Überwachungsstaat auf dem Vormarsch

Die feministische Bewegung in Großbritannien kann dem Maßnahmenpaket der Regierung nichts abgewinnen

  • Christian Bunke
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Tagen protestieren in London und mehreren anderen Städten Großbritanniens jeden Abend Tausende Menschen gegen den institutionellen Sexismus bei der britischen Polizei. Auslöser war die gewaltsame Beendigung einer Mahnwache im Londoner Park Clapham Common für die von einem Polizisten entführte und ermordete Sarah Everard.

Am Montagabend hat Premierminister Boris Johnson nun ein Maßnahmenpaket verkündet, mit dem die Tory-Regierung die Situation zu beruhigen hofft. Darin verspricht Johnson einen 45 Millionen Pfund schweren Geldtopf für Kommunen zur Verbesserung von Straßenbeleuchtung und die Anbringung von mehr Überwachungskameras. Außerdem kündigte der Premier an, das »Project Vigilant« (Projekt Wachsamkeit) auf das ganze Land auszuweiten. Im Rahmen dieses Projektes sollen zukünftig Polizistinnen und Polizisten in Zivil außerhalb und innerhalb von Nachtclubs auf Streife gehen, um »die Sicherheit von Frauen zu gewährleisten«, so Johnson in einer Pressemitteilung aus der Nr. 10 Downing Street.

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Damit nicht genug. Am Dienstag stimmte das britische Unterhaus mit großer Mehrheit für den Entwurf eines neuen Polizei- und Sicherheitsgesetzes. Auch dieses Gesetz sei Teil der Regierungsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt, hatte Johnson zuvor betont. Unter anderem werden das Strafmaß für schwere Gewaltdelikte und sexualisierte Übergriffe durch die Novelle heraufgesetzt.

Die Reaktionen der feministischen Bewegung Großbritanniens auf das vom Premierminister angepriesene neue Maßnahmenbündel sind allerdings ausschließlich negativ. So erklärte eine Sprecherin der Gruppe »Sisters Uncut«: »Die Polizei schützt sich selbst. Die Polizei bringt uns keine Sicherheit. Polizistinnen und Polizisten in Zivil werden uns nicht schützen. Samstagnacht war die Polizei besoffen von Macht. Und jetzt will die Regierung der Polizei noch mehr Macht geben. Wir sagen dazu nein.« Sisters Uncut hat unter anderem die Proteste in London in den vergangenen Tagen mit organisiert.

Historisch haben verdeckt ermittelnde Polizeibeamte in Zivil in Großbritannien eine alles andere als positive Rolle gespielt. Derzeit laufen noch immer noch richterlich geleitete Untersuchungen im berüchtigten »Spycops«-Skandal. Dabei geht es um verdeckte Ermittler, die über Jahre unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gezielt sexuelle Beziehungen mit politischen Aktivistinnen und Gewerkschafterinnen eingingen, um oppositionelle Bewegungen auszuspähen. Dafür wurden teilweise die Identitäten verstorbener Kinder benutzt. Von diesen Praktiken Betroffene sprechen von »Vergewaltigung durch die Polizei«.

Am Dienstag gab Norman Tebbit, konservativer Arbeitsminister unter Margaret Thatcher in den Jahren 1981 bis 1983, im Rahmen einer im Unterhaus abgehaltenen öffentlichen Anhörung erstmals zu, dass er persönlich über die Ermittlungen dieser »Spycops« unterrichtet worden war. Ein Ergebnis dieser Unterwanderung war die Erstellung einer »schwarzen Liste«, was für Tausende Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter de facto Berufsverbot bedeutete.

Die jetzige Protestwelle wird zusätzlich dadurch angeheizt, dass das von Premierminister Johnson für den Kampf gegen sexualisierte Gewalt ins Feld geführte neue Sicherheitsgesetz von einer breiten Front aus der britischen Zivilgesellschaft abgelehnt wird. Hunderte Vereinigungen, darunter Bürgerrechtsorganisationen wie »Liberty«, aber auch die meisten großen Gewerkschaften Großbritanniens, lehnen das Sicherheitsgesetz ab. Dieser Druck führte auch dazu, dass die Labour-Partei am Dienstag gegen das Gesetz stimmte. Eigentlich wollten sich die Sozialdemokraten nur enthalten.

Der eigentliche Schwerpunkt des neuen Gesetzes ist eine drastische Einschränkung des Demonstrationsrechts. Die Polizei erhält dabei weitreichende Befugnisse für die Auflösung von Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen des zivilen Ungehorsams. Schon Slogans auf Plakaten oder Transparenten, die für manche Personen eventuell beleidigend wirken könnten, sollen zukünftig dafür ausreichen. Mit dem Schutz von Frauen vor Gewalt hat das alles gar nichts zu tun.

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