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US-Amerikanische Ländlichkeit, Nostalgie und Streaming-Giganten: Ein Vorabblick auf die 93. Academy Awards
Das letzte Kalenderjahr war kein gutes Jahr für Filme. Nicht wegen der filmischen Qualität, sondern der Existenzgrundlage. Die Produktion und Vermarktung der Filme standen wegen der Krankheit, über die niemand mehr ein Wort lesen will, auf dem Spiel. Leider mutet dieses Jahr bisher nicht sonderlich besser an. Die Kinos sind seit Monaten geschlossen, Filmstarts werden gefühlt jede Woche in den ungewissen Sommer verschoben. Aber, und das wusste schon Freddie Mercury: The show must go on. Und so werden am Sonntagabend in Los Angeles die Oscars verliehen. Wie jedes Jahr. Oder fast, denn die Pandemie-Etiquette kann sich sehen lassen: Drei negative Tests für die Teilnehmer*innen, Masken in den Drehpausen, Temperaturmessung und reduzierte Plätze. Neben dem mittlerweile traditionsreichen Dolby-Theatre wird ein Teil der Zeremonie in der Los Angeles Union Station stattfinden, außerdem wird man mit Schalten aus London und anderen Standorten arbeiten.
Wer nun einen genaueren Blick auf die prestigeträchtigste Liste der Awards wirft, nämlich die des Besten Films, dem sticht ins Auge, dass dieses Jahr, im Gegensatz zu etwa 2020, eine gewisse Vorliebe für grundsätzlich US-amerikanische Themen dominiert. Die beiden ästhetisch herausragenden Mitstreiter »Nomadland« der Regisseurin Chloé Zhao und »Minari« von Lee Isaac Chung, wenn auch vom Stoff her durchaus verschieden, eint etwa eine Art Hommage an die wilde Weite der US-amerikanischen Ländlichkeit. In »Nomadland« lässt Zhao ihre Protagonistin Fern (eine herausragende Frances McDormand, die hierfür bestenfalls den Preis in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin bekommt) als moderne Nomadin in ihrem Van durch ein von der Finanzkrise zerrüttetes Land fahren, auf der Suche nach saisonaler Arbeit und letztlich sich selbst. In Zhaos Film, der im Jahr 2020 in Venedig bereits den Goldenen Löwen und den Golden Globe für den besten Film gewann, passiert nicht sonderlich viel; und doch hängt man fast zwei Stunden stets gebannt an Ferns Gesicht. »Nomadland« wurde vorgeworfen, nicht politisch genug an die Ungerechtigkeiten von Amazon-Auftragsarbeitern heranzugehen - doch Zhaos Film punktet eben mit etwas anderem, nämlich ästhetischer Perfektion und einem hohen Grad an Subtilität.
Auch in »Minari« spielen die Felder und Landschaften der Ozarks in Arkansas eine wichtige Rolle. Dorthin zieht die südkoreanische Einwandererfamilie Yi in den 80er Jahren, um nach einer erfolglosen Zeit in Kalifornien einen Neustart zu wagen. Jacob (Steven Yeun) möchte sich mit Gemüseanbau selbstständig machen, um nach etlichen Jahren endlich vom Küken-Aussortieren wegzukommen. Auch hier passiert, wenn man es genau betrachtet, relativ wenig - und dennoch so viel. »Minari« ist eine wunderbar erzählte Geschichte darüber, was es bedeutet, irgendwo neu anzukommen. Über dieses Zurechtfinden, das Mit-sich-Hadern, das ein Leben in einem neuen Land unweigerlich mit sich bringt.
»Minari« und »Nomadland« sind mit jeweils sechs Nominierungen im Rennen, beiden würde man die Oscars für Besten Film und Beste Regie wünschen. Auch verdient Youn Yuh-jung für ihre Rolle als beherzte Großmutter in »Minari« die Auszeichnung für Beste Nebendarstellerin.
Zahlenmäßiger Favorit bei der Zeremonie ist mit zehn Nominierungen allerdings »Mank« von David Fincher, ein Schwarz-Weiß Streifen über den Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz, mit Gary Oldman in der Hauptrolle. Aus Mankiewiczs Feder stammt das Skript zu Orson Welles’ Klassiker »Citizen Kane«, um dessen Entwicklung es auch geht. Doch »Mank« mit so vielen Nominierungen auszustatten, ist eine nostalgische Wahl, die nicht zuletzt auch Hollywoods Selbstverliebtheit unterstreicht. Filme über die eigene Industrie sind in der Academy einfach sehr beliebt, man denke zuletzt an Tarantinos »Once upon a time in Hollywood«, der 2020 auch zehn Oscar-Nominierungen einsammelte.
Ein gewisses politisches Bewusstsein durchzieht die Liste der Nominierungen aber trotzdem. Aaron Sorkins »The Trial of the Chicago 7« ist eine Auseinandersetzung mit den Anti-Vietnamkrieg-Protestierenden, während »Judas and the Black Messiah« von Shaka King sich mit Fred Hampton, einem Aktivisten der Black-Panther-Bewegung, beschäftigt. Davon zu sprechen, dass Amerika nun endlich seine strukturellen Ungerechtigkeiten und Kriegsverbrechen konfrontiert, geht einen Schritt zu weit - aber es ist doch erfreulich, in einem recht zukunftsgewandten Land auch mal ein wenig historische Reflexion über die eigenen Probleme zu sehen.
Weiter ist Florian Zellers eindringliches Quasi-Kammerspiel »The Father« mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle - der darf in seinem betagten Alter für seine Rolle als einer von Demenz geplagter Vater gerne seinen zweiten Oscar nach Hause tragen - verdientermaßen mitnominiert. Auch »Promising Young Woman« von Emerald Fennell, über eine Frau, die die Vergewaltigung ihrer besten Freundin zu rächen versucht, und »Sound of Metal« von Darius Marder über einen Metal-Schlagzeuger, der sein Gehör langsam verliert, haben ihren Weg auf das Treppchen gefunden.
Es bleibt zu wünschen, dass der dänische Film »Another Round« von Thomas Vinterberg mit dem Oscar für besten ausländischen Film gewürdigt wird. Tiefgehende Männerfreundschaften wie darin sieht man heutzutage selten.
Soweit, so gut. Dennoch lässt der ganze Tamtam dieses Jahr ein komisches Gefühl zurück. Das mag daran liegen, dass im Zuge der Corona-Pandemie manche Studios ihre Filme an Streaming-Giganten wie Netflix und Amazon Prime vergeben haben - von den acht Nominierten für den Besten Film sind vier derzeit bei Video-on-Demand-Diensten. Die Studios dachten wohl, das sei ihre beste Chance, ihren Film unter die Leute zu bringen. Aber mit Kino - und dafür stehen ja die Oscars eigentlich - hat das reichlich wenig zu tun. Einsam flackern die Kunstwerke nun über kleine Laptop-Bildschirme, während draußen Ausgangssperre herrscht. Ein trauriges Spektakel. Die kulturelle Institution Kino, die Film als kollektives Erlebnis versteht, ohne »pause and rewind«, an einen Ort gebunden - mehr und mehr ist sie in Gefahr, während Netflix und Amazon sich die Hände reiben, ob der Festigung ihres Machtmonopols. Tja, liebe Leserschaft - bitte gehen Sie wieder ins Kino, sobald es geht, und retten die Titanic ein bisschen mit. Bis dahin, und das wissen wir alle: The show must go on.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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