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Sachsen erforscht Diskriminierung
Eine Studie will untersuchen, wo und wie Rassismus und Ausgrenzung erfahren werden
Diskriminierung hat viele Facetten. Sie reicht von abschätzigen Blicken und ätzenden Bemerkungen, weil ein Mensch im Rollstuhl sitzt oder als zu dick angesehen wird, bis zu Pöbeleien oder Prügel wegen der Hautfarbe. Sie kann sich darin zeigen, dass jemandem wegen eines ungewöhnlichen Namens eine Wohnung nicht vermietet wird, oder darin, dass ein Schüler aus weniger wohlhabenden Verhältnissen schlechter benotet wird. Diskriminierung, sagt Naika Foroutan, »kann tendenziell jeden Menschen treffen.«
Welche Menschen sie in Sachsen trifft, in welchen Situationen das der Fall ist und wie sie damit umgehen – das will das von Foroutan geleitete Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschungen (DeZIM) bei einer breit angelegten Befragung herausfinden, die jetzt im Freistaat begonnen hat und vom Ministerium für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung in Auftrag gegeben wurde. Sie läuft bis Ende Mai; Ergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Erste Untersuchung auf Landesebene
Sachsen gehört zu den ersten Bundesländern, die derlei länderspezifische Daten erheben, sagt DeZIM-Wissenschaftler Steffen Beigang. Er hofft auf breite Beteiligung: »Jede Person kann und soll teilnehmen.« Man wolle, fügt seine Kollegin Lara Kronenbitter an, »auch Perspektiven und Lebenswirklichkeiten von Menschen, die häufig nicht gehört werden, sichtbar machen.«
Diskriminierung verstößt »gegen geltendes Recht«, betont Foroutan und verweist auf Artikel 3 des Grundgesetzes sowie das »Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz« (AGG), das 2006 in Kraft trat. Der juristische Schutz hat gute Gründe, sagt Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne). Wenn einzelne Menschen Ausgrenzung, Abwertung, verbale und physische Gewalt erführen, »schwächt das den gesellschaftlichen Zusammenhalt«. Die Politik im Freistaat wolle stärker auf unterschiedliche Formen der Diskriminierung im Alltag aufmerksam machen und diesen entgegen treten, sagt sie und betont, es gehe dabei »nicht nur um Rücksichtnahme auf vermeintliche Minderheiten«.
Bisher gibt es nur lückenhafte Erkenntnisse zu Diskriminierung. Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen, das Beratung für Betroffene anbietet, verzeichnete binnen drei Jahren 860 Fälle. In 46 Prozent ging es dabei um Rassismus oder Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, bei 29 Prozent war Behinderung der Auslöser. Meier vermutet, dass es ein großes Dunkelfeld gibt; es handle sich schließlich nur um jene Fälle, bei denen Betroffene Hilfe suchen.
Das wiederum sei in verschiedenen Bereichen unterschiedlich stark der Fall, sagt Foroutan – ein Grund, warum bisherige Daten vermutlich recht unausgewogen sind. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, seien ebenso wie Behinderte »stark organisierte Gruppen«, die wüssten, dass Vorfälle gemeldet werden müssten, um politische Reaktionen hervorzurufen. In anderen Bereichen würden Vorfälle kaum gemeldet. Sexistische Diskriminierung sei in der Gesellschaft beispielsweise »extrem normalisiert«, sagt Beigang: »Da wird kaum jemand zu einer Beratungsstelle gehen.« Gleiches gelte für Benachteiligung aufgrund des Alters, merkt Foroutan an. Diese sei etwa in Arbeit und Beruf verbreitet und gewinne in einer alternden Gesellschaft an Brisanz: »Da steckt großer Sprengstoff drin.« Im Blickfeld der Öffentlichkeit steht sie bislang aber eher selten. Von der Erhebung in Sachsen, fügt Foroutan an, »erhoffen wir uns entsprechende Zahlen«.
Die Beispiele zeigen, dass die Forscher um Foroutan einen sehr breiten Ansatz wählen. So richten sie Aufmerksamkeit auch auf die möglichen Benachteiligungen wegen des sozioökonomischen Status eines Menschen, etwa der Einkommensverhältnisse, oder des äußeren Erscheinungsbildes – Kriterien, die bisher »in der Gesellschaft kaum verankert« seien und auch in entsprechenden Gesetzen nicht erwähnt würden, sagt Foroutan. Sie möchte das gern ändern. Im Ergebnis einer bundesweiten Studie, die das ebenfalls von ihr geleitete Berliner Institut für empirische Migrationsforschung im Jahr 2017 durchführte, wurde etwa empfohlen, den sozioökonomischen Status als Kriterium in das AGG aufzunehmen. Bisher sind in dem zuletzt 2013 novellierten Gesetz nur »Rasse« und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität genannt.
Gespräche sollen Erkenntnisse vertiefen
Die Studie in Sachsen wird mittels Fragebögen durchgeführt, die im Internet, aber auf Anfrage auch auf Papier zur Verfügung stünden, sagt Kronenbitter. Sie wird in Deutsch und mehreren Fremdsprachen angeboten. Geworben wird für eine Beteiligung unter anderem mit Flyern, die auch auf Sorbisch verfügbar sind. Die Forscher, sagt Beigang, rechneten mit etwa 1000 Teilnehmern »und hoffen auf mehr«. Neben der Befragung der Bevölkerung werde es vertiefte Gespräche mit Betroffenen geben. Dabei wolle man genauer erheben, wie Menschen Fälle von Diskriminierung erleben und wie sie damit umgehen. Erforscht werden solle auch, an wen sich Betroffene wenden und für wie wirksam sie die bestehenden Regelungen halten, die es etwa zum Schutz vor sexueller Belästigung bereits gibt.
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