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Der »Missouri Dad« und die Gewalt gegen transgeschlechtliche Kids
Der 53-jährige Wirtschaftsanwalt Brandon Boulware sprach in einer Parlamentsaussprache im US-Bundesstaat Missouri über sich und seine Tochter - und ist zu einer wichtigen Stimme für die Rechte von transgeschlechtlichen Kindern geworden
Mit einer bewegenden Rede ist ein Vater aus dem US-Bundesstaat Missouri zu einer Stimme für die Rechte von transgeschlechtlichen Kindern geworden. In dem Staat versuchen rechte Kräfte gegenwärtig, wie in vielen anderen Bundesstaaten, Gesetze zur Diskriminierung von Kindern beim Sport zu etablieren. Das bewegende Video, in dem der 53-jährige Wirtschaftsanwalt Brandon Boulware in einer Parlamentsaussprache über sich und seine Tochter redet, ist im Internet ein Hit. Es wirft auch ein Schlaglicht auf die psychischen Belastungen, mit denen viele Trans-Kids in ihr Leben starten.
Ihre ganze Kraft entwickelt Boulwares Rede dadurch, dass der Mann alles andere als ein linksliberaler Progressiver ist. Er tritt im schwarzen Anzug auf, mit weißem Hemd und roter Krawatte. Er erzählt, dass er Christ ist und Sohn eines Methodistenpfarrers. Wie viele andere habe er jahrelang vor der Diskussion um die Anliegen transgeschlechtlicher Menschen gestanden und gesagt: »Ich kapiere das nicht, ich verstehe das nicht.« Dann fährt er fort, seine Stimme bricht kurz ein, und man merkt, wie schwer es ihm fällt, das zu sagen. Er habe seine transgeschlechtliche Tochter jahrelang nicht unterstützt, sie keine Mädchenkleider tragen lassen, sie zu kurzen Haaren, zu »Jungsspielzeug« und zum Sport mit Jungs gezwungen. Er habe sie und ihre Geschwister vor Hänseleien anderer Kinder schützen wollen: »Und, um ehrlich zu sein: Ich habe es auch getan, um mich selber zu schützen. Ich wollte die unausweichlichen Fragen vermeiden, warum mein Kind nicht aussieht wie ein Junge, sich nicht wie einer benimmt.«
Dann erklärt er die psychischen Auswirkungen, die dieses »Beschützen« für seine Tochter hatte. Seinem Kind sei es miserabel gegangen, insbesondere in der Schule. Es habe kein Selbstvertrauen gehabt, keine Freund*innen, es habe nie gelacht, nicht mal gelächelt. Er und seine Frau hätten mit dem Zwang jahrelang auch gegen die Ratschläge von Lehrer*innen und Therapeut*innen weitergemacht. Und dann erzählt er von dem Tag, an dem sich für ihn alles geändert hat.
Er sei eines Tages von der Arbeit heimgekommen und seine Tochter und ihr Bruder hätten im Vorgarten gespielt. Die Tochter habe dabei ein Spielkleid ihrer älteren Schwester getragen. Beide Kinder waren dabei, über die Straße zu laufen, um mit den Nachbarskindern zu spielen. Weil es Zeit zum Abendessen war, habe er sie jedoch hereingerufen. Als die Tochter explizit um die Erlaubnis bat, über die Straße zu gehen, habe er »Nein« gesagt. Dann habe sie ihn gefragt, ob sie herübergehen könne, wenn sie vorher hereingehe und Jungskleider anziehe. Dieses Missverständnis sei der Moment gewesen, an dem Boulware es begriffen habe: Seine Tochter setzte »ein gutes Kind sein« mit »jemand anderes sein« gleich. »Ich habe ihr beigebracht, zu verleugnen, wer sie ist.« Und: »Für Eltern gibt es eine Sache, die wir nicht tun können, und diese eine Sache ist, die Seele unserer Kinder zum Schweigen zu bringen.« Von dem Tag an habe er dem Kind erlaubt zu sein, wer es ist. Es sei ein anderes Kind gewesen: »Und ich meine, es war von jetzt auf gleich.« Er habe nun eine selbstbewusste, lächelnde, glückliche Tochter, die im Volleyballteam spiele, Freund*innen habe.
Doch die meisten transgeschlechtlichen Kinder haben nicht das Glück, von Eltern wie dem »Missouri Dad« gesehen zu werden. Sie verinnerlichen die Botschaft, nur sein zu können, wenn sie jemand anderes spielen. Die Folge sind unter anderem selbstschädigende Muster, die sich tief einprägen. Es steigt aber auch massiv die Gefahr, Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt durch Partner*innen zu werden, wie Studien zeigen. Wir beginnen gerade erst, das ganze Ausmaß dieses Zum-Schweigen-Bringens der Kinder zu verstehen. Doch Menschen wie Brandon Boulware, die öffentlich zu ihrem Erziehungshandeln stehen, geben Grund zur Hoffnung, dass der Prozess nicht umkehrbar ist. Daran wird auch der organisierte Hass nichts ändern, der uns an manchen Tagen so betäubend laut und omnipräsent erscheint.
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