Wo Essen entsteht

Über die Landwirtschaft in Deutschland gibt es erstmals seit einem Jahrzehnt wieder aktuelle Daten

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 5 Min.

Menschen in Deutschland verzehren im Schnitt rund 50 Kilogramm Milch und gut 80 Kilo Getreide pro Jahr. Die Milch stammt auch von Kühen, die hierzulande in Ställen und auf Weiden leben. Die Haltung der Rinder hat sich stark verändert, und die Äcker, auf denen Getreide wächst, sind viel größer als früher. Gleichzeitig gibt es heute weniger Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft.

Dies und noch viel mehr hat die »Landwirtschaftszählung 2020« des Statistischen Bundesamts ergeben. Erstmals nach 2010 gaben Landwirtinnen und Landwirte hierfür wieder Auskunft über ihre Betriebe. Die Daten zeigen große Trends, etwa zur Tierhaltung und zum Öko-Landbau. Hier ist eine Auswahl der Ergebnisse.

Große Betriebe und kleine Höfe: Die landwirtschaftlichen Betriebe umfassten im vorigen Jahr im Durchschnitt 63 Hektar und waren damit so groß wie nie. Dieser Mittelwert ist Folge eines Konzentrationsprozesses: Es gibt heute mehr Großbetriebe über 100 Hektar und weniger kleine Höfe. 14 Prozent aller Betriebe bewirtschaften mittlerweile 62 Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche, die sich insgesamt kaum verändert hat.

Erbsitten und Politik: In Süddeutschland gibt es viel mehr kleine Bauernhöfe als im Norden und Osten. So waren in Baden-Württemberg zuletzt nur 8 Prozent der Betriebe größer als 100 Hektar, in Niedersachsen waren es schon 22 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern sogar 46 Prozent.
Im Südwesten war es lange Zeit üblich, die Höfe unter allen Erben aufzuteilen. Weil sie immer kleiner wurden, konnten viele Familien von den Erträgen nicht mehr leben und verdienten sich etwas dazu, zuerst im Handwerk, später in der Industrie. Dies führte laut Wikipedia dazu, dass sich viele württembergische Arbeiter, die gleichzeitig Bauern waren, nicht als Angehörige des Proletariats fühlten.

Noch heute gibt es in Baden-Württemberg sehr viele Nebenerwerbslandwirte, die etwa in der Autoindustrie arbeiten und nach Feierabend auf den Acker fahren.
Anders war die Entwicklung in der ehemaligen britischen Besatzungszone, also etwa in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Hier gibt es eine Höfeordnung, erläutert Iris Flentje, Beraterin bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Demnach soll der Hof als Ganzes erhalten bleiben, darf nur an eine Person vererbt werden, die ihn auch bewirtschaften kann. Die anderen Erben werden abgefunden, und zwar mit sehr geringen Beträgen, die niedriger sind als anderswo.

In Ostdeutschland sind viele Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften der DDR nach 1990 Großbetriebe geblieben. Wobei große Landgüter mancherorts eine lange Tradition haben, man denke nur an die ostelbischen Junker, so der Agrarwissenschaftler Bernhard Forstner vom Thünen-Institut in Braunschweig.

Die Tiere: Leben Schweine im Freien, verbringen sie einen Großteil des Tages mit Nahrungssuche, sie durchwühlen den Boden mit dem Rüssel, um Wurzeln oder Käfer aufzuspüren. In Ställen mit Vollspaltenböden geht das nicht, oft gibt auch keine andere Beschäftigung. Dies ist ein Grund dafür, dass sich die Tiere durch gegenseitiges Schwanz- und Ohrenbeißen verletzen. Die harten Böden führen zudem oft zu Gelenkerkrankungen. Dennoch müssen heute mehr Schweine als früher auf Vollspaltenböden leben: 79 Prozent aller Haltungsplätze haben mittlerweile solche Böden.

