Vom Knast ins Parlament

»Ostpunk!« - Ein Kinofilm porträtiert sechs einstige Protagonisten der DDR-Szene

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 2 Min.
Zeitgleich mit der Neuauflage der Ausstellung »Too Much Future - Ostpunk« in Dresden (s.u.) kommt ein gleichnamiger Film in die Kinos. Sechs DDR-Punks der ersten Stunde berichten darin über ihr damaliges und über ihr heutiges Leben.
Nichts traf das Lebensgefühl der ersten Punks in Westeuropa besser als ein Schlachtruf der Sex Pistols: »No Future«. So radikal wie diese Jugendlichen die Normen mit ihren Stiefeln traten, hatte das niemand zuvor getan - totale Verweigerung als Antwort auf die Perspektivlosigkeit einer kranken Welt. Von Großbritannien aus schlug der Funke auf viele andere Länder über. Auch auf solche, die sich dem Sozialismus verschrieben hatten und meinten, ihrer Jugend den »richtigen« Weg zu weisen. Auch auf die DDR. Über einen Mangel an Perspektiven konnte man hier kaum klagen. Es waren eben bloß nicht die Eigenen. Der Aussicht, ein durchplantes Leben absolvieren zu sollen, widersetzten sich Punks in der DDR auf existenzielle Weise. Während Teile der »No Fu- ture«-Subkultur im Westen recht bald in Vermarktungsmaschinen weichgespült wurden, bedeutete Punk-Sein im Osten Überwachung, Verfolgung, Demütigung, Knast. Unter dem Titel »Too Much Future« widmet sich neben der Ausstellung und dem dazugehörigen Buch (Verbrecher Verlag, 224 S., brosch., 16,80 ¤) nun auch ein Dokumentarfilm dem DDR-Punk. Carsten Fiebeler und Michael Boehlke porträtieren darin sechs heutige Mittvierziger, die in ihrer Jugend alles aufs Spiel setzten, was ihnen ohnehin nicht viel wert war. Collageartig fügt der raffiniert geschnittene Film Archiv-Bilder und O-Töne zu einem aussagekräftigen Bild dieser Jugendbewegung zusammen. Sogar ein Ex-MfS-Leutnant war bereit, sich vor der Kamera an seinen Umgang mit den damaligen Staatsfeinden zu erinnern. Am beeindruckendsten aber sind die charismatischen Protagonisten. Obgleich nicht mehr als Punks erkennbar, strahlen sie bis heute etwas Rebellisches aus. Rebellion gegen das System ist das allerdings nicht, eher Rebellion gegen die Starre des Alltags: Cornelia Schleime findet damals wie heute in der Kunst ihren Ausweg. Der Gerüstbauer Mike Göde spürt in luftigen Höhen das Abenteuer und überwindet bei Auftritten mit seiner Band Punishable Act sogar seine Sprachstörung. Die sensible Mita Schamal wirkt selbst als Mutter noch wie ein zerbrechliches Kind, auch sie malt. Längst angekommen als technischer Leiter in einem großen Essener Theater, scheint Daniel Kaiser noch immer ein Getriebener zu sein. Mario Schulz, der warmherzige Coole, trägt jetzt Glatze, Muskeln und Tattoos, seine Knastkarriere hat der »Colonel« im Westen fortgesetzt. Und Bernd Stracke? Einst Sänger der Leipziger Band »Wutanfall«, ist er heute vor allem Vermittler: u.a. als Stadtrat in Löbau. Eine Art Versöhnungsanfall - auch gegenüber der eigenen Vergangenheit. »Ostpunk! Too Much Future« läuft in Berlin (Kulturbrauerei, Central, Moviemento, Filmtheater am Friedrichshain), Dresden (Schauburg), Leipzig (Nato), Potsdam (Thalia), Düsseldorf (Black Box), Chemnitz (Clubkino), Jena (Schillerhof), München (Monopol), Hamburg (3001), Frankfurt/Main (Mal sehn), Köln (Filmhaus), Halle (Lux), Nürnberg (Filmhaus)

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