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Hart am Limit
Linke und Kirche: Bei einem Sozialprojekt in Hohenschönhausen geht das zusammen.
Heike Rimasch hat alle Hände voll zu tun an diesem kalten Montagnachmittag. Wie fast jeden Montag, wenn sie zusammen mit 20 weiteren Ehrenamtlichen der Ausgabestelle von »Laib und Seele« im Berliner Ortsteil Neu-Hohenschönhausen eine Plastiktüte nach der anderen mit Lebensmitteln packt. Um 14 Uhr beginnt die Verteilung, rasch bildet sich eine Schlange, eine Viertelstunde später sind es bereits zwei Dutzend Menschen, die hier stehen und warten: Rentner, aber auch weitaus jüngere Hohenschönhausener, Geflüchtete, allein oder mit ihren Kindern. »Ich bekomme ja nur 600 Euro Rente, bei 43 Arbeitsjahren in der Gastronomie«, sagt eine ältere Frau. Sie komme nun seit fünf Monaten. »Als Frührentner hat man ja nicht viel Geld«, sagt der Mann hinter ihr in der Schlange: »Da wurde mir mal gesagt: Du hast doch nichts, wende dich doch mal da hin.«
Mittlerweile umfasst der Kundenstamm der Essensausgabestelle in der tristen Ladenzeile zwischen der vielbefahrenen Falkenberger Chaussee und dem mattgrünen Plattenbau an der Grevesmühlener Straße rund 180 Haushalte. »Das sind um die 50 Prozent mehr als vor der Coronakrise, das ist doch erschreckend«, sagt Heike Rimasch, eine der drei »Chefinnen« des Projekts am östlichen Stadtrand Berlins. »Wenn du Hartz IV bekommst oder nur eine kleine Rente hast, da ist klar, dass du keine großen Sprünge machen kannst. Inzwischen werden es aber immer mehr Kurzarbeiter, Aufstocker, berufstätige Alleinerziehende, die hier im Viertel einfach nicht mehr über die Runden kommen.« Und sich dann am Montagnachmittag vor der »Laib und Seele«-Filiale in die Warteschlange einreihen. »Wir sind langsam hart am Limit«, sagt Rimasch.
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»Laib und Seele« ist ein Projekt der Berliner Tafeln in Zusammenarbeit mit den Kirchen und dem RBB, 2004 initiiert, auch als Reaktion auf die sozialen Verwerfungen im Zuge der Hartz-IV-Gesetze. Die Ausgabestelle in dem ehemaligen Haushaltswarengeschäft im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen ist nur eine von über 40 in ganz Berlin. 2012 wurde die Filiale eröffnet, angebunden ist sie an die evangelischen Kirchengemeinden Malchow-Wartenberg. Rimasch selbst ist seit 2018 dabei. »Die haben jemanden gesucht, der den Papierkram macht, so bin ich hier gelandet«, berichtet die resolute 48-jährige Hohenschönhausenerin mit dem sächsischen Akzent.
Rimasch ist Frührentnerin, andere in ihrem Team sind arbeitslos oder auf Kurzarbeit, wieder andere »ganz regulär« berufstätig. So gut wie niemand ist Mitglied einer Kirchengemeinde. »Das ist hier keine kirchliche Veranstaltung. Wir sind fast alle Atheisten«, sagt Rimasch und lacht. Ohne die Kirche würde gleichwohl kaum etwas gehen. Aktuell etwa sei die Ausgabestelle mal wieder dringend auf Hilfe angewiesen. Gelder für die Miete der Lkw, mit denen die gespendeten Lebensmittel Montagfrüh bei den Supermärkten abgeholt werden, Betriebskosten, Masken: »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und aufhören soll bei der Aufzählung.« Letztlich sei man zwar nicht hochverschuldet, stecke aber doch häufig in den Miesen. »Die Frau Pfarrerin versucht dann immer wieder, etwas aufzutun. Wir finanzieren uns ja ansonsten über die Kollekte der Kirche.« Da käme aber momentan auch nicht viel rein.
»Na ja, Kollekten sind eher ein kleiner Teil, obwohl hier mehrere Gemeinden etwas beitragen, bei Erntedank zum Beispiel auch die katholische Gemeinde«, sagt Renate Kersten, Pfarrerin der evangelischen Gemeinden Malchow-Wartenberg, zu denen auch die erst vor zwei Jahrzehnten errichtete Kirche gegenüber der Ausgabestelle des Projekts gehört. »Wir haben in Hohenschönhausen das Problem mit den Räumen. Andere Gemeinden können ›Laib und Seele‹ geeignete Räume in ihren eigenen Immobilien zur Verfügung stellen, das ist bei uns nicht möglich.« Zwar komme der Vermieter des Ladengeschäfts, die Wohnungsbaugesellschaft Howoge, dem Projekt entgegen. Mit Miete und Betriebskosten zusammen schlagen die Räume trotzdem mit rund 1200 Euro im Monat zu Buche.
