Julian Reichelt kommt zurück - und eine Frau an seine Seite

Nach einem internen Verfahren wegen Machtmissbrauchsvorwürfen soll die Führungskultur bei »Bild« geändert werden

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. »Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt kehrt nach einer befristeten Freistellung wegen eines internen Verfahrens zu Machtmissbrauchsvorwürfen wieder zurück zu der Boulevardzeitung. Das teilte der Medienkonzern Axel Springer am Donnerstag in Berlin mit. Zugleich wird in der Redaktionsleitung der Marke »Bild« umgebaut und eine Doppelspitze etabliert. Und die Führungskultur soll sich ändern.

Eine Compliance-Untersuchung in einer Firma zielt darauf ab zu prüfen, ob das Verhalten regelkonform war und die Richtlinien einer Firma eingehalten worden sind. Das Compliance-Management von Springer bekam bei der Untersuchung, die sich über mehr als vier Wochen erstreckte, Unterstützung von externen Experten. Es trafen in der Zeit verschiedene Hinweise auf mögliches Fehlverhalten Reichelts ein, wie es weiter hieß.

Der Journalist ist Vorsitzender der »Bild«-Chefredaktionen und trägt die übergeordnete redaktionelle Verantwortung der Bild-Marke mit Deutschlands größter Boulevard-Tageszeitung mit einer Auflage von rund 1,2 Millionen Exemplaren (mit Berliner Boulevardzeitung »B.Z«, viertes Quartal 2020). Der 40-Jährige ist zudem Sprecher der Geschäftsführung für die Bild-Marke, Reichelt arbeitet seit 2002 für den Medienkonzern. Vor allem mit seiner Arbeit als Reporter in Kriegsgebieten wurde Reichelt vielen bekannt.

Nach Springer-Angaben standen im Kern der Untersuchung die Vorwürfe des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz. »Entgegen der in einigen Medien kolportierten Darstellung gab es keine Vorwürfe und auch im Untersuchungsverfahren keine Anhaltspunkte für sexuelle Belästigung oder Nötigung. Julian Reichelt hat die Vermischung von beruflichen und privaten Beziehungen eingeräumt, die oben genannten Vorwürfe jedoch bestritten und dies auch eidesstattlich versichert.«

Vom Konzern hieß es weiter: »Der Vorstand ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, Julian Reichelt aufgrund der in der Untersuchung festgestellten Fehler in der Amts- und Personalführung - die nicht strafrechtlicher Natur sind - von seinem Posten als Chefredakteur abzuberufen. In die Gesamtbewertung sind auch die enormen strategischen und strukturellen Veränderungsprozesse und die journalistische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegangen.«

Öffentlich bekannt wurden die internen Ermittlungen Anfang März. Alles begann mit Andeutungen des Satirikers Jan Böhmermann in seiner ZDF-Show. Der »Spiegel« legte Tage darauf nach. Das Nachrichtenmagazin berichtete nach eigenen Informationen von Vorwürfen zu Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Es folgten zahlreiche Medienberichte, die sich neben Reichelt selbst auch um Führungskultur drehten.

Die smarte Meinungsfabrik. Die Filmdokumentation »Bild.Macht.Deutschland?« zeigt nicht nur, wie Europas größte Tageszeitung funktioniert, sondern auch deren vertraute Verbindung zur politischen Macht.

Mitte März erfolgte dann die befristete Freistellung. Diesen Schritt hatte der Journalist nach Konzernangaben selbst angeboten, um die Aufklärung ungestört sicherzustellen. Zu den Vorwürfen hatte Reichelt in einer internen Nachricht an Kolleginnen und Kollegen klar gemacht: »Die Vorwürfe sind falsch.« Und schrieb zudem: »Ich werde mich gegen die wehren, die mich vernichten wollen, weil ihnen BILD und alles, wofür wir stehen, nicht gefällt.« Der Konzern hatte während der Untersuchung mit Blick auf den laufenden Prozess keine Details bekanntgemacht.

Mit der Rückkehr Reichelts vollzieht das Medienhaus eine Veränderung an der Spitze der Redaktionsleitung: Die Chefredakteurin von »Bild am Sonntag« und Mitglied der Chefredaktion der Bild-Gruppe, Alexandra Würzbach (52), wird gleichberechtigte Vorsitzende der Bild-Chefredaktionen. Sie hatte Reichelt auch während seiner Freistellung bereits vertreten. Die beiden bilden nun eine Doppelspitze.

Reichelt werde sich künftig auf die Schwerpunkt Bild Print und Digital sowie Bild Live konzentrieren, hieß es weiter. Würzbachs Bereich werden »Bild am Sonntag« und das übergreifende Personal- und Redaktionsmanagement sein. »Für die inhaltliche Ausrichtung aller Produkte der Bild-Gruppe sind Alexandra Würzbach und Julian Reichelt gemeinsam verantwortlich.«

Der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, Mathias Döpfner, sagte: »Wir sind nach gründlicher Abwägung zur Überzeugung gelangt, dass es richtig ist, dass Julian Reichelt nun in einer Doppelspitze mit Alexandra Würzbach seine Arbeit fortsetzen kann. Er hat Fehler gemacht. Nach allem, was im Zuge der Untersuchungen zum heutigen Tage bekannt geworden ist, halten wir eine Trennung aber für unangemessen.« Döpfner dankte denjenigen, die mit Hinweisen geholfen hätten.

Döpfner ergänzte: »Uns ist klar: Auch wenn es keinen rechtlichen Handlungsbedarf gibt, besteht Änderungsbedarf bei der Führungskultur in der BILD-Redaktion.« Man wolle und müsse aus dieser Erfahrung lernen und besser werden. Der Vorstand sei überzeugt, »dass ein moderner unangepasster Boulevardjournalismus und eine zeitgemäße Führungskultur kein Widerspruch sind.«

Chefredakteur Reichelt sagte, er sei »erleichtert und froh«, wieder in die Redaktion zurückzukehren. »Ich weiß, ich habe im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen Fehler gemacht und kann und will das nicht schönreden. Was ich mir vor allem vorwerfe ist, dass ich Menschen, für die ich verantwortlich bin, verletzt habe.« Das tue ihm sehr leid. »Rückwirkend kann ich das nicht mehr ändern, aber ich werde meine Chance jetzt nutzen und mich dafür einsetzen, gleichberechtigt mit Alexandra Würzbach und gemeinsam mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als ein Team eine neue Unternehmenskultur für «Bild» zu schaffen und vorzuleben.« dpa/nd

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