Rache am weltgrößten Idiotenchor

Die Doku »Schwarze Adler« porträtiert deutsche Nationalspieler mit dunkler Hautfarbe und zeigt ein Land, das bis heute rassistisch ist

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Rache, so heißt es selbst in Zeiten zivilisierterer Problemlösungskonzepte, ist süß. Dass Rache auch ganz schön lustig sein kann, belegt dagegen einer, der allen Grund zur Vergeltung hätte: Jimmy Hartwig. Anfang der 80er Jahre beschimpften Deutschlands Fußball-Hooligans den farbigen Offenbacher in Diensten des HSV mal wieder mit Worten, die nun unterm N-Wort firmieren. Da sei er in die Kurve gegangen und habe den Takt vorgegeben. Hartwig grinst fröhlich, als er die Anekdote erzählt: »Ich habe den größten Idiotenchor der Welt dirigiert.«

Humor ist eben, noch ein Sprichwort, wenn man trotzdem lacht. Und zu lachen gab es wenig für Menschen wie den Sohn eines US-Soldaten. Im Gegenteil. Wenn Torsten Körner in seiner Amazon-Doku »Schwarze Adler« knapp zwei Stunden lang schildert, wie es deutschen Nationalspielern und -spielerinnen dunkler Hautfarbe im Land der industriellen Auslöschung Andersartiger ergangen ist, könnte man ständig heulen. Über Erwin Kostedde zum Beispiel. Als der Sprössling eines afroamerikanischen GIs nach Holocaust und Krieg in Münster aufwächst, ist sein Teint Anlass für drastische Vorurteile. Aus den Erinnerungen des 74-Jährigen ist allerdings keinerlei Bitterkeit darüber herauszuhören. Eher schon nüchterner Pragmatismus im Umgang mit lebenslangem Rassismus, der beim Zusehen demütig macht und stumm.

»Ich bin ein harter Hund gewesen«, berichtet Kostedde über eine Kindheit voller Kränkungen, der eine Bundesligakarriere mit unverändert verbalen Attacken folgte, »aber das lässt einen nicht los.« Und weil er es so unverstellt, bewegend, nachsichtig ausdrückt - weil auch die wachsende Zahl von Nachfolgern des ersten nichtdeutschen Auswahlspielers trotz aller Ablehnungen, die jenen bis heute entgegenschlägt, so gradlinig bleiben, so aufrecht und würdevoll -, lässt einen dieser Film kaum mehr los. Schließlich arbeitet Hartwig sich chronologisch durchs Gedärm einer fußballverrückten Nation, deren beste Elf nie nur Topsportler waren, sondern Volksdeputierte, Projektionsflächen, Platzhalter für 80 Millionen Bundestrainer mit mehrheitlich rückständiger Auffassung von Zugehörigkeit und Integration.

Von Erwin Kostedde oder Anthony Baffoe über Beverly Ranger und Steffi Jones bis zu Gerald Asamoah, Patrick Owomoyela, Jordan Torunarigha erzählen uns Körners Protagonisten also aus einem Land, das ihnen zwar das Wichtigste verdankt, was es abseits von Familie, Beruf, und Autos hat. Dankbarkeit, gar Anerkennung darf dafür allerdings bis heute keiner erwarten. Das macht die Doku »Schwarze Adler« zur sehenswerten Studie einer abweisenden, selbstgerechten, im Kern unverändert xenophoben Gesellschaft, die im gewaltigen Kontrast zu den Opfern ihrer Ablehnung steht.

Sie alle nämlich vermitteln ein gleichsam warmherziges wie sachliches Heimatgefühl, dass die CSU vor Neid erblassen müsste. Ohne Pathos und Patriotismus äußern alle Titelhelden ihren Stolz, das deutsche Trikot zu tragen. Selbst Leroy Sanés Vater Souleymane, den Anfang der 90er Jahre noch das komplette Stadion von Energie Cottbus mit Affengebrüll bedachte, fühlt sich aufrichtig geborgen. Und wenn Ex-Jugendnationalspielerin Shary Reeves betont, sie »liebe dieses Land«, aber weinend »und es macht so müde« hinzufügt, zeigt die deutsch-afrikanische Kölnerin mehr Herz für ihren Lebensmittelpunkt als ein ganzer AfD-Parteitag.

Diesen Kontrast zwischen Anspruch und Realität vertont Regisseur Körner mit Variationen der Nationalhymne, die mal gutmütig klingen, mal bedrohlich, aber stets passend zum Lebensgefühl seiner Zeitzeugen. Eher düster klingt sie bei der Aussage von Otto Addo, Sohn eines ghanaischen Arztes und heute Jugendtrainer in Dortmund. Ob bei der Wohnungs- oder der Jobsuche, klagt der Deutsche Meister von 2002 mit Hamburger Akzent, die Probleme dunkelhäutiger Menschen seien »dieselben wie vor 20, 30 Jahren«. Oder 1975, als der damals zweitbeste Mittelstürmer das dritte Länderspiel machte. Es war zugleich sein letztes.

»Schwarze Adler«, ab 15.4. auf Amazon Prime Video

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.