»Der Geschmack unserer Kindheit«
Der Buch-Verlag für die Frau wird 75 Jahre alt
»Wie klingt das für dich: Buch-Verlag für die Frau?«, frage ich meine Tochter. - »Nicht nach einem neuen Verlag.« - »Stimmt, er wird dieses Jahr 75.« - »Heute müsste man bei einem Namen auf Genderfragen achten.« - »Wie meinst du das?« - »Nun, dass man Bücher nicht in solche für Frauen oder für Männer einteilt.« - »Da frag mal die Marketingleute der Verlage! Selbst Krimis unterscheiden sie nach ihren Zielgruppen.« - »Naja, aber es ist doch ein Kochbuchverlag, da denkt man gleich: Frauen an den Herd!« - »Aber darum ging es doch in der DDR gerade nicht! Im Gegenteil, die Frauen wurden als Berufstätige gebraucht.« - »Hattet ihr da überhaupt noch Zeit zum Kochen und Backen?« - »Zeit wenig, Lust schon.«
Dass ein Verlag solcher Lust entgegenkam, war eine Leistung und entsprach einem riesigen Bedarf. 1946 in Leipzig gegründet, hatte der Verlag für die Frau in der DDR einen guten Namen. Vorläufer war der Verlag Otto Beyer gewesen, der 1890 in Verbindung mit einem Leipziger Modehaus entstanden war. Vor seiner Enteignung wurde 1945 dort noch die Zeitschrift »Guter Rat« geboren. Die wurde in den Verlag für die Frau überführt, und weitere Blätter kamen hinzu.
Heute, da der Markt von allerlei Buntem überschwemmt ist, kann man sich kaum mehr vorstellen, welche Bedeutung die wenigen Mode- und Ratgeberzeitschriften in der sonst eher ideologisch geprägten Medienlandschaft der DDR hatten. In gewisser Weise waren sie ein Refugium des Privaten, etwas, das man neben dem Arbeitsalltag und dem politischen Leben dringend brauchte. Klar, dass sie infolge des begrenzten Papierkontingents Mangelware waren. »Guter Rat« bot nicht nur Kochrezepte und Nähanleitungen, sondern auch Tipps zum Bauen, Basteln, Reparieren. »Wohnen im Grünen« entsprach der Sehnsucht nach Natur. Die »Pramo« (kurz für »Praktische Mode«) enthielt jeweils mehrere Schnittmusterbögen, denn trotz Auslastung in Beruf und Familie haben viele Frauen selber geschneidert, wie ich auch, weil mir das Angebot in Bekleidungsgeschäften zu langweilig war.
Aber mein Favorit war die »Sibylle«. Diese Zeitschrift für Mode und Kunst hat durch die Ästhetik der großartigen Fotos von Arno Fischer, Roger Melis, Günter Rössler, Ute Mahler, Sibylle Bergemann, Sven Marquardt und anderen mein Lebensgefühl geprägt. Dabei war es eigentlich mein Mann, der jedes neues Heft zuerst mit Beschlag belegte. Denn da ging es nicht nur um das Machbare, sondern um den Traum von Schönheit. So haben wir die »Sibylle«-Ausgaben bis heute nicht weggeworfen, obwohl das nun alles Schnee von gestern ist. Wie überhaupt das riesige Zeitschriftenprogramm des Verlags, der 1990 privatisiert wurde. Der Gong-Verlag als neuer Inhaber konnte die Zeitschriften nicht in der Marktwirtschaft etablieren, was für die meisten der fast 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Aus bedeutete. Aber so ging es in allen ostdeutschen Verlagen. Ehedem wie Kulturinstitutionen behandelt, wurden sie zu Wirtschaftsbetrieben, die profitabel zu arbeiten hatten. Aus dem früheren Verlag für die Frau hat nur die Buchabteilung überlebt.
Seit 1996 behauptet sie sich tapfer als eigenständiger Buch-Verlag für die Frau. An manche gute Tradition war dabei anzuknüpfen. Weitergeführt wurde zum Beispiel die »Minibibliothek«, die ihre Gründung 1985 dem Bemühen verdankte, mit wenig Materialeinsatz ein wertiges Produkt zu schaffen. Inzwischen ist sie auf fast 370 Titel angewachsen. Je 6,2 x 9,5 Zentimeter groß, sind die Bändchen für nur fünf Euro zu haben - gut zum Sammeln und Verschenken. Das Themenspektrum wird ständig erweitert. Von Sushi bis Löwenzahn, Cocktail-Rezepten bis zum Opernführer, vom Mythos Jeans bis zu Napoleons Frauen dürfte auch in diesem Frühjahr für viele etwas dabei sein.
Als eigenständige GmbH befindet sich der Verlag seit 2015 unter dem Dach der vertriebsstarken Verlagsgruppe Grünes Herz, die Niederlassungen in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern hat. In Leipzig haben fünf Mitarbeiterinnen ein lieferbares Programm von rund 250 Titeln zu stemmen und jährlich rund 20 Neuerscheinungen auf den Markt zu bringen.
Das geht nur, wenn man gute Autorinnen und Autoren hat. Da ist an erster Stelle vielleicht Gudrun Dietze zu nennen, von der die damalige leitende Lektorin und spätere Verlegerin Christa Winkelmann 1991 einen Brief in die Hand bekam. Die Bäuerin aus Chursdorf bei Schleiz hatte auf losen Blättern Backrezepte notiert, die nicht verloren gehen sollten. 1993 wurde ein Buch daraus: »Thüringer Festtagskuchen«. 13 weitere mit Koch- und Backrezepten von Gudrun Dietze folgten diesem. Sieben davon habe ich bei mir im Regal. Immer wieder ziehe ich sie zurate und staune, wie einfach und zugleich raffiniert die Gerichte sind.
Am stärksten abgegriffen sind bei mir allerdings die Bücher »Wir kochen gut« (seit 1962 in 55 Auflagen erschienen) und »Das Backbuch«, das jetzt in »Wir backen gut« umbenannt wird. Diese Bände bieten eigentlich alles, was man wissen muss. Nun verspricht der Verlag, dass die Ausgaben für 2021 hinsichtlich heutiger Ernährungsgewohnheiten überarbeitet, typografisch übersichtlicher gestaltet und mit farbigen Abbildungen versehen werden. Mit den rund 1000 Kochrezepten wird jetzt ebenso der vegetarischen und veganen Lebensweise Rechnung getragen.
Auch wenn der Buch-Verlag für die Frau in opulenten Bildbänden »kulinarische Reisen« durch Armenien oder Tansania im Angebot hat - für mich verbindet er sich vor allem mit ostdeutscher Küchentradition. Da ist für den Herbst etwas ganz Besonderes geplant: Der Jubiläumsband »Rezepte unseres Lebens« soll den »Geschmack unserer Kindheit« wieder aufleben zu lassen. Leserinnen und Leser sind aufgerufen, Lieblingsrezepte, kulinarische Geschichten und Bilder an den Buch-Verlag für die Frau (Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig) oder per Mail an buchverlag-fuer-die-frau@vggh.de zu senden.
Dieses Buch, das weiß ich schon, werde ich meiner Tochter schenken - nein, eher doch meinem Schwiegersohn, weil es in ihrer Familie der Mann ist, der kocht.
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