Politischer Aktivismus als Waffe gegen das Ende der Welt

Jean Peters berichtet von Erfolgen seiner Arbeit mit dem »Peng!«-Kollektiv und warum sich ziviler Ungehorsam trotz Niederlagen lohnt

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 4 Min.

Stellen Sie sich vor, Sie haben sich mit einer Undercover-Kamera unter Klimaleugner*innen gemischt, um verdeckte Aufnahmen zu machen. Sie haben sich einen anderen Namen gegeben und eine Biografie ausgedacht, die in der Szene nicht sofort für Aufhorchen sorgt. So weit, so gut. Jetzt sind Sie mittendrin. Der Kugelschreiber, an dessen Ende eine winzige Linse mit einer kleinen Kamera befestigt ist, steckt griffbereit in ihrem Jackett. Sie unterhalten sich mit einer unscheinbaren Klimaleugnerin.

Auf einmal blitzen die Augen der Dame auf, und sie erzählt Ihnen, dass sie einen Plan habe. Sie werde sich mit einer versteckten Kamera unter Klimaaktivist*innen mischen und Aufnahmen von ihnen machen. In diesem Moment holt die Frau exakt den gleichen Kugelschreiber heraus, wie der, der noch immer in Ihrem Jackett steckt. Es sind solche Szenen, bei denen man laut auflachen muss, wenn man das kürzlich erschienene Buch von Jean Peters liest.

Jean Peters
Der 36-jährige Journalist und Aktionskünstler hat Politikwissenschaften studiert und das »Peng!«-Kollektiv gegründet, das 2018 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet wurde. Im selben Jahr war er Mitbegründer der Bewegung »Seebrücke«, die sich für sichere Fluchtwege einsetzt.
Video der "Giant Oil Spill"-Aktion von "Peng!"

Der 36-jährige Politologe gibt einen sehr offenen Einblick in Aktionen, die er zusammen mit Mitgliedern des »Peng!«-Kollektiv und anderen Unterstützer*innen durchgeführt hat. Dazu gehören zum einen solche skurrilen Szenen, wie die eben beschriebene. Zum anderen ist mindestens ein Drittel des Buches »Wenn die Hoffnung stirbt geht’s trotzdem weiter« mit kritischer Selbstreflexion gefüllt. In einer Welt, in der die meisten Menschen - und auch die meisten politischen Aktivist*innen - versuchen, in der Öffentlichkeit ein makellos Bild von sich selbst abzugeben, ist das erfrischend.

»Ich will nicht unangreifbar sein«. Ein Interview mit Jean Peters. Der Aktivist geht offen mit eigenen Zweifeln an politischen Aktionen um.

Nicht mehr als eine geworfene Torte

So behandelt Peters direkt zu Beginn alle Einwände, die kommen können, wenn es um die Frage geht: Ist der Wurf mit einer Torte auf eine AfD-Vizechefin legitim. Er kommt für sich selbst zu dem Ergebnis, dass dies gerechtfertigt ist, wenn eine Person, wie Beatrix von Storch, laut über Schießbefehle auf Geflüchtete an den Grenzen Deutschlands nachdenkt. Trotz der Entscheidung für eine »Tortung« zeigt Peters seine Grenzen: Der Sahnekuchen darf nicht gefroren sein, damit die Person keinen größeren Schaden erfährt. Wenn die Torte aber Zimmertemperatur hat und lediglich im Gesicht landet, so ist dies für Peters keine Gewalt, sondern »am Ende auch einfach nur eine geworfene Torte«.

Problematisch an der Aktion bleibt für den Autor, dass sie von der AfD ausgeschlachtet werden und sie sich als Opfer inszenieren kann. Da dies der Partei allerdings auch ohne solche Aktionen immer wieder gelingt und sie es sowieso gut versteht, auf sich aufmerksam zu machen, nimmt Peters dieses Risiko in Kauf.

Bei der Operation »Tortaler Krieg« handelt es sich, wie bei den meisten Interventionen von Peters, um eine medientaktische Aktion. Ziel ist es also, eine hohe mediale Aufmerksamkeit zu erhalten. Im konkreten Fall sollte der AfD eine Grenze aufgezeigt werden: Bis hierhin und nicht weiter.

Debattenbeitrag zu Formen von zivilen Ungehorsam

Peters blickt auf einige Erfolge zurück. Etwa, wenn der deutsche Waffenhersteller Heckler & Koch wegen einer falschen Homepage und gefälschten Briefen wochenlang Fragen von seinen Kund*innen und Partnern zu einer vermeintlichen Rückholaktion von Gewehren beantworten muss. Doch der Künstler gesteht auch Niederlagen ein. So habe eine Aktion mit gefälschten Pässen zu einer Gesetzesverschärfung geführt, die eventuell ohne die Aktion nicht so schnell verabschiedet worden wäre. Seit Juni 2020 müssen Fotos für die Beantragung von Pässen von Fotograf*innen umgehend an die Behörden geschickt werden oder werden nur noch von Automaten akzeptiert, die direkt bei den Behörden stehen. Peters legt aber dar, dass es im voraus schwierig absehbar ist, ob eine Aktion negative Konsequenzen nach sich ziehen wird.

Zweifelsfrei ist das Buch eine wichtige Lektüre für alle, die schon politisch aktiv sind oder es werden wollen. Darüber hinaus leistet Jean Peters einen Beitrag in der Debatte um Formen und Grenzen von zivilem Ungehorsam.

Jean Peters: Wenn die Hoffnung stirbt, geht’s trotzdem weiter. Geschichten aus dem subversiven Widerstand. S. Fischer, 256 S., geb., 21 €.

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