Alles nur geklaut

Notizen zu aktuellen Debatten über die Restitution kolonialen Raubgutes

Wer schon einmal im British Museum in London war, wird meinen Eindruck bestätigen: Man wird dort schier erschlagen, von Zeugnissen der Menschheitsgeschichte, zu Zeiten des Empires aus aller Welt herangeschafft, angeeignet vielfach auf unredliche Weise. Unter den monumentalen Pharaonenköpfen und Statuen nimmt sich der berühmte Stein von Rosetta, mit dem die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen gelang, wie eine Miniatur aus. Der Louvre in Paris steht dem mit seinen Sammlungen aus kolonialer Zeit nicht viel nach. Wie andere westliche Museen auch.

Seit die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr 2018 einen Appell zur Rückgabe von geraubten Kulturgütern an afrikanische Staaten startete, ist die bis dahin eher lau verlaufene Debatte über Restitution voll entflammt und hat endlich auch Deutschland ergriffen. Die sukzessive Füllung des Berliner Humboldt-Forums hinter rekonstruierter Hohenzollernschlossfassade hat das Unrecht auch aus deutschen kolonialen Herrschaftszeiten unwiderruflich in die öffentliche Debatte katapultiert. Die Stiftung geht darob jetzt in die Offensive - mit einer am Donnerstagabend eröffneten einjährigen Diskursreihe. »Status Quo: Koloniale Sammlungen in europäischen Museen« wurde zum Auftakt beredet.

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Zur digital stattfindenden Veranstaltung war natürlich Wiebke Ahrndt vom Übersee-Museum Bremen geladen. Sie hat eine Arbeitsgruppe geleitet, die im Auftrag des Deutschen Museumsbundes im Laufe von vier Jahren einen »Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten« (sorry, eine eigentlich euphemistische Formulierung) erstellt und jüngst der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Nicht »Richtlinien«, sondern »gute Beispiele« habe man offerieren wollen. Die Studie soll Museologen für »Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten« sensibilisieren. Deutsche Museen seien »vielfach unvorbereitet« getroffen worden von der Anprangerung musealer Bereicherungen der einstigen Kolonialmächte. Eine Aussage, die überrascht. Zumal der »Leitfaden« selbst vermerkt, dass sich seit den 90er Jahren weltweit die von den Auswirkungen des Kolonialismus betroffenen Völker, Nachfahren der Opfer, verstärkt zu Wort melden und 2007 die UNO eine auch diesbezüglich relevante Erklärung über die Rechte der indigenen Völker verabschiedet hatte.

Dass bereits seit Jahrzehnten, seit Erringung, exakter: Erkämpfung, ihrer Unabhängigkeit ehemals kolonial unterjochte Völker um Rückgabe gestohlener oder abgepresster Kulturgüter baten respektive einforderten, wusste Jacques Schuhmacher, Kurator für Provenienzforschung am Londoner Victoria & Albert Museum, kurz V & A genannt, in einer Veranstaltung unlängst des Berliner Vereins Hellen Panke unter dem bezeichnenden Motto »Alles nur geklaut« zu berichten. So hatte das unter der Führung von Aung Sang, Vater der derzeit von der Militärregierung in Myanmar unter Hausarrest gestellten Aung San Suu Kyi, seine nationale Souveränität erlangende Burma frühzeitig die Zurückerstattung der 1885 im Dritten Burmesischen Krieg gestohlenen Kronjuwelen verlangt. Mit Erfolg. Das Vereinigte Königreich musste diese 1964 tatsächlich rausrücken.

Schumacher berichtete, dass das 1852, als sich das britische Empire auf seinem Höhepunkt befand, gegründete V & A noch immer reichlich bestückt ist mit Trophäen von Eroberungszügen rund um den Globus. Der zügellose koloniale Kunstraub diente einerseits der Demütigung der besiegten Völker, andererseits der Demonstration eigenen Machtanspruchs und Machtfülle; nebenbei finanzierten die Kolonialmächte ihre militärischen »Expeditionen« mit Verkauf und Versteigerung entwendeter Kulturgüter. Diese Praxis hielt die Briten nicht davon ab, etwa die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg organisierter Kunstplünderungen zu bezichtigen, was stimmt, aber auch auf sie selber zutraf. Schuhmacher erinnerte an die »Monuments Men«, wie die 1945 nach von den Nazis im okkupierten Europa zusammengerafften Schätze fahndenden westalliierten Kunstexperten gemeinhin bezeichnet werden. 1970 dann erließ die UNESCO eine Konvention, die Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von unrechtmäßig erworbenem Kulturgut verbietet; sie ist mittlerweile von 140 Staaten ratifiziert und erfuhr 1998 mit den Washingtoner Prinzipien noch eine wichtige Konkretisierung. »Die Argumente sind nicht neu, sie liegen schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch«, schlussfolgerte Schuhmacher.

Ergo fällt es schwer, der Behauptung von den durch die Restitutionsdebatte überraschten deutschen Museologen und Ethnologen zu glauben. Womit hier zurückgekehrt sei zur Veranstaltung des Humboldt Forums. Dessen Generalintendant Hartmut Dorgerloh bekräftigte eingangs, man sei sensibilisiert. Sodann hielt er eine Neuerscheinung in die Kamera: »(Post)Colonialism and Cultural Heritage«, dieser Tage vom Verlag Hanser auf den Markt gebracht. Lars-Christian Koch, von Beruf Musikwissenschaftler, der das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst in Berlin vertrat, verwies auf deutscherseits bereits erfolgte Restitutionen und betonte, man sei im Fall der umstrittenen Benin-Bronzen im Gespräch mit nigerianischen Partnern und werde sich auch am Aufbau eines Museums dort beteiligen. Wie viele seiner Kollegen in den letzten Tagen und Wochen äußerte er sich nicht eindeutig ob endgültiger Rückgabe dieser.

Ähnlich ausweichend die Ausführungen von Emmanuel Kasarhérou vom Musée du quai Branly - Jacques Chirac in Paris. Er nannte den Savoy-Report »leidenschaftlich«, wünschte sich eine »weniger kämpferische Sprache« und wollte ein Fragezeichen generell setzten hinter dem Begriff »koloniale Sammlungen«. Es müsse, meinte er gleich Koch, von Fall zu Fall entschieden werden. Und: Provenienzforschung brauche Zeit. Bei den von Frankreich jüngst zurückgegebenen 26 Benin-Objekten habe es vier Jahre benötigt, um Herkunft und Erwerb zweifelsfrei zu klären: »Natürlich müssen wir uns unserer eigenen Geschichte stellen, aber ...«

Dieses »Aber« gab es mir zu viel an diesem Abend. Ein unangenehmes Gefühl vereinter Abwiegelei kam auf. Mehrfach wurde darauf verwiesen, dass allein die Frage, an wen Raubgut zurückgegeben werden kann, Staat oder Community, intensiver Klärung bedarf. Da war man als enttäuschter Zuhörer froh, dass zumindest El Hadji Malick Ndiaye vom Museum für Afrikanische Kunst in Dakar erklärte, dass alle unter ungleicher Machtverhältnissen entführten Objekte für die jeweils beraubten Völker von singulärem Wert für die eigene Identität waren und sind. Wichtig auch sein Aufforderung an die Kollegen, die Diaspora in ihren Ländern in die Diskussion und Entscheidungen einzubeziehen. Tatsächlich mangelt’s daran hierzulande. Ohne den Druck der afrikanischen Diaspora gäbe es bei uns indes wohl überhaupt keine Debatte.

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