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Solaranlagen als Zeichen des Widerstands
Mitten im Braunkohlerevier Lausitz hat eine Bürgergenossenschaft die Energiewende in die eigenen Hände genommen
In der Niederlausitz mangelt es an Dächern. »Wir sind immer auf der Suche«, sagt der Gubener Bauingenieur Matthias Bärmann. Es ist nicht so, dass Wohnhäuser und Werkhallen, Ställe, Krankenhäuser oder Kasernen in der Region an der polnischen Grenze unbedeckt wären. Bärmann aber würde etwas auf Ziegel oder Wellblech draufpacken: Solarpaneele. Er ist Vorstandsvorsitzender der »Solargenossenschaft Lausitz eG« (SoGeLa), in der sich Bürger vereinigt haben, um mithilfe der Sonne saubere Energie zu erzeugen.
20 Solaranlagen betreibt die Genossenschaft in und um Guben, und die Zahl der Interessenten, die Anteile an dem Unternehmen erwerben wollen, ist so groß, dass der Bau weiterer Kleinkraftwerke nicht an fehlendem Kapital scheitern würde: »Uns mangelt es nicht an Geld, sondern an Dächern«, sagt Bärmann. Privatleute freilich lassen sich Solaranlagen zunehmend selbst aufs Dach ihres Einfamilienhauses stellen, und öffentliche Institutionen winken allzu oft ab. Schulen, Kitas, Werkstätten, Krankenhäuser oder Kasernen der Bundeswehr haben zwar große Dächer, aber die Träger wägen Ertrag sowie technischen und bürokratischen Aufwand ab - und lassen es dann sein.
Also suchen Bärmann und seine Genossen nach Dächern wie nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Es gäbe eine Alternative: Solaranlagen auf Wiese oder Feld. Das aber will die SoGeLa nicht. »Acker soll Acker bleiben«, sagt ihr Chef. Die Landschaft soll geschont werden, gerade in einer Region, in der sie mehr als ein halbes Jahrhundert lang aufs Ärgste geschunden wurde.
Die Spuren sind allzu deutlich zu sehen. Wer aus Richtung Süden nach Guben kommt, fährt durch eine Gegend, die sich der Mensch mit Macht unterworfen hat. Um Energie zu gewinnen, wurde und wird Braunkohle gefördert und verfeuert. Die Dampfsäulen über den Kühltürmen des Kraftwerks Jänschwalde stehen strahlend weiß am Himmel; Hochspannungsleitungen ziehen sich bis zum Horizont. Neben Straßen, die sich an das Ausmaß der Kohlegrube angepasst und immer wieder ihren Verlauf geändert haben, erstrecken sich weitläufige, von Schaufelradbaggern ausgehobene Gruben, in denen im Laufe der Zeit viele Dörfer, Wälder, Felder und Wiesen verschwunden sind.
Vor anderthalb Jahrzehnten sollte es auch die Gegend um Guben erwischen. 2007 wurden Pläne bekannt, wonach der Stromkonzern Vattenfall, der damals in der Region die Kohle förderte und Strom erzeugte, seinen Tagebau Jänschwalde nach Norden erweitern wollte. Das hätte das Ende bedeutet für Plätze wie den Deulowitzer See, in dem Bärmann und seine Freunde in Kindheitstagen badeten; für Dörfer wie Kerkwitz und Atterwasch und selbst für Randgebiete der gut 20 000 Einwohner zählenden Stadt Guben.
Meckern allein hilft auch nicht
In der Region flammte Widerstand auf. Zeugnisse davon sind noch vielerorts zu sehen, zum Beispiel am Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr von Kerkwitz. Die wurde, wie auf einem Schild über dem roten Tor zu erfahren ist, im Jahr 1908 gegründet. Hundert Jahre später wollte man das Dorf nicht für die Kohle preisgeben. Bis heute hängt am Spritzenhaus ein Plakat mit einem gelben X der Kohlegegner und der Devise »Wir wehren uns!«. Ein Stück weiter oben gibt es ein zweites Zeugnis des Protests: eine Solaranlage, deren Paneele auf dem Dach in der Sonne blitzen und die, wie ein kleines Schild verkündet, von der SoGeLa errichtet wurde.