Die meisten Rinder, zu denen Milchkühe gehören, werden in Laufställen gehalten. Die Anbindehaltung, bei der sich die Tiere nur minimal bewegen können, ist auf 10 Prozent zurückgegangen. Etwa die Hälfte dieser Rinder kommt zeitweise auf eine Weide. Insgesamt können 32 Prozent aller Rinder zeitweise draußen grasen.
Bei Legehennen dominiert die Bodenhaltung, auch im Freiland leben mittlerweile mehr Tiere. In Käfige werden noch rund 4 Prozent gesteckt. Zwar gilt seit 2010 ein Verbot von konventionellen Käfigen (Legebatterien), andere Formen wie Kleingruppenkäfige sind aber noch bis 2025 erlaubt.

Bio-Bauern: Die ökologisch bewirtschaftete Fläche ist innerhalb eines Jahrzehnts um fast 70 Prozent gewachsen. Allerdings werden immer noch lediglich 9,6 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche ökologisch bearbeitet. 8 Prozent aller Rinder werden nach Öko-Kriterien gehalten und nur ein Prozent aller Schweine. Auf Bio-Bauernhöfen gibt es hierzulande sogar mehr Schafe als Schweine.

Beschäftigte: Zwar ist nicht überraschend, dass es heute weniger Beschäftigte in der Landwirtschaft gibt als vor einem Jahrzehnt. Zuletzt waren es noch 937.000 Menschen. Erstaunlich ist eher, dass die Zahl der ständig angestellten Arbeitskräfte stark gestiegen ist auf 229.300 Personen. Dagegen gibt es viel weniger Saisonarbeitskräfte (271.500) und auch weniger Familienarbeitskräfte (436.100), zu denen Bauer und Bäuerin sowie mitarbeitende Kinder und andere Verwandte zählen.

Der Hauptgrund hierfür liege im zunehmenden Kapitaleinsatz in der Landwirtschaft, so der Agrarwissenschaftler Forstner. »Es werden immer mehr Maschinen eingesetzt, zum Beispiel bei der Pflege und Ernte im Gemüsebau, weswegen weniger Saisonarbeitskräfte benötigt werden.« Zudem gebe es mehr größere Betriebe, die tendenziell mehr Lohnarbeitskräfte beschäftigen. Die Auslagerung von Arbeiten an spezialisierte Dienstleistungsunternehmen wie Maschinenringe trage ebenfalls zum Rückgang der Beschäftigten in der Landwirtschaft bei.

Einkünfte: Zu den Einkommen hat das Statistische Bundesamt lediglich allgemeine Informationen veröffentlicht. So gaben im vorigen Jahr 42 Prozent der Betriebe an, Umsätze aus zusätzlichen, auf dem Hof betriebenen Aktivitäten zu erwirtschaften, viele haben Solar-, Windkraft- oder Biogasanlagen.

Wie die Arbeit auf dem Bauernhof vergütet wird, ist schwer zu erfassen, auch wegen der unterschiedlichen Beschäftigungsformen. So gibt es neben Angestellten eben immer noch viele Familienangehörige, die keine Gehaltsabrechnung erhalten.
Das Landwirtschaftsministerium veröffentlicht dazu Daten, die Folgendes besagen: Im Wirtschaftsjahr 2019/20 betrug das durchschnittliche Bruttoeinkommen in landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieben pro Arbeitskraft rund 37.400 Euro. Dieser Betrag ist umgerechnet auf Vollzeitstellen.
Berücksichtigt sind hierbei nur Einkommen aus landwirtschaftlicher Tätigkeit und gewerblichen Nebenbetrieben, nicht aber Einkommen aus selbstständigen gewerblichen Betrieben, zu denen etwa große, professionell betriebene Biogasanlagen gehören, erläutert Forstner. Auch nicht erfasst sind Einkommen aus Vermietung und Verpachtung, Kapitalvermögen oder abhängiger Beschäftigung.

Generell nicht berücksichtigt sind Nebenerwerbsbetriebe, bei denen die Menschen häufig überwiegend außerhalb der Landwirtschaft arbeiten und Geld verdienen.
Fest stehe bei alldem eins, so Forstner: Die Unterschiede bei den individuellen Einkommen der Beschäftigten in der Landwirtschaft sind sehr groß.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.