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»Was mit Linksdrall, das ist ja klar«
Ein Gespräch mit nd-Lesern aus zwei sehr verschiedenen Generationen
Seit etwas über einem Jahr beherrscht Covid-19 das gesellschaftliche Leben. Wie ist das für Sie?
Rudolf Müller: Wir haben drei Kinder, sieben Enkel und bisher vier Urenkel. Wenn wir alle um den Tisch herum sitzen, dann ist das immer ein bisschen gedrängt, aber sehr schön. Seit mehr als einem Jahr ist es leider so, dass höchstens unser Sohn ab und an vorbeikommt. Das heißt, uns anderen bleibt nur übrig, uns über das Internet, in Videoanrufen zu sehen.
Nathan Mattes: Im Moment mache ich wegen Corona nicht viel. Ich verbringe ziemlich viel Zeit auf Twitter - zu viel Zeit. Eigentlich, in normalen Zeiten, gehe ich gerne in Kneipen, sitze draußen in Parks und gehe ab und zu zu großen Sportveranstaltungen und Demonstrationen. Eben das typische Leben eines Mittzwanzigers.
Herr Müller, Sie haben schon andere sehr bewegte Zeiten erlebt, in denen sich plötzlich viel verändert hat. Wie haben Sie die Wende in der DDR vor gut 30 Jahren in Erinnerung?
Rudolf Müller: Naja, zunächst einmal ging eine Menge den Bach runter. Viele Leute wollten ja Veränderungen. Da kam manches Neue, was sehr vernünftig war, aber leider Gottes auch vieles Unvernünftige. Insofern sind meine Gefühle bei den Erinnerungen daran sehr gemischt.
Hat sich Ihr Leben über Nacht verändert?
Ich hatte damals nicht das große Pech wie andere, die schnell ihre Arbeit verloren haben. Ich war immerhin noch bis Ende 1993 voll beschäftigt, da war ich schon Anfang 60. Ich wurde also nicht so abrupt von jetzt auf gleich mit der Aktentasche unterm Arm vor die Türe gesetzt. Natürlich gab es, wie für alle, Veränderungen, Konflikte - aber es war für uns als Familie keine soziale oder mentale Katastrophe.
Da schaut man dann auch anders auf politische Ereignisse und entdeckt nach und nach mehr Interesse und mehr Bezüge zum Osten, zum Leben hier und dazu, was in der Geschichte passiert ist.
So unterschiedlich Ihre Erfahrungen und Ihr Lebensalter sind, Sie haben doch etwas Gemeinsames: Sie sind nd-Abonnenten. Seit wann - und warum haben Sie sich dazu entschlossen?
Rudolf Müller: Wir sind seit 1956 Abonnenten, könnten dieses Jahr also ein kleines Jubiläum feiern. Wenn man wissen wollte, was sich veränderte in der DDR, worauf man sich einstellen musste, in welche Richtung es politisch geht, dann war das »Neue Deutschland« eine zuverlässige Quelle. Die wichtigste, würde ich sagen. Alles andere las sich doch ähnlich, das ND war das Original, sozusagen.
Nathan Mattes: Ich lese die Zeitung erst kurz, seit ungefähr einem halben Jahr. Als es Anfang 2020 losging mit der Coronakrise, habe ich ein paar Zeitungsabos durchprobiert. Den »Freitag« hatte ich schon mal probeweise abonniert und auch ein paar Mal am Kiosk gekauft, und dann dachte ich: Versuch es doch mal mit diesem digitalen Probeabo des »nd«, bei dem es die Wochenendausgabe als richtige Zeitung dazugibt. Und dabei bin ich hängen geblieben. Es hat mir gefallen, ich mag die Werte, für die das »nd« steht.
Wie sind Sie auf das »nd« aufmerksam geworden?