Diese und andere Solaranlagen zeigen: Die Genossenschaft hatte ihren Ursprung im Widerstand. »Wir wollten der Kohle etwas entgegensetzen«, sagt Bärmann. Weil aber, wie er hinzufügt, »meckern allein auch nicht hilft«, gründeten er und zunächst neun Mitstreiter eine Genossenschaft. Sie wollten beweisen, dass man nicht Braunkohle verfeuern muss, um Strom zu erzeugen. Im Bündnis mit der Sonne begannen sie quasi am Tagebaurand demonstrativ für die Energiewende zu arbeiten.
Die Form des Widerstands, die Bärmann & Co. wählten, hätte jeder für sich selbst organisieren können; eine Solaranlage kann sich jeder Hauseigentümer aufs Dach schrauben lassen. Sie entschieden sich jedoch für die Gründung einer Genossenschaft. Das sei eine »urdemokratische« Form gemeinsamen Wirtschaftens, sagt der Elektromeister und Mitgründer Udo Schmidt: »Jeder hat genau eine Stimme, unabhängig davon, wie viel Geld er einbringt.« Jeder Bürger, der Interesse hatte, sollte mittun können, fügt Bärmann hinzu: »Das stärkt den Kohle-Widerstand.« Im Juli 2009 wurde die Solargenossenschaft ins Leben gerufen. »Zu zehnt saßen wir um diesen Tisch herum«, erinnert sich Bärmann in seinem Architektenbüro. Das neue Unternehmen wurde beim Amtsgericht Cottbus ins Genossenschaftsregister eingetragen, »nach sehr gründlicher Prüfung, weil man so etwas dort noch nicht erlebt hatte«. Zwei Monate später ging im Dorf Groß Gastrose auf dem Dach eines kleinen Mietshauses die erste eigene Anlage ans Netz, »genau einen Tag nach der Bundestagswahl«, erinnert sich Schmidt.
Zwölf Jahre und drei Wahlperioden später ist die Genossenschaft etabliert. Die 20 Solaranlagen, die sie mittlerweile in Guben und Umgebung betreibt, stehen auf Wohnhäusern und Kindergärten, dem Dach der Feuerwehr in Kerkwitz und dem Bettenhaus des Gubener Krankenhauses. Aus zehn Mitgliedern sind 180 geworden, die insgesamt fast 2000 Anteile halten. Deren Preis wurde mit 250 Euro bewusst niedrig angesetzt, damit auch Menschen mit wenig Vermögen eintreten können. Die Genossen kommen nicht nur aus der Umgebung, sondern auch aus anderen Teilen der Republik »von Bayern bis Friesland«, sagt SoGeLa-Vorstand Bärmann. Als sich die Genossenschaft einmal in Berlin bei einem Umweltkongress präsentierte, trudelten wochenlang Aufnahmeanträge ein, »manchmal fünf oder sechs am Tag«. Viele Mitglieder halten nur einen oder zwei Anteile; ein Indiz dafür, dass es ihnen »vor allem darum geht, die Genossenschaft zu stärken«, fügt Bärmann an: »Sie wollen ein Stück weit die Welt verbessern.«
Ökonomie und Ökologie gleich wichtig
Allerdings: Für die Gründung der Genossenschaft mögen umweltpolitische Motive den Ausschlag gegeben haben; grundsätzlich aber ist sie ein Wirtschaftsunternehmen. »Für uns sind Ökonomie und Ökologie gleichermaßen wichtig«, sagt Bärmann. Die SoGeLa-Anlagen erzeugen Strom, der teils direkt verbraucht und teils ins Netz eingespeist wird, wofür eine im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegte Vergütung gezahlt wird. Das rechnet sich für das Unternehmen und dessen Mitglieder. Für 2019 weist der Geschäftsbericht einen Gewinn von mehr als 114 000 Euro aus, im Jahr zuvor knapp 93 000 Euro. Über die Jahre wurden die Überschüsse teils in neue Anlagen investiert, und teils, wie in Genossenschaften üblich, an die Mitglieder ausgeschüttet. Wichtig für das Geschäft der Genossenschaft sind auch 120 Stromkunden, die Sonnenstrom beziehen. Sie müssen dazu nicht in der Lausitz wohnen: Der Strom wird über die »Bürgerwerke Heidelberg« vertrieben; nicht zuletzt viele Berliner seien zu ihnen gewechselt, sagt Schmidt. Wie viel sie für die Kilowattstunde zahlen, hängt sehr von den Gebühren der jeweiligen Netzbetreiber ab. Um die Entscheidung zu erleichtern, hat die SoGeLa auf ihre Internetseite einen Tarifrechner gestellt.
