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Ein neuer Kampfbegriff
Die Regierung Macron wittert eine Allianz aus Linken und Islamisten
Seit Emmanuel Macrons Bildungsministerin Frédérique Vidal eine Untersuchung des »Islamo-Gauchisme«, der vorgeblichen Allianz von Linken und Islamisten, an den französischen Universitäten angekündigt hat, ist die Aufregung dort groß. Dass Vidal sich unverfroren diesen »Klassiker« der rechtsradikalen Le-Pen-Polemik zu eigen macht, stößt wie zu erwarten auf Widerstand. In einer Petition sprachen sich 600 Intellektuelle für Vidals Rücktritt aus, darunter Größen wie der Ökonom Thomas Piketty oder die Soziologin Dominique Méda. Die Motivation Vidals, so heißt es dort, entbehre jeder empirischen Grundlage. Immer wieder taucht in den Wortmeldungen die Analogie zum NS-Kampfbegriff des »Judéo-Bolchévisme« auf, unter dem auch die französischen Universitäten ab 1940 von jüdischen Mitgliedern »gesäubert« wurden.
Das Vorgehen Vidals entspricht einem politischen Trend der vergangenen Jahre: Macron und seine Regierung orientieren sich immer stärker nach rechts. Im Parlament ist man auf die Stimmen der alten Sarkozy-Partei Les Républicains angewiesen, die Umfragewerte sind schlecht. So inszeniert sich der eigentlich programmatisch profillose Macron zunehmend als Präsident für Recht und Ordnung. Die landesweite Wut nach dem Mord an dem Lehrer Samuel Paty im November 2020 und der schon bei den Gelbwesten erkennbare Hass weiter Teile der Bevölkerung auf die »kosmopolitischen« Eliten der Hauptstadt haben Macrons Kalkül verschoben. Anders als bei der Wahl 2017 versucht er, das Image des weltgewandten Eliteschülers zu verbergen. Die Hauptkonkurrentin Marine Le Pen, die sich bewusst vulgär gibt und als »Stimme des Volkes« inszeniert, wird auch für ihn immer mehr zum Maßstab.
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Gleichzeitig ist kaum zu verkennen, dass der Vorwurf einer Allianz von Linken und Islamisten in Frankreich weitaus plausibler zu begründen ist als hierzulande. Das trifft den wundesten Punkt einer Linken, die sich seit dem spektakulären Niedergang der kommunistischen Partei (PCF) in den 1980er Jahren in einer Dauerkrise befindet. In klassischen PCF-Hochburgen wie dem Pariser Vorort Saint-Denis veränderte sich infolge der Migration aus den Ex-Kolonien Libanon, Algerien, Marokko und Tunesien die soziale Zusammensetzung stark. Traditionell »antiimperalistisch« positioniert, umwarb die radikale Linke die neuen Mitbürger mit Parolen, die sich oberflächlich wenig von den islamistischen Diskursen ihrer Heimatländer unterschieden. Dort hatte sich etwa die FLN - jene schon von Sartre bewunderte nationalrevolutionäre Partei der algerischen Revolution - seit den 1980er Jahren öffentlich dem Islamismus zugewandt. Immer wieder kam es nun zur Zusammenarbeit von Linken und islamistischen Akteuren, ob bei Demonstrationen für die Freiheit Palästinas oder gegen die profranzösische algerische Regierung im dortigen Bürgerkrieg - in der, wie schon vorher im Iran, unzählige Linke der islamistischen Revolte zum Opfer fielen.