Über das Internet. Da habe ich entdeckt, dass ihr die Inhalte während der Coronakrise und jetzt dauerhaft frei, also ohne Bezahlung ins Internet gestellt habt. Das fand ich gut, da habe ich einiges gelesen und dachte irgendwann, dieses kombinierte Digitalabo ist doch ein gutes Angebot. Wegen des Gesamtpakets, also sowohl die Richtung, in die ihr euch entwickelt, was das Digitale angeht, als auch Muckefuck, die Podcasts und die Kolumnist*innen, wurde dann aus dem Probeabo ein richtiges.
Herr und Frau Müller, haben Sie noch andere Zeitungen abonniert?
Rudolf Müller: Ja, den »Freitag«, die Wochenzeitung. Also auch was mit Linksdrall, das ist ja klar. Ansonsten gehören wir zu denjenigen, die dazu beitragen, dass reine Westzeitungen im Osten nicht über die fünf Prozent rauskommen. Habe ich neulich im »nd« gelesen. Da bekenne ich mich öffentlich schuldig und habe deswegen gar kein schlechtes Gewissen.
Wie lesen Sie das »nd« - als Papierzeitung oder lieber digital?
Rudolf Müller: Nee, nee, das will ich gerne direkt vor mit haben. Das muss schon richtig knittern und knistern, wenn man umblättert. Es ist auch ganz gut, wenn einem die Zeitung mal runterfällt, da muss man sich bücken, das hält ein bisschen in Bewegung. Ich bin überhaupt kein Feind der digitalen Medien, auch wenn ich schon 90 bin. Wie gesagt, wir telefonieren ja mit den Kindern und Enkeln auch über Zoom. Aber beim Zeitunglesen muss man doch was in der Hand haben, das möchte ich mir nicht abgewöhnen.
Nathan Mattes: Ich habe wie gesagt das Kombi-Abo mit digitaler Tagesausgabe und Wochenendzeitung. Ich bin viel online, finde es aber auch ganz nett, am Wochenende in einer richtigen Papierzeitung rumzuschmökern.
Wie sieht es mit unserem digitalen Angebot aus? Wir bieten ja online neben der Webseite und dem E-Paper auch Newsletter, Podcasts und anderes an. Nehmen Sie das auch wahr?
Rudolf Müller: Ja, auf der Webseite blättere ich schon mal rum. Allerdings übertragen wir das auf unseren Fernseher, das wollen wir dann groß vor uns sehen.
Ich nutze übrigens auch die App, aber die ist ein bisschen altbacken, das muss ich als App-Entwickler mal kritisch anmerken. Im Endeffekt will ich aber von euch guten Journalismus und wenn eure App ein paar Macken hat, dann kann ich auch mal Fünfe gerade sein lassen.
Welche Seiten, Rubriken oder Themen lesen Sie im »nd« besonders gerne, ob nun analog oder digital?
Rudolf Müller: Mir gefällt die Wochenendausgabe gut, auch die verschiedenen Beilagen, die es da drin immer wieder gibt. Die sind sicher von unterschiedlicher Qualität, aber allesamt interessant. Manchmal dauert das bis zum Donnerstag, bis ich mit allem fertig bin.
Jolinde Müller: Jetzt muss ich doch mal einen Einwurf machen. Die Interviews, die Sie im »nd« machen, also die richtig aus Frage und Antwort bestehen ...
Rudolf Müller: ... die ganzseitigen ...
Jolinde Müller: ... ja, die lese ich sehr gern, weil da sehr verschiedene Ansichten zur Sprache kommen. Meinungen, die vielleicht nicht unbedingt dem entsprechen, was sonst in der Zeitung geschrieben wird. Ansonsten sind es die Literaturbesprechungen, die ich gerne lese.
Nathan Mattes: Zu meiner Schande muss ich gestehen dass ich die Literaturbeiträge eher überfliege. Nicht, weil sie mich nicht interessieren würden, aber bei mir zu Hause liegt ein großer Stapel an ungelesenen Büchern, und den möchte ich gern abarbeiten, statt dass er immer größer wird.
Jolinde Müller: Was ich sehr gerne mache: alle Rätsel im »nd«!
Rudolf Müller: Ja, die