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Jenseits der Schnabeltasse
Die West-Linke ist jung und steckt noch immer im Aufbau.
Vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg am letzten Sonntag wurde ich zur Wahlberatung herangezogen. Eine Freundin aus Freiburg hatte den Wahlomat konsultiert - eine Internetseite, die nach Beantwortung politischer Fragen eine Wahlempfehlung gibt. Ihr Ergebnis: größte Übereinstimmung mit der Linkspartei. Soll ich sie wählen, auch wenn sie wahrscheinlich nicht in den Landtag kommt, fragte die Freundin angesichts der Umfragewerte. Ich wollte wissen, was ansonsten infrage käme. Sie sagte, sie überlege, SPD zu wählen - vor allem, damit sie nicht schlechter abschneidet als die AfD.
Das Ergebnis ist bekannt: Die Grünen gewannen deutlich, die SPD war schwach, aber immerhin vor der AfD, und Die Linke schaffte auch im dritten Anlauf nicht den Sprung in den Stuttgarter Landtag. In Rheinland-Pfalz das gleiche Bild für die Sozialisten: dritter Versuch, dritte Enttäuschung weit unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze. Während die Linkspartei im Osten - bei allem Auf und Ab - zum festen Inventar der Landesparlamente gehört, sieht es im Westen anders aus: In den Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie in Hessen und im Saarland ist sie inzwischen regelmäßig auf Landtagsmandate abonniert. Im Rest der alten Bundesrepublik gab es Ausnahmeerfolge nach Gründung der Linken 2007; der Südwesten ist das härteste Pflaster.
Nirgendwo weiß man das besser als in Bayern. Das ist nicht nur riesiges, konservatives Flächenland, es wird auch noch von einer Quasi-Staatspartei dominiert. »Wir sind im Westen immer noch beim Parteiaufbau«, sagt Max Steininger, Landesgeschäftsführer der bayerischen Linken, dem »nd«. Es sei eben »ein großes Projekt, auf den Trümmern des Eisernen Vorhangs eine gesamtdeutsche linke Partei aufzubauen«, spielt er auf tief sitzende Vorbehalte an; das dauere »viel länger als gedacht«. Das Bonmot des langjährigen PDS- und Linke-Frontmanns Gregor Gysi von 1990, »das nötige Milliönchen Stimmen im Westen« hole man locker, wollte später kaum noch jemandem über die Lippen gehen.
Steininger beobachtet diesen Parteiaufbau. Längst haben die westdeutschen Landesverbände in der Partei die Mehrheit. Aber 3200 Mitglieder, Tendenz steigend, im bevölkerungsreichen Bayern sind eben etwas anderes als 3200 Mitglieder, Tendenz fallend, im dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern. Denn dort hat Die Linke tiefe Wurzeln, dort ist sie »in der Gesellschaft verankert«, so Steininger. Das ist auch das Plus der CSU in Bayern. »Jeder kennt doch mindestens einen CSUler, den er nicht für so blöd hält wie den Scheuer.«
Rund 140 Mandate holte die bayerische Linke bei den Kommunalwahlen im März 2020. Darauf wollten die Genossen aufbauen, die Basis erweitern. Die Strukturen, die andere längst haben, muss Die Linke erst schaffen, und das mit dreieinhalb bezahlten Stellen im Freistaat. Doch dann kam Corona. Neue Mitglieder zu gewinnen, ohne soziale Nähe, sei schwierig, sagt Steininger. Was fatal ist, »denn dort, wo wir mehr Mitglieder gewinnen konnten, erreichen wir auch mehr Wähler«.
Was beharrliche Basisarbeit bewirken kann, zeigt sich in Hessen. Auch dort waren die Ausgangsbedingungen alles andere als rosig. Lange Zeit hatte die PDS Mühe, überhaupt genügend Kandidaten für Wahlen zu finden. 1998 formulierte ein hessischer PDS-Kreisverband die Hoffnung, dass sich für Bundestags-Direktkandidaturen »wie durch ein Wunder« noch prominente Interessenten finden mögen. Ein Genosse sei Tag und Nacht erreichbar und warte »auf dieses Genossenwunder«.
Inzwischen ist Hessen ein Vorzeigeland der Westlinken. Viermal schon gelang der Einzug in den Landtag, und es ist kein Zufall, dass die langjährige Fraktionschefin Janine Wissler nun auch Linke-Bundesvorsitzende ist. Bei der kürzlichen hessischen Kommunalwahl holte Die Linke zahlreiche Mandate; Kassel und Marburg mit mehr als elf Prozent gehören zu den Leuchttürmen.
Und dann ist da noch das Altersgefälle, das im Westen Hoffnung und im Osten Sorgen macht. Zwar treten überall junge Leute in die Partei ein - 2019 war fast jedes fünfte Mitglied unter 30. Aber im Westen ist sie deutlich jünger. Der Landesverband Sachsen-Anhalt hatte 2017 einen Altersdurchschnitt von fast 66 Jahren, im benachbarten Niedersachsen waren es 2018 knapp 46 Jahre. »Wir müssen«, warnte schon vor Jahren ein alter Ost-Genosse, »über den Rand unserer Schnabeltasse hinausschauen!«
Jenseits der Schnabeltasse, im Westen, »sind das Interesse und das Selbstbewusstsein bei Bundestagswahlen sofort größer«, sagt der Bayer Max Steininger. Weil die großen Themen wie Friedens- und Sozialpolitik Wähler anziehen und Die Linke fester Teil der Bundespolitik ist. 2017 kam die Partei in allen Westländern über fünf Prozent. Bei Landtagswahlen sei das viel schwieriger, »denn wo wir nicht im Landtag sind, laufen wir bei den Medien oft unter Sonstiges in der Freakshow«. Dann fragen sich potenziell Interessierte, ob eine Linke-Stimme sinnvoll ist.
In Freiburg übrigens landete Die Linke einen beachtlichen Erfolg. Hier kam sie - weit hinter den Grünen - bei der Landtagswahl faktisch gleichauf mit CDU und SPD auf Platz zwei. An ihr habe es nicht gelegen, dass Die Linke den Einzug in den Landtag verfehlte, sagte die Freundin nach der Wahl. Aber sie wird nicht die Einzige gewesen sein, die sich die Frage nach dem Sinn einer solchen Wahlentscheidung gestellt hat.
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