Das in der Lausitz praktizierte Modell ist auch andernorts in der Bundesrepublik populär. Zwar sei die SoGeLa einst »eine der ersten Energiegenossenschaften« gewesen, sagt Vorstandsmitglied Udo Schmidt. Nach dem Atomunfall im japanischen Fukushima aber wollten Menschen in vielen Regionen Deutschlands auf saubere Energie setzen und die Versorgung damit in eigene Hände nehmen. Mittlerweile gibt es 843 solcher Genossenschaften mit rund 200 000 Mitgliedern, erklärt die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV). Sie spielten damit eine »wichtige Rolle beim Ausbau einer sicheren und erneuerbaren Energieversorgung«, sagte bei einem virtuellen Bundeskongress Ende Februar der CDU-Politiker Thomas Bareiß, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.
Sie könnten allerdings noch eine größere Rolle spielen, wenn die Bundespolitik die Bedingungen für sie verbessern würde. Die Anfang 2021 in Kraft getretene EEG-Novelle werde dazu führen, dass »Bürgerenergieprojekte verdrängt werden«, prophezeite der DGRV-Vorstand Eckardt Ott bei dem Kongress: »Das ist nicht gut für die Akzeptanz.« Grund sei eine Regelung, wofür bei Solaranlagen mit einer Leistung ab 300 Kilowatt Peak nur noch die Hälfte des erzeugten Stroms nach dem EEG vergütet wird, der Rest muss selbst genutzt oder verkauft werden - zu Preisen, die derzeit im Keller sind. Alternative sei die Beteiligung an einer Ausschreibung, was aber große Anbieter bevorteile. Nach Angaben des DGRV sind 80 Prozent der Energiegenossenschaften in der Photovoltaik aktiv. Für die Bundestagswahl stellte die Bundesgeschäftsstelle sieben Forderungen auf, die Energiegenossenschaften auf dem Markt »fördern und stärken und nicht weiter ausschließen« sollen.
Bei der SoGeLa wünscht man sich vor allem verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen; für im Ehrenamt tätige Vorstände sei es schwierig, sich permanent in neue Regularien einzuarbeiten, sagt Schmidt. Auch er hat den Eindruck, dass man »versucht zu verhindern, dass Strom in Bürgerhand kommt«. Nur ein Beispiel dafür, dass die Kleinen benachteiligt werden: Der von den Solaranlagen der Genossenschaft erzeugte und am Ort verbrauchte Strom wird trotzdem mit der EEG-Umlage belastet, »obwohl er kein Stromnetz in Anspruch nimmt«, sagt Schmidt. Konzerne wie Leag, die mittlerweile in der Lausitz den Kohlestrom erzeugt, zahlen diese nicht. Das ist Ausdruck von politischem Einfluss. »Da geht es um Macht«, sagt Schmidt, »und die haben nicht wir.«
Dennoch behauptet sich die Genossenschaft - und es sieht sehr danach aus, dass sie auch das Ende der Kohle überdauert. 2017 schon entschied Leag, dass der Tagebau Jänschwalde doch nicht erweitert wird. Inzwischen ist klar, dass die Kohleverstromung in Deutschland generell beendet wird und bis 2038 auch in der Lausitz das letzte Kraftwerk vom Netz gehen wird. Die Zukunft soll den erneuerbaren Energien gehören, was selbst jene akzeptieren, die bisher allein auf fossile setzten: Die Leag hat Windräder am Rand des Tagebaus errichten lassen.
Entlastung für die Ehrenamtlichen
Auch die SoGeLa hat Ausbaupläne. Demnächst soll eine neue Anlage auf einem Bildungszentrum in Cottbus installiert werden und eine weitere auf einer Kirche im sorbischen Schleife. Zudem hofft man auf ausreichend Sonne für bestehende Anlagen wie die bei der Feuerwehr in Kerkwitz - und darauf, dass weitere Dächer genutzt werden können. Das wäre wichtig für die Energiewende - und hilfreich auch für die persönlichen Zukunftspläne von Bärmann und seinen Vorstandskollegen. Vielleicht, so ihre Hoffnung, ist die Genossenschaft irgendwann so umsatzstark, dass sich ein Angestellter um die Geschäfte kümmern kann und die Gründer und ehrenamtlich tätigen Vorstände entlastet werden. »Die Anlagen, die wir jetzt installieren, laufen 20 Jahre«, sagt Bärmann: »In zwei Jahrzehnten möchte ich diese Aufgabe gern abgegeben haben.«
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