Begünstigt durch die zweite Intifada und den dritten Golfkrieg verschärfte sich diese Tendenz in den frühen 2000er Jahren. Organisationen der Muslimbrüder initiierten gut organisierte Social-Media-gestützte Kampagnen gegen öffentliche Personen, die man der Beleidigung des Islam bezichtigte. Der antiimperialistische »radical chic« ihres Wortführers Tariq Ramadan verfing auch bei linksliberalen Franzosen. Dabei gelang es den Islamisten durchaus erfolgreich, jegliche Kritik an ihrer Politik des Rassismus verdächtig zu machen. Die Versuche der Linken, stattdessen die schlechte soziale Lage vieler Migranten und ihre Diskriminierung auf Arbeits- und Wohnungsmärkten zu skandalisieren, zeitigten dagegen weniger Wirkung. Zunehmend eingezwängt zwischen der »Identitätspolitik« von radikal rechter und islamistischer Seite, wirkt sie bis heute überfordert.
Kritische Äußerungen zum widersprüchlichen Verhältnis der Linken gegenüber islamistischen Akteuren gibt es schon seit längerem. In einem Artikel für »Le Monde« legte Jean Birnbaum nach dem Tod Patys den Finger in die Wunde: Weil die Linke sich in ihrem avantgardistischen Narzissmus zu sehr gefalle, sei sie unfähig, den Islamismus als politisches Phänomen ernstzunehmen. Lieber bagatellisiere sie ihn als irregeleitete Reaktion einer unterdrückten Minderheit, der sie die Fähigkeit zur autonomen Meinungsbildung abspreche. Das ist Birnbaum zufolge selbst ein Zeichen dafür, wie tief der koloniale Paternalismus auch bei jenen verankert sei, die ihre antikoloniale Gesinnung demonstrativ vor sich her tragen. Eine Linke, die noch immer glaube, die Islamisten für ihre Zwecke nutzen zu können, unterschätze deren politische Ressourcen auf geradezu dramatische Weise. Gefangen in der Arroganz überholter Vorstellungen vom »Absterben der Religionen«, lasse sie sich von den realen Entwicklungen überholen. Passend dazu beklagten auch immer wieder Linke aus den maghrebinischen Staaten die fehlende Solidarität ihrer französischen Genossen mit ihrem Kampf gegen den religiösen Radikalismus.
Von derart bedenkenswerter Kritik ist die derzeitige Kampagne der Regierung Macron jedoch weit entfernt, schließlich liegt die Selbstzerstörung der radikalen Linken ganz in ihrem Kalkül. Der Kampfbegriff »Islamo-Gauchisme« zielt bei ihr stereotyp auf eine vermeintliche Verschwörung der neulinken »postmodernen« Geisteswissenschaften an den französischen Universitäten. Diese nämlich bereiten Vidal zufolge mit ihrer »multikulturalistischen Ideologie« den Humus für die islamistische Insurrektion. Analog zur islamistischen Territorialpolitik in den Banlieus betreiben demzufolge die »Postmodernen« eine Art schleichende Säuberung der akademischen Szenerie von allen Stimmen, die ihnen unliebsam sind. Bezeichnenderweise geht es dabei unter anderem auch um die Aufarbeitung der französischen Kolonialgeschichte - sowie des Algerienkrieges, dessen Frontlinien sich in Frankreich im Grunde bis in die Gegenwart gehalten haben. Kolonial- und Rassismusforschung gilt der Regierung Macron als »unpatriotisch«.
So unverkennbar die fatale Toleranz vieler linker Intellektueller gegenüber dem politischen Islamismus ist, so deutlich zielt Vidals Vorstoß damit auf allgemeine Denunziation. Warum gerade eine kritische Geschlechterforschung dem antifeministischen Programm der Muslimbrüder in die Karten spielt, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Der Fingerzeig auf die Geisteswissenschaften sowie auf studentische Gruppen, denen »Islamophobie« - anders als »Judäophobie« - eine Herzensangelegenheit ist, dürfte jedoch ohnehin wenig mehr sein als eine willkommene Möglichkeit, im Wählermilieu Le Pens zu fischen. Von einer politisch weitgehend pulverisierten Linken hat Macron, dessen Regierung selbst enge Kontakte mit den Golfmonarchien pflegt, ohnehin schon seit Jahren keine ernsthafte Konkurrenz mehr zu fürchten. Seine prospektiven Gegner bei den Wahlen 2022 stehen allesamt rechts.
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