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Die Zeit zum Impfen wird knapp
In wenigen Tagen schließen viele Einrichtungen der Obdachlosenhilfe, in denen geimpft werden sollte
Martin Parlow vom AK Wohnungsnot ist enttäuscht. »Wir schließen zum 1. April unsere Einrichtung und haben für die 16 Menschen, die jetzt noch hier sind, bislang kein Impfangebot erhalten«, erklärt Parlow am Montagmittag dem »nd«.
Es wird allmählich knapp, denn das Ende der Kältehilfe-Saison naht. Vor wenigen Tagen erst haben in Berliner Notunterkünften die Impfungen von obdachlosen Menschen begonnen. Eine Woche Verspätung gab es durch den kurzzeitigen Rückruf des Astra-Zeneca-Impfstoffs. Trotzdem hätte wohl auch dann die Zeit nicht gereicht, über die Unterkünfte allen Betroffenen ein Angebot zu machen. Die Impfungen werden über die mobilen Impfteams, die zuvor in den Pflegeeinrichtungen der Hauptstadt unterwegs waren, durchgeführt. Hilfe erhalten die medizinischen Mitarbeiter*innen bei ihrer Arbeit von Soldat*innen der Bundeswehr.
In der Storkower Straße wird geimpft
»Am Mittwoch und am Freitag letzte Woche haben sich jeweils 56 und 70 Personen in der Einrichtung Storkower Straße impfen lassen«, berichtet Stefan Strauß, Sprecher der Sozialverwaltung. Auch am Montag wird die Impfvergabe hier fortgesetzt. In der im Frühjahr 2020 eröffneten Unterkunft der Gebewo gibt es bis zu 150 Plätze für obdachlose Menschen, die rund um die Uhr zugänglich sind. Entstanden sind sie im vergangenen Frühjahr: Während die Metropole in den Lockdown ging, um die erste Infektionswelle zu brechen und der Aufruf erging, möglichst zu Hause zu bleiben, standen die Menschen ohne Obdach noch miserabler als sonst da. Tageseinrichtungen blieben geschlossen, Möglichkeiten zum Aufwärmen in öffentlichen Gebäuden gab es keine mehr, die Einrichtungen der Kältehilfe mussten Übernachtungsplätze verringern und dann Ende März ohnehin schließen. Auf diese Situation reagierte die Sozialverwaltung unter Senatorin Elke Breitenbach und schuf mehrere Unterkünfte, die fast durchweg geöffnet sind.
Immunisierung auch ohne Pass
Das soll laut Senatsbeschluss auch in diesem Frühjahr so bleiben. Neben der Storkower Straße werden auch alle anderen 24/7-Einrichtungen länger als sonst offen gehalten - mindestens bis zum 30. April, sonst bis zum 30. Juni, »oder auch länger«, wie Stefan Strauß erklärt. Man wolle damit auch die Möglichkeit schaffen, dass Menschen, die eine Impfung erhalten haben, nicht direkt wieder auf die Straße gehen. Zur Frage, wie man diejenigen erreicht, die gar nicht in den Unterkünften bleiben oder erscheinen, heißt es, dass Sozialarbeiter*innen über die Impfangebote informieren, auch mehrsprachig. Kleine Gruppen könne man so gut erreichen, meint Stefan Strauß, die Beschäftigten seien angehalten, die Impfungen zu organisieren, indem die Menschen zu »Impfinseln« begleitet werden, die über die Einrichtungen in der Stadt verteilt sind. Bei dem Impfstoff Astra-Zeneca gebe es überdies mit zwölf Wochen eine recht lange Spanne für die Verabreichung der zweiten Impfdosis. »Und bei Astra-Zeneca gibt es ja auch nach der ersten Impfung einen relativ hohen Schutz«, so der Sprecher. Wichtig sei, dafür zu sorgen, dass auch Menschen ohne Pass oder einen gültigen Impfausweis die Impfungen erhalten können, betont Strauß, fehlende Dokumente dürften kein Grund sein, jemanden nicht zu impfen.
Schwankende Impfbereitschaft
Entscheidender dafür dürfte sein, ob es ein gut zu erreichendes Angebot und die entsprechende Impfbereitschaft gibt, meint Martin Parlow, hierzu müsste man Erkundigungen einholen. Laut einer Umfrage des AK Wohnungsnot unter Kolleg*innen sei zwar die Impfbereitschaft bei den Beschäftigten mit 95 Prozent sehr hoch, Skepsis herrscht allerdings über die Impfbereitschaft der Gäste und Klient*innen. Weniger als ein Viertel der Umfrageteilnehmer*innen denkt, es gebe eine hohe Impfbereitschaft, die Hälfte schätzt diese als mittel ein und ein Viertel geht eher von einer geringeren Bereitschaft aus. Stefan Strauß wundern solche Zahlen nicht: »Das ist auch nicht anders als im Rest der Bevölkerung«, meint der Sprecher dazu. Martin Parlow hätte gern mehr Sicherheit, dass so viele Betroffene wie möglich geimpft werden, wenn sie wollen. Er selbst habe die Immunisierung bereits erhalten. »Das ist natürlich ein Geschenk«, sagt der Sozialarbeiter.
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