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Ohne Paukenschläge, aber auch ohne Schalldämpfer
»Lieder für die Feuersbrunst«: Auf ruhige, anschauliche Weise berichtet Juan Gabriel Vásquez von Gewalt und Horror in Kolumbien
Das große Thema von Juan Gabriel Vásquez ist die Erinnerung - in seinen Romanen geht es um die verschütteten bzw. bewusst verscharrten Spuren politischer Gewalt, die gerade die blutige Geschichte seines Heimatlandes Kolumbien nur zu üppig bereithält. Auch sein Erzählband »Lieder für die Feuersbrunst« widmet sich den verdrängten historischen Altlasten, wie sie durch Zufälle oder durch den zwingenden Überlebenswillen der Wahrheit wieder ans Licht kommen.
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Juan Gabriel Vásquez: Lieder für die Feuersbrunst.
A. d. Span. v. Susanne Lange. Schöffling & Co., 240 S., geb., 22 €. •
Die Prosastücke sind sehr geschickt geschrieben; ruhig, fast harmlos im Ton, ziehen sie den Leser schnell in ihren Textkosmos hinein. Nicht umsonst stehen dem Band zwei Borges-Zitate als Marginalien voran: Vásquez operiert tatsächlich ein bisschen wie der große Argentinier, oft kreisend um ein geheimnisvolles, unausgesprochenes Zentrum. Aber während bei Borges abstrakte oder historisch weit zurückliegende Ausgangspunkte vorherrschen, wurzeln Vásquez’ Texte im Alltagsleben, um die ihm innewohnenden Unterbödigkeiten, Fallstricke und Abgründe der Realität auszuloten.
Seine Sprache ist dabei ungemein anschaulich: »Yolanda hatte sich neben ihn gesetzt, mit durchgedrücktem Rücken, als hielte sie einen Notizblock, bereit zum Mitschreiben, zum Entgegennehmen von Aufträgen und Diktaten. Als sie auf der Bank Platz genommen hatte (…), hatte sie ihren Teller samt Besteck von dem des Mannes abgerückt: fünf Zentimeter, mehr nicht, aber J. hatte die Geste bemerkt und bezeichnend gefunden. In dem Licht, das durch diese Lücke fiel, in dem ausgesuchten Bemühen, sich nicht zu berühren, spielte sich etwas ab.« So schreibt Vásquez in der Eingangsgeschichte »Frau am Ufer«, die sein Projekt literarischer Spurensuche quasi programmatisch umsetzt.
J., das ist eine Fotografin, eine Kriegsberichterstatterin, die dem Autor diese Geschichte erzählt haben soll; er habe sie genau so aufgeschrieben wie erzählt: »ohne Änderungen, Ausschmückungen, ohne Paukenschläge, aber auch ohne Schalldämpfer«, heißt es. J. habe also auf einer einsamen Hacienda, in deren Umgebung politische Morde stattfanden, eine Gruppe von Männern getroffen, einen Politiker aus Bogotá mit seinen Begleitern. Die im Zitat erwähnte Frau, Yolanda, ist seine Assistentin (und wohl auch Geliebte); J. ist bei ihr gleich »diese Haltung einer belauerten Beute« aufgefallen.
Diese Yolanda erleidet bei einer Exkursion einen Reitunfall, landet im Krankenhaus und ringt mit dem Tod. Die Fotografin J. redet derweil mit dem Politiker. Zuerst scheint ihr, dass er sich Sorgen mache um die Verunglückte - bis sie begreift, dass mehr dahintersteckt. Es ist wie eine kleine Rache, dass sie ihm gegenüber behauptet, das Krankenhaus habe angerufen und Yolandas Tod übermittelt. Für ihn nämlich stellt gerade das eine Erleichterung dar, weil Yolanda zu viel weiß. Als sich diese Lüge als Trug erweist, droht der Politiker der Fotografin; er übermittelt ihr ein diffuses Gefühl von Gewalt.
Zwanzig Jahre später trifft J. Yolanda erneut, ohne sich zu erkennen zu geben. Doch konfrontiert sie sie mit ihrer Geschichte und ihrer Verstricktheit in politische Verbrechen. Vásquez erzählt sehr hintergründig, belässt vieles im Vagen und Unklaren, so wie Erinnerungen sich verwischen.
Eine andere Geschichte handelt von einigen Jungen in Bogotá, die einen gewalttätigen Fight Club gegründet haben - gewissermaßen als Reaktion auf die Morde und Gewaltexzesse des Drogenkriegs. Eigentlich wird auktorial erzählt, doch an einer Stelle spricht der Autor plötzlich von »unseren Kämpfen« - das wirkt wie ein Fehler und ist es nicht, sondern signalisiert, dass Vásquez hier offensichtlich auf eigenes Erleben rekurriert.
Das könnte ebenfalls der Geschichte »Flughafen« zugrunde liegen: Hier berichtet er von seiner Arbeit als Komparse bei den Dreharbeiten zu Polanskis »Die neun Pforten«. Diese Erzählung wird mit einer Rekonstruktion des grausigen Mordes an dessen früherer Frau Sharon Tate montiert. Er beobachtet Polanski, dem er Mitleid, aber auch Bewunderung entgegenbringt: »diese unvermeidliche Bewunderung, die ich von jeher für die Überlebenden verspüre«.
Das Highlight des Buches, vielleicht zusammen mit der erwähnten Eingangsstory, ist aber die titelgebende Erzählung »Lieder für die Feuersbrunst«, die eine traurige, komplex gewundene Geschichte wiedergibt über eine Frau, die sich in der patriarchalen Welt im Kolumbien der 1940er Jahre letztlich erfolglos zu emanzipieren versucht - und am Ende vergewaltigt und ermordet wird. Ihr Sohn veröffentlicht ein Buch über die Ereignisse. Einfach nur, damit es da ist und die Vergangenheit aufbewahrt, »denn das ist der einzige Trost, den wir haben«, so beendet Vásquez die Erzählung und das Buch, was als Motto für sein gesamtes Schaffen stehen könnte, »wir Kinder dieses in Brand gesteckten Landes, dazu verdammt, uns zu erinnern, nachzuforschen und zu bedauern und dann Lieder zu verfassen, Lieder für die Feuersbrunst«.
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