Kersten nutzt es dann auch wenig, den Klingelbeutel beim Gottesdienst durchzureichen. Zumal ohnehin nur unter sechs Prozent aller Hohenschönhausener einer der beiden Großkirchen angehören. Stattdessen rührt sie gezielt die Spendentrommel, wenn es knapp wird. Und knapp wurde es im vergangenen Jahr, als »Laib und Seele« aufgrund der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im Frühjahr drei Monate geschlossen hatte. Denn ein Teil der Kosten wird über den Zwei-Euro-Obolus gedeckt, den die Kunden für ihre Lebensmittelpakete bezahlen. »Bleibt das aus, hat man - zack - eine Schieflage auf der Einnahmenseite«, so Kersten.
Schließlich kam im Herbst auch noch ein Einbruch dazu. »Es war ja nicht nur der Sachschaden, auch die Kasse war leergeräumt, fast 350 Euro«, erinnert sich Heike Rimasch. Ein Betrag, den die chronisch klamme Ausgabestelle in der Großwohnsiedlung am Stadtrand nicht einfach so wegstecke. »Das haut natürlich rein. Aber da hat uns dann ja die Ines finanziell geholfen.«
Die Ines - das ist die Berliner Linke-Abgeordnete Ines Schmidt, die in Neu-Hohenschönhausen ihren Wahlkreis hat. Immer wieder kommt Rimasch im Gespräch neben der »Frau Pfarrerin« auf »die Ines«. Mit der Linken habe das gar nichts zu tun. »Das liegt rein an der Person Ines. Als ich hier angefangen habe, habe ich alle Parteien angeschrieben. Ines war die Einzige, die geantwortet hat. Seitdem sind die Mitarbeiter in ihrem Büro in der Zingster Straße die erste Anlaufstelle, wenn es irgendwo hakt.« Linke-Politikerin Schmidt selbst wischt ihre Hilfe für die Ausgabestelle etwas beiseite: »Ach was, das tut ja nicht weh. Im Gegenteil, das sind so Termine, die machen mir einfach Spaß.« Auch Schmidt sagt: »Mit Kirche hat das nichts zu tun.« Es sei schlicht notwendig, zu helfen. »Das ist ja hier nicht Zehlendorf.«
Tatsächlich müssen viele in Schmidts Wahlkreis - das machen auch die allmontäglichen Schlangen vor »Laib und Seele« deutlich - schwer knapsen. Das zeigt allein ein Blick in den Lichtenberger Kinderarmutsbericht 2021. Im Quartier Zingster Straße West beispielsweise lebt jeder zweite Minderjährige in einem Haushalt, der als arm definiert wird. Auf ganz Ostberlin bezogen, ist Kinderarmut lediglich in einigen Hellersdorfer Gebieten stärker verbreitet. Trotzdem, sagt Ines Schmidt, sei sie optimistisch, dass Neu-Hohenschönhausen irgendwann die Kurve kriege: »Es sind ganz viele Sachen angepackt worden und werden jetzt angepackt.« Das Problem: »Der Ortsteil Neu-Hohenschönhausen ist für viele Verantwortliche ein blinder Fleck.« Als sie im Abgeordnetenhaus zum ersten Mal mit einigen Grünen zusammengestoßen sei, hätten die nicht einmal gewusst, »dass das noch zu Berlin gehört«, erinnert sich die Linke-Politikerin.
Pfarrerin Renate Kersten sagt, dass bei vielen Bewohnern der Großsiedlung am Stadtrand das Grundgefühl vorherrsche: »Wir zählen eh nicht.« Kersten verweist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auf die niedrige Wahlbeteiligung in Hohenschönhausen. So gaben bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 lediglich 55 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. »Die Hälfte der Leute sagen: Wir spielen ja doch keine Rolle, dann müssen wir auch nicht wählen gehen.« Einer hätte ihr gegenüber mal gesprochen von »einer Politik von Leuten, die eine große Wohnung haben, für Leute, die eine große Wohnung haben«.
Eine Einschätzung, die auch Heike Rimasch teilt. Vor kurzem habe sie Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) angeschrieben und um Unterstützung bei der Anschaffung von Coronatests für ihre Ausgabestelle gebeten. »Vom Büro des großen Müller kam dann nach anderthalb Wochen auch mal eine Antwort: Vielen Dank für Ihr Schreiben! Wir haben es weitergeleitet. Die Frau Pfarrerin hat uns schließlich das Geld für die Tests vorgestreckt.« Rimasch sagt: »Wir als Ehrenamtliche werden ja gern vergessen bei den Dingen.«
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