Geschmäht, gehasst, bewundert und heiliggesprochen

In Gerd Krumeichs Biografie erwächst Jeanne d’Arc zu einer auch wissenschaftlich beglaubigten geschichtlichen Größe

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Skandal machte Geschichte: eine Jungfrau in Männerkleidern! Doch ihre anfeuernden Appelle beflügelten Ritter und Bürger Frankreichs, den Kampf gegen die ihr Land besetzenden Engländer zu führen, der schließlich vom Triumph gekrönt wurde. Das alles ist 600 Jahre her. Was geht uns das an?

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Gerd Krumeich: Jeanne d’Arc. Seherin, Kriegerin, Heilige.
C. H. Beck, 399 S., geb., 28 €. •

Das Leben und Sterben der Jeanne d’Arc hat die Bühnen, die Kinos und dank Bertolt Brecht auch die Schlachthöfe erobert. In ihrer Heimat wurde sie Jahrhunderte nach ihrem grausigen Tod von Voltaire geschmäht, von den Revolutionären 1789 aber, wie sehr viel später auch von dem mit Hitlerdeutschland kollaborierenden Vichy-Regime, vereinnahmt. Die als Ketzerin am 30. Mai 1431 im Alter von 19 Jahren auf dem Marktplatz vor der Kathedrale von Rouen vom Klerus auf dem Scheiterhaufen verbrannte »Jungfrau von Orléans« wurde 1920 vom Papst heiliggesprochen.

Um ihren fulminanten Aufstieg und ihr tragisches Ende ranken sich viele Legenden, Lügen, Mythen. Ihr kurzes Leben hat ein jahrhundertelanges Nachleben, fasziniert noch heute. Beispielsweise den emeritierten Professor für Neue Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Gerd Krumeich. Sein Anspruch: Klarheit und Wahrheit zutage zu fördern. Die von dem Wissenschaftler verfasste Biografie liest sich wie ein spannender Roman, abgesehen von Fußnoten und Anmerkungen. Die Protagonistin besticht durch ihre einfache, mutige und völlig uneigennützige Art - eine heroische Frauengestalt aus dem Volk, die nicht nur couragiert, sondern auch intelligent und schlagfertig war, aber weder lesen noch schreiben konnte.

Jeanne, zu ihrer Zeit »la Pucelle« (die Jungfrau) genannt, wurde circa 1412 in Domrémy geboren, heute ein Wallfahrtsort im Département Vosges. Als sie acht Jahre alt war, schlossen die Könige von England und Frankreich in Troyes einen Vertrag über eine Doppelmonarchie. Nach dem Tode der beiden vertragsschließenden Könige 1422 besiegelten die Engländer einen Vertrag mit Burgund in Amiens. Man teilte sich Frankreich. Das ist die politische Ausgangslage, in die Jeanne hineinwächst. Sie ist ein frommes Mädchen und hört Stimmen, die ihr den göttlichen Auftrag erteilen, die von den Engländern belagerte Stadt Orléans zu befreien, den von den anderen europäischen Mächten nicht anerkannten Dauphin in Reims zu Frankreichs König krönen zu lassen und die Engländer aus dem ganzen Land zu vertreiben.

Krumeich diskutiert diesen »göttlichen« Auftrag im Lichte der damaligen Zeit. Er zieht mit Jeanne nach Orléans, beschreibt die skeptische Haltung des von ihr auf den Thron gehievten Königs Karl VII. gegenüber ihr, die aus einfachen Verhältnissen stammte. Er lässt sie nur wegen ihres bei Rittern wie Bürgern zunehmend beliebten Charismas gewähren. Und weil sie ihm letztlich nützt. Jeanne führt die Truppen vor Orléans an und besiegt die Engländer dort am 8. Mai 1429. Sie führt die Truppen nach Reims, überzeugt die dortige Bevölkerung von der »gerechten« Sache des Königs und setzt dessen Salbung und Krönung im Juli desselben Jahres durch.

Krumeich berichtet zudem von Verbesserungen in der Militärtechnik und den in dieser Zeit, dem sogenannten Hundertjährigen Krieg - »La guerre de Cent Ans« beziehungsweise »Hundred Years’ War« von 1337 bis 1453 -, beginnenden Übergang vom Ritter- zum Volksheer.

Vor Paris scheitert Jeanne jedoch. Sie wird im Mai 1430 von den Engländern vor Compiègne gefangen genommen und der Inquisition ausgeliefert. Bei der Schilderung des im Jahr darauf stattfindenden Verdammungsprozesses überzeugt der Autor mit einer für einen Historiker beeindruckenden Kenntnis des kanonischen Rechts. Natürlich war dieses Tribunal ein politisches. Die Engländer wollten an der von ihnen über Jahre gefürchteten und gehassten jungen Frau Rache nehmen und zugleich ein Exempel statuieren. Zwanzig Jahre später fand ein Revisionsverfahren statt, bei dem - wiederum vor dem Inquisitionsgericht in Rouen - das Todesurteil aufgehoben und Jeanne kirchenrechtlich rehabilitiert wurde. Sie blieb bewundert und umstritten. In Krumeichs Biografie erwächst sie zu einer auch wissenschaftlich beglaubigten geschichtlichen Größe.

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