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  • Rassistische Polizeigewalt

»Das ganze System ist schuldig wie die Hölle«

Mit Derek Chauvin wurde ein US-Polizist für rassistische Polizeigewalt verurteilt - für fast alle anderen gibt es Straffreiheit bei Fehlverhalten

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ob es nicht so sei, dass man in den USA »Fortschritte« gemacht habe, fragte ein weißer Reporter einmal Malcolm X. Der Journalist war auf der Suche nach einem versöhnlichen Statement in Sachen Bürgerrechte für Afroamerikaner und zu dem, was in den Vereinigten Staaten auch »race-relations« genannt wird. Doch diesen Gefallen tat ihm der bekannte Schwarze Nationalist nicht. »Nein, nein, nein, ich werde niemals sagen, dass es hier Fortschritt gibt. Wenn du ein Messer neun Inch in meinen Rücken stichst und es sechs Inch rausziehst, dann ist das kein Fortschritt. Wenn du es ganz rausziehst, ist das noch kein Fortschritt. Die Wunde zu heilen, das wäre Fortschritt«, so der Schwarze Radikale. Auch was X dann sagte, kann als Zustandsbeschreibung auch für die USA der Gegenwart benutzt werden. »Sie haben noch nicht einmal angefangen, das Messer rauszuziehen und noch viel weniger, die Wunde zu heilen, sie leugnen ja sogar die Existenz des Messers.« Das Leugnen geht auch nach dem Urteil gegen George Floyds Mörder Derek Chauvin weiter.

Die Polizeigewerkschaft aus Minneapolis erklärte in einem Statement zunächst pflichtschuldig, man müsse ein besseres Minneapolis für alle schaffen, stehe mit der »Community« und strecke dieser die Hand entgegen und danke der Arbeit der Jury - so weit, so floskelhaft. Doch dann kam man trotzig zum eigentlichen Punkt, es gebe beim Thema »keine Gewinner«, die »spaltenden Kommentare« zur Polizeiarbeit müssten aufhören und das »politische Anbiedern von Politikern und die Rassenhetze« müssten aufhören. Dass ein solch unversöhnlicher Geist durch die Polizeigewerkschaft weht, ist kein Wunder, bis vor Kurzem war ihr Vorsitzender Bob Kroll, ein überzeugter Rassist, der auf Wahlkampfkundgebungen von Donald Trump ging.

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Die Polizeigewerkschaft in Minneapolis ist kein Einzelfall, andere Polizeigewerkschaften im Land agieren ähnlich reaktionär, bekämpfen selbst kleinste Veränderungen des Status quo der Polizeiarbeit in den USA massiv. Seit den 1970er und 80er Jahren etwa gibt es in vielen US-Städten Polizeigewalt-Beschwerdestellen, doch der Druck von Polizeigewerkschaften und konservativen Demokraten hat dafür gesorgt, dass sie lange Zeit zahnlos waren und auch jetzt vielfach noch keine echten »Zähne« oder Macht haben bei der Verfolgung von Fehlverhalten im Dienst.

Harte Strafen für Polizeigewalt, auch wenn sie tödliche Folgen hat, muss jedoch fast kein Polizist in den USA fürchten. Seit 2005 wurden rund 15 000 Menschen durch Polizisten im Dienst erschossen, laut einer Studie der Bowling Green State University wurden bis 2019 aber nur 104 Polizeibeamte wegen Totschlags oder Mordes verhaftet. Nur vier wurden wegen Mord verurteilt. Nun ist es mit Derek Chauvin einer mehr.

Rund 600 000 Polizisten in rund 12 000 lokalen Polizeibehörden gibt es in den USA. Laut Daten des Security Policy Reform Institute von 2019 geben Bundesstaaten und Gemeinden 118 Milliarden US-Dollar für Polizeiarbeit aus - nur das chinesische Militär und die US-Streitkräfte erhalten mehr Mittel. Die Forschung kritischer Kriminologen und Polizeiwissenschaftler dokumentiert eine trotz leicht steigender Diversität immer noch überwältigend weiße und konservative Polizistenschaft mit einem Schweigecode - und sie zeigt, was Black-Lives-Matter-Demonstranten in den USA mit dieser Parole ausdrücken: »Das ganze System ist schuldig wie die Hölle«, oder wie es der Schwarze Komiker Trevor Noah letzter Woche ausdrückte: »Wo sind die guten Äpfel?« Es sei nicht so, dass es keine guten Polizisten gäbe, doch die würden die »schlechten Äpfel« nicht stoppen. Es gäbe keine Videos von »Cops«, die übergriffige Polizisten stoppen würden. Weil die »guten Cops« wüssten, dass das System machtvoller ist.

Kommentatoren unter dem Video von Noah verwiesen auf den Fall Cariol Horne. Die Schwarze Polizistin hatte 2006 einen Kollegen gestoppt, der ähnlich wie im Fall Floyd einen bereits in Handschellen befindlichen Mann in einen Würgegriff genommen hatte. Dafür wurde sie von der Polizei von Buffalo gefeuert. Zusätzlich musste sie zehn Jahre vor Gericht darum kämpfen, die ihr zustehende Rente zu erhalten; erst vergangene Woche urteilte ein Gericht dementsprechend. »Das System ist nicht kaputt, es tut genau das, wofür es geschaffen wurde: Arme Leute nieder zu halten. Und wer ist die ärmste Gruppe in den USA? Schwarze Menschen«, so Noah. »Wir haben es nicht nur mit ein paar schlechten Äpfeln zu tun, sondern mit einem ganzen schlechten Baum, der genau die Früchte trägt, für die er gepflanzt wurde.« Es ist ein Verweis auf das, was Aktivisten und kritische Forscher »white supremacy« nennen, die Weißenvorherrschaft und deren auch gewaltsame Sicherung auch durch die Polizei.

Der Datenanalyst Samuel Sinyangwe macht dabei auch mit dieser Statistik darauf aufmerksam, dass es in der US-Polizeiarbeit nur teilweise um »Sicherheit« geht. Schon in Großstädten wie Chicago, wo es mehr schwere Gewaltkriminalität in afroamerikanischen Stadtvierteln als in mehrheitlich weißen Vierteln gibt, würden Schwarze um ein vielfaches häufiger von der Polizei verhaftet als Weiße, in Seattle etwa sechs Mal so häufig. Doch gerade auf dem Land und in »hunderten« Kleinstädten - allgemein Orte geringerer Kriminalität - gäbe es Polizeibehörden, die Schwarze »20, 30 oder gar 300 Mal« so häufig verhafteten. Mit den Worten von Malcolm X: An vielen Orten in den USA hat die Polizei noch nicht einmal begonnen, das Messer aus dem Rücken zu ziehen.

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