Tödlicher Polizeigewahrsam

Wegen des Todes des jungen Irakers Qosay K. wird jetzt gegen Beamte ermittelt

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

»Einen durchziehen« wollten Qosay K. und sein Freund Hamudi am Abend des 5. März im nahe Bremen gelegenen Delmenhorst. Kaum glühten die Joints, nahten zwei Polizisten in Zivil. Qosay lief weg, einer der Beamten eilte hinterher, überwältigte den Verfolgten, versprühte Pfefferspray, brachte ihn aufs Revier. Der 19-Jährige brach nach Angaben der Polizei danach in der Gewahrsamszelle zusammen, wurde ins Krankenhaus gebracht. Am 6. März starb er dort.

Als »Unglücksfall« bezeichnete die Polizei das Geschehen. Doch die Familie des Toten, der vor sechs Jahren zunächst allein aus dem Irak nach Deutschland gekommen war, will sich nicht damit abfinden. Rechtsanwältin Lea Voigt hat in ihrem Auftrag Strafanzeige gegen mehrere Beteiligte gestellt.

Ein wichtiger Zeuge bei der Aufklärung des Falls ist Qosays Freund Hamudi, der von einem weiteren Polizisten festgenommen und zu der Stelle geführt worden war, wo der Kollege den 19-Jährigen überwältigt hatte. Der wiederum soll den Beamten geschlagen haben, erklärt die Polizei. Dem NDR-Magazin »Panorama 3« schilderte Hamudi die Vorfälle an jenem 5. März ausführlich: Qosay habe, mit Handschellen gefesselt, am Boden gelegen. Der Polizist habe ihm ein Knie in den Rücken gedrückt. »Ich bekomme schwer Luft«, habe sein Freund gerufen, woraufhin er sich hinsetzen durfte. Ein Mann aus der Nachbarschaft, wegen der Schreie des Gefesselten aus dem Haus gelaufen, schildert die Szene nahezu ebenso. Laut Polizei wurde »routinemäßig« ein Rettungswagen gerufen. Den Sanitätern gegenüber habe Qosay K. eine Behandlung abgelehnt. Hamudi erklärt dagegen, sein Freund habe durchaus behandelt werden wollen und den Sanitätern gesagt, ihm sei schwindlig, er habe Atemnot.

Nach dem Tod von K. ordnete die Staatsanwaltschaft eine Obduktion an. In dieser wurde »Multiorganversagen« als Todesursache genannt, Hinweise auf Fremdverschulden gebe es nicht.

Eine weitere, von der Familie des Verstorbenen beim Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in Auftrag gegebene Obduktion ergab etwas anderes. In dessen Gutachten, das dem NDR vorlag, heißt es, ein »sauerstoffmangelbedingtes Herzkreislaufversagen« sei die Todesursache. Der Grund des Sauerstoffmangels sei nicht feststellbar. Und: Der Körper weise Zeichen von Gewalteinwirkung auf: viele Läsionen und Einblutungen vom Kopf bis zu den Beinen, ein Schneidezahn fehle, die Zungenspitze sei abgebissen. Die Staatsanwaltschaft wird sich mit der Herkunft dieser Verletzungen befassen müssen. Tatsächlich hat sie nun Ermittlungen gegen Polizisten und Rettungskräfte »wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der unterlassenen Hilfeleistung« eingeleitet.

Die von Hamudi geschilderten Hilferufe seines Freundes, die von Sanitätern nicht erfüllte Bitte um einen Schluck Wasser - Vorgänge, die an George Floyd erinnern, dessen Tod im Mai 2020 weltweit Proteste gegen Rassismus und Gewalt der Polizei ausgelöst hatte. Der jetzt vor Gericht stehende Polizist hatte ihm fast neun Minuten lang sein Knie auf den Hals gedrückt, obwohl er wiederholt gesagt hatte, er könne nicht atmen.

Zwar hat der Beamte in Delmenhorst nicht auf dem Hals von Qosay K. gekniet, dennoch stellt sich auch hier die Frage nach der Verhältnismäßigkeit polizeilichen Handels. K. hatte lediglich gekifft und, wenn die Aussage der Polizei Oldenburg stimmt, bei seiner Festnahme einen Beamten angegriffen. Anwältin Voigt gibt zu bedenken: »Das war ein gesunder, munterer, kräftiger 19-jähriger, der keinerlei Anzeichen gezeigt hat, körperlich beeinträchtigt zu sein, geschweige denn, dem Tode nahezustehen.« Das, so Voigt gegenüber dem NDR, habe sich »erst geändert, als er in den Polizeigewahrsam kam«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -