arm. Von allen armen Menschen sind 44 Prozent dauerhaft von Armut bedroht. Von den Menschen, die im Jahr 2018 unter die Armutsrisikoschwelle gerutscht sind, waren 88 Prozent bereits in den vier Jahren zuvor einmal von Armut bedroht. Insgesamt lebte 2018 fast jeder Sechste unterhalb der Armutsrisikoschwelle, die in dem Jahr für einen Alleinlebenden bei 1040 Euro netto im Monat lag. Rund die Hälfte von ihnen war schon vier Jahre lang durchgehend in dieser Lage. Damit hat sich der Anteil der Menschen, die dauerhaft von Armut bedrohten sind in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt: 1998 betrug er noch 20 Prozent. Ein besonders hohes Risiko haben Alleinerziehende, Menschen mit Hauptschulabschluss und ohne Berufsabschluss sowie Menschen mit Migrationshintergrund.
Das geht aus einem am Mittwoch veröffentlichen Datenreport zur sozialen Lage hervor. Dieser wird vom Statistischen Bundesamt, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Zusammenarbeit mit dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) herausgegeben.
Laut der Veröffentlichung droht die Corona-Pandemie die finanzielle Situation der sowieso benachteiligten Gruppen noch weiter zu verschärfen. Zwischen Ende März und Anfang Juli 2020 berichteten demnach 17 Prozent der an- und ungelernten Arbeitnehmer und knapp 14 Prozent der einfachen Angestellten von finanziellen Schwierigkeiten. Von Menschen mit Niedrigeinkommen berichtete jeder Fünfte von Finanzproblemen. Bei Facharbeitern, Menschen mit Meistertitel und in qualifizierten Angestelltenberufen fielen die Anteile mit rund neun Prozent deutlich niedriger aus.
»In Deutschland verschärft sich die Ungleichheit zwischen arm und reich. Die Coronahilfen gleichen diese Entwicklung nicht aus - sie verstärken die Ungleichheit sogar noch«, kommentierte Janine Wissler, Co-Vorsitzende der Partei Die Linke. Sie kritisierte, dass insbesondere Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie betroffen sind. »Notwendig ist ein Aktionsplan für soziale Gerechtigkeit und gegen Armut, den die Bundesregierung auflegen müsste«, so Wissler. Sie forderte unter anderem eine Neuausrichtung bei den Corona-Hilfen, die Anhebung des Kurzarbeitergeldes und die sofortige Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes.
Der Datenreport verdeutlicht auch, dass mit geringen Einkommen nicht nur finanzielle Einschränkungen verbunden sind, sondern auch unterschiedliche Bildungschancen, was sich mit dem Homeschooling in der Coronakrise noch zugespitzt hat. Familien mit hohem Einkommen besitzen demnach im Schnitt vier PCs, während Familien mit niedrigen Einkommen oft nicht für jedes Kind einen Computer haben.
Das hohe Maß an sozialer Ungleichheit spiegelt sich außerdem in den Einstellungen und Wahrnehmungen der Menschen wieder. So findet laut dem Bericht nur knapp die Hälfte der Bevölkerung das eigene Einkommen gerecht. Viele würden sich dafür aussprechen, dass der Staat sich für den Abbau von Einkommensunterschieden engagieren soll. Vor allem bei Menschen in Westdeutschland hat sich diese Einstellung verändert, fast drei Viertel von ihnen fordern dies aktuell, 2002 waren es weniger als die Hälfte. »Berufe und Arbeitstätigkeiten im unteren Einkommensbereich werden sehr viel häufiger als psychisch belastend und unbefriedigend empfunden und wirken sich nachteilig auf die Gesundheit und Lebenserwartung der Menschen aus«, kommentierte Philip Wotschack vom WZB den Report. Kommentar Seite 8
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