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Die unbesungenen Helden
Bankspieler werden allzu oft übersehen. Bei Berlins Volleyballern darf einer von ihnen aber gerade glänzen
Im Mannschaftssport wird der Lohn für all die harte Arbeit im Training bei weitem nicht jedem zuteil. Manch einer kommt aber in seinen Genuss, wenn mit Belohnung kaum zu rechnen ist. Als die Berlin Volleys vor gut einem Monat in die Playoffs um die deutsche Volleyballmeisterschaft starteten, war das Signal von Trainer Cédric Énard klar: »Jetzt muss unsere Formation stehen, wir haben keine Zeit mehr für Experimente.« Wer es bis jetzt also nicht zum Stammspieler geschafft hatte, der wird es bis zum Saisonende auch nicht mehr. Der US-Amerikaner Cody Kessel war einer jener Aussortierten, die höchstens noch Chancen für Kurzeinsätze bekommen sollten. Dann aber half er im letzten Halbfinalspiel gegen Düren, diese entscheidende Partie noch zugunsten der Berliner zu drehen. Und auch in der Finalserie gegen den VfB Friedrichshafen ist Cody Kessel zum geheimen Trumpf der Volleys geworden. Die ersten beiden Partien haben die Berliner schon gewonnen, am Donnerstag könnten sie sich auswärts endgültig zum Meister krönen.
»In allen Teams gibt es diesen einen Typen, der nur als Auswechselspieler von der Bank kommt, wenn es mal nicht läuft«, beschreibt Kessel seine Rolle. »Er trainiert die ganze Saison so hart wie die Stammspieler, bereitet sich genauso gewissenhaft auf die Gegner vor, und doch kommt er nie wirklich dazu, das mal zu zeigen. Ich bin froh, dass ich jetzt dem Team helfen konnte. Leider geht die Geschichte aber meistens anders aus«, weiß er. Nicht so dieses Jahr: Sowohl gegen Düren, als auch in Spiel eins gegen Friedrichshafen kam Kessel noch von der Bank, um ein Comeback anzustoßen. In Spiel zwei gehörte der 29-Jährige dann schon zur Startformation - und das dürfte sich in der vielleicht schon letzten Partie der Saison wiederholen.
Dabei ist Kessel sonst dafür da, spät im Match für neue Energie zu sorgen: die Glut wieder zu entzünden, wenn die emotionalen Flammen erloschen sind. »Das ist zu meiner Rolle geworden«, sagt er. »Doch die musste ich erst mal annehmen und lernen.« Als der US-Amerikaner noch in Lüneburg spielte, war er der Star des Teams, bekam viele Pässe und musste die schwierigsten Aufgaben im Angriff lösen. Doch in Niedersachsen hatte er keine realistischen Titelchancen, also wechselte er 2019 zum Serienmeister Berlin Volleys, musste sich dort aber erst einmal hinten anstellen und seine Persönlichkeit verändern. »Früher war ich eher die ruhige, ausgeglichene Präsenz auf dem Feld. Dass ich jetzt anderen Energie geben soll, dafür musste ich mich weiterentwickeln. In meiner ersten Saison in Berlin habe ich das für mich so angenommen, denn ich wusste schnell, dass ich in diesem starken Team keinen Anspruch auf einen Stammplatz haben würde. Mittlerweile macht mir diese neue Aufgabe sogar sehr viel Spaß.«
Den erkennt man jedes Mal, wenn der 1,97 Meter große und zudem überaus sprunggewaltige Kessel einen Punkt macht. Dann hüpft er wie ein Sechsjähriger wild übers Feld, die Arme weit ausgebreitet, das Lachen bis über beide Ohren gezerrt. Neben seinen eher ruhigen Berliner Kollegen wirkt das meist etwas zu dick aufgetragen, irgendwie unpassend. Doch die Mitspieler lassen sich stets davon aufwecken und mitziehen.
Dabei hat sich Kessel oft genug selbst erst von diesem Spaß überzeugen müssen. »Es kommt vor, dass du die beste Trainingswoche deines Lebens hattest, und dann spielst du am Wochenende trotzdem nicht, weil die anderen als Mannschaft gerade gut funktionieren. Dann erinnere ich mich daran, dass ich ihnen mit meinem guten Training dabei geholfen habe, sich zu verbessern - auch wenn man das später in keiner Statistik nachlesen kann.«
Insofern steht Kessel für diese so selten erzählte Geschichte im Sport: Selbst die größten Stars werden nur besser, wenn sie im Training von guten Mitspielern gefordert werden. »Wir haben eine starke B-Mannschaft«, sagt Kessel über sich und seine Berliner Bankkollegen. Im Training gab es Phasen, in denen wir unsere Stammformation ständig geschlagen haben. Wir arbeiten alle hart, pushen sie ständig nach vorn.»
Die letzten drei Titel gewannen die Berlin Volleys im Finale stets gegen Friedrichshafen, obwohl sie in der Hauptrunde noch hinter dem Team vom Bodensee gelegen hatten. Das scheint sich auch in diesem Jahr zu wiederholen, und der Schlüssel für die späten Berliner Formsteigerungen sind starke Bankspieler wie Cody Kessel. Denn sie leisten die nötige Gegenwehr im Training. «Unsere B-Reihe hat verstanden, dass sie immer ihr Maximum geben muss, selbst wenn die Jungs dann vielleicht trotzdem nicht spielen. Sie werden dadurch selbst besser, vor allem aber werden wir als Mannschaft besser. Das ist eine große Stärke unseres Klubs», sagt Trainer Cédric Énard. «Wenn wir nicht 15 gute Spieler hätten, sondern wie andere nur neun oder zehn und den Rest mit Junioren auffüllen müssten, kämen wir nicht so weit. Denn die können die Profis nicht wirklich nach vorne bringen.»
Und wenn es im Spiel mal nicht läuft, warten hinter der A-Reihe Spieler wie Cody Kessel, die sofort einspringen können. Das machte die Entscheidung für Énard auch so einfach, den Amerikaner in Spiel zwei von Anfang an aufzustellen, als der etatmäßige Außenangreifer Timothée Carle angeschlagen war. «Cody kann sofort seine Rolle übernehmen. Timothée ist vielleicht besser im Aufschlag und in der Annahme, aber Cody bringt uns einen höheren Block gegen Friedrichshafens Hauptangreifer Linus Weber. Cody ist also auch taktisch immer eine interessante Option für mich.»
Vor allem aber schätzt Énard die Antreiberqualitäten von Kessel. «Es gibt keinen wie ihn in unserer Mannschaft. Gegen Düren und Friedrichshafen hat er zudem stark gespielt und sich mit diesen Leistungen dann seinen Platz in der Startformation verdient.» Da Carles Knie noch immer nicht komplett verheilt ist, dürfte Kessel auch in Friedrichshafen von Beginn an zum Einsatz kommen. Vielleicht schmettert er die Volleys ja sogar zum Meistertitel.
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