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Werbeträger des digitalen Kapitalismus
Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt berichten über die Macht der Influencer
Die neuen Stars sind Leute wie du und ich. Sie filmen sich selbst im Urlaub, fotografieren ihre Mahlzeiten und teilen wildfremden Menschen mit, wie bequem der neu erworbene Turnschuh, neudeutsch: Sneaker, tatsächlich ist. Aber sie tun das auf Social-Media-Kanälen und machen mit alldem noch dazu eine ganze Stange Geld. Sie werden »Influencer« genannt. »Influencer« heißt auch das Buch, in dem Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt dem Phänomen auf den Grund gehen. Schon der Untertitel verrät, dass sie es in kritischer Absicht tun: »Die Ideologie der Werbekörper«. Es ist also keineswegs jede und jeder gemeint, die Kommunikationskanäle wie Instagram, Youtube und Tiktok dazu nutzen, um sich für ein Thema zu engagieren.
Mit dem Begriff »Influencer« bezeichnen die Autoren, solche Netzberühmtheiten, die ihre Popularität in bare Münze zu tauschen verstehen. Sie schlagen mittels Posts, Fotos oder Videos unablässig die Werbetrommel für Waren, ohne dass dies ihre Popularität auch nur im geringsten schmälern würde. Meist geht es um körpernahe Produkte wie Kleidung, Fitness- und Kosmetik, für die ein Influencer den eigenen Leib als Werbeträger einsetzt. Seine Masche besteht darin, die Fans direkt anzusprechen. Die Reklame kommt wie der Geheimtipp eines guten Bekannten oder einer Freundin daher. Dadurch bringt der Influencer eine Authentizität ins Spiel, die den herkömmlichen Werbespots fehlt. Als Phänomen selbst ist dies relativ neu.
In den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts berichten die bunten Boulevardseiten der Zeitungen von seltsamen Internet-Stars, die Massenaufläufe von Teenagern provozieren, wenn sie sich auf der Straße zeigen. Das erinnert an die Massenhysterie um die Beatles in den Sechzigern, die Bewunderung für Hollywood- und Rockstars, für Lady Diana und die It-Girls der jüngeren Zeit. Die Influencer schicken sich an, allen diesen Stars den Rang abzulaufen - zumindest bei den Angehörigen jener Generation, die mit Facebook und Co. bereits groß geworden sind.
Für die Werbung betreibende Industrie war das Erscheinen der Influencer auf den Kanälen der Digitalkonzerne ein ungeheurer Glücksfall. Denn nun mussten sie keine aufwendige Marktforschung mehr betreiben, um herauszufinden, wie sie die gewünschte Zielgruppe erreichen können. »Ein Produzent von Nahrungsergänzungsmitteln«, schreiben die Autoren, »muss lediglich einen Fitness-Influencer finden, der sich kooperativ zeigt und einer Produktplatzierung in seinem Onlinealltag zustimmt.« Es ist daher kein Wunder, dass der Begriff »Influencer« in der Marketing-Literatur seit mehr als zehn Jahren geläufig ist.
Aber könnten die Influencer ihre Popularität nicht dazu nutzen, um ihre große Schar von Followern für gute Zwecke zu begeistern? Böten sie nicht auch die Chance, junge Leute niedrigschwellig zu politisieren, die von linken Gruppen, Gewerkschaften und Parteien nur schwer zu erreichen wären? Das mag im Einzelfall gelingen. Die Haupttendenz geht allerdings in die falsche Richtung. Das können die selbst als unterhaltsame Wirtschaftspodcaster (»Wohlstand für alle«) populären Autoren zeigen. Denn selbst dort, wo sich die geschäftstüchtige Selbstdarstellung plakativ um Fragen der Gerechtigkeit bemüht, blendet die vermeintliche Gesellschaftskritik die für ökonomisch schlechter gestellten Schichten besonders harten Seiten der real existierenden Klassengesellschaft zumeist aus.
Wenn eine Influencerin ihre Follower dazu auffordert, sich ausgerechnet mit der Gründerin eines börsennotierten Unternehmens zu solidarisieren, die aufgrund einer Schwangerschaft von ihrem Posten als Vorstandsmitglied zurücktreten musste, entpuppt sich vorgebliches Empowerment als Schützenhilfe für die oberen Zehntausend - in den Worten Nymoens und Schmitts: als Feminismus für die oberen ein Prozent.
Die Situation von abhängig beschäftigten Müttern im Niedriglohnsektor kommt so jedenfalls nicht in den Blick. Das Engagement der Influencer für Black-Lives-Matter, Me-Too, für mehr Vielfalt und den Umweltschutz ist zudem häufig alles andere als uneigennützig: »Kritik«, schreiben Nymoen und Schmitt, »wird vor allem dann laut, wenn sie gewinnbringend nutzbar gemacht werden kann - etwa, indem zuerst auf die miserable Klimabilanz herkömmlicher Kosmetikprodukte hingewiesen wird, um anschließend für einen besonders nachhaltigen Lippenstift zu werben«.
Vor 50 Jahren erschien Wolfgang Fritz Haugs »Kritik der Warenästhetik«. Die bald zum Kultbuch avancierende Schrift entwickelte ihre Konsumkritik aus einer scharfsinnigen Analyse der fundamentalen Widersprüche des Gegenwartskapitalismus. Die Autoren Nymoen und Schmitt nutzen die grundlegenden Einsichten dieser ideenreichen Pionierarbeit für einen Streifzug durch die schöne neue Werbewelt des digitalen Kapitalismus. Zuweilen im Plauderton, aber nie geschwätzig, und immer mit dem Blick auf konkrete Beispiele führen sie die Leserschaft an das Einmaleins der materialistischen Kulturkritik heran. Auf diese Weise gelingt ihnen eine Streitschrift, die selbst das Potenzial zum Klassiker hat - schonungslos und zugleich höchst unterhaltsam.
Ole Nymoen/Wolfgang M. Schmitt: Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Suhrkamp, 157 S., br., 15 €.
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