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Wenn man einfach so krass ist
Dem kölschen Rocker Wolfgang Niedecken zum 70. Jebotsdaach
Wolfgang Niedecken und seine Band BAP machten Anfang der 80er politisch engagierte Rockmusik mit Kölner Dialekt bundesweit zum Erfolgsmodell. Verdamp lang her. Am heutigen Dienstag wird Niedecken 70.
»Wir hatten unheimlich viel Glück«, erzählte Niedecken dem »Musikexpress«. Vielleicht wurde die eher klassische Rockband auch von der Neuen Deutschen Welle in die Charts gespült. BAPs Niveau lag aber weit über dem schlageresken Chartfutter der NDW. Und so hielt sich die Band auch dann noch, als die NDW längst verebbt war. Vor allem natürlich durch Hits wie »Kristallnaach«, der sich mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung beschäftigt, oder besagtes »Verdamp lang her«, in dem sich Niedecken mit seinem Vater auseinandersetzt. Vor zehn Jahren hing sein Leben nach einem Schlaganfall an einem seidenen Faden. Aber Niedecken kämpfte sich zurück ins Leben. Nach wie vor macht er bodenständige Rockmusik, auch wenn die Originalbesetzung von BAP längst zerbröselt ist. Als Geburtstagsgeschenk an sich selber durfte er für die KiWi-Musikbibliothek einen Band über sein großes Vorbild Bob Dylan schreiben.
In dem lustigen Animationsfilm »Pets 2« gibt es ein knuddeliges kleines Häschen, das sich für einen mächtigen Superhelden hält. Allen anderen Tieren ist aber klar, dass es sich bei dem Häschen nur um ein Häschen handelt. Ein süßes Häschen, aber kein Superhelden-Häschen. Nur ein kleines Hündchen nimmt das Häschen als Superhelden ernst und nimmt seine Hilfe bei einer gefährlichen Befreiungsaktion in Anspruch. Nachdem das Häschen mit knapper Not und vor Angst schreiend die Rettungsaktion überlebt hat, sagt es folgende denkwürdige Sätze: »Ich will nicht angeben, ich sag nur, was grad passiert ist. So ist das, wenn man krass ist. Wenn man so krass ist und einfach erzählt, was los ist, hört sich’s an, als würde man angeben.«
Genau in diesem Ton ist Niedeckens Buch über Bob Dylan geschrieben. Niedecken erzählt seine Abenteuer als Häschen im Bob-Dylan-Kostüm. Denn sich selber sieht der kölsche Rocker auf absoluter Augenhöhe mit Dylan, McCartney oder Dave Stewart und all den anderen »Kollejen« in den USA. Da sitzt er im Keller des Big-Pink-Hauses, in dem die »Basement Tapes« und »Music from the Big Pink« aufgenommen wurden, und spielt einen Dylan-Song; da sitzt er in New Orleans beim gleichen Krabbenfischer, der schon mit Paul McCartney gekifft hat. Und sein Solo-Album nimmt er im Studio in Woodstock auf, mit dem Gitarristen, der schon bei den Eagles Ersatzgitarrist bei der Welttournee 1973 war! Und in jedem Satz schwingt mit: »Wenn man so krass ist und einfach erzählt, was los ist, hört sich’s an, als würde man angeben.«
Die Stärke der bisherigen Bände der KiWi-Musikbibliothek lag in der konsequenten Fan-Perspektive. Keine Nachrichten aus dem Star-Olymp, sondern Nachrichten aus den kleinen Tempeln des Fan-Alltags.
Und an dieser Stelle müssen wir jetzt mal die Metapher wechseln, um die Häschensache noch klarer zu stellen: Bob Dylans Musik ist wie der Stamm eines Mammutbaumes. Die Wurzeln dieses Baumes reichen hinab in die weitverzweigten Gründe der Blues- und Country-Tradition der USA. Die verästelte Krone ist das, was aus Dylans Songs hervorgegangen ist. Die Byrds, die Beatles, Folk, Folkrock, Nobelpreis … und unendlich viel mehr. Und ein klitzekleines Zweigchen in der Krone des Dylan-Baumes, das sind Wolfgang Niedecken und seine Band BAP. Ein deutsches Regionalphänomen mit landesweitem Echo. Wenn man sich Diedrich Diederichsens Diktum von der Sekundarität deutscher Popmusik verdeutlichen will: Voilà!
Außerdem ist Niedeckens Spät-68er-Lässigskeits-Phrasendrescherei ziemlich nervig. »Keine Ahnung, was die geraucht haben« oder »Anyway« oder es wird nichts mit dem »Schönheitsschlaf«. Und noch schlimmer: »auf der Matte stehen«, den Dreh mussten wir »canceln«. Dazu solche Sprüche wie: »sich einen reinlöten« oder »zur Brust nehmen«. So sprechen Leute, die sich selber gerne reden hören. Es fehlt nur das pseudobescheidene Personal-Possessiv-Pronomen »meinereiner«.
Aber abgesehen von der hybriden Häschenhaftigkeit des Erzählers und der hohen Phrasendichte hat das Buch ein geniales Konzept. Niedecken erzählt auf vielen Ebenen und verliert dabei nie die Übersicht. Den roten Faden bildet die Geschichte, wie er im Jahr 2017 mit dem österreichischen Videoregisseur Hannes Rossacher (der wäre das Hündchen in der Häschen-Metapher) eine Dokumentation über Bob Dylan gedreht hat. Dafür reist der Doku-Tross quer durch die USA, um an den wichtigsten Lebensstationen Dylans haltzumachen. Also eine Art Wallfahrt. Es geht von Washington nach New York und Woodstock, also zu Dylans Leben in den 60ern. Dann geht es in den Norden nach Duluth und Hibbing, wo Dylan seine Kindheit und Jugend verbrachte. Und schließlich nach New Orleans, San Francisco, Los Angeles und San Diego, wo am Ende alle Stars landen, wenn sie genug Geld verdient haben.
Einer der vielen Erzählfäden ist Dylans Leben, das Niedecken anhand der Reisestationen abhandelt. Bei diesem Thema ist er natürlich absolut sattelfest. Das Heldenverehrungspathos hält sich in erträglichen Grenzen. Gleichzeitig bringt Niedecken das Kunststück fertig, sein eigenes Leben und seine Karriere als Musiker entlang von Dylans Karrierestationen assoziativ zu verbinden. Dazwischen webt Niedecken immer wieder Erinnerungen an frühere Reisen in die USA ein. Und natürlich berichtet er, wie Dylans Musik das Schreiben seiner eigenen Songs beeinflusst hat. Und das Faszinierende ist: Das liest sich weg wie nix. Und hinterher weiß man etwas über die USA, Dylan und Niedecken. Trotz aller Häschenhaftigkeit.
Wolfgang Niedecken über Bob Dylan. KiWi-Musikbibliothek, Band 11, 240 S., geb., 14 €.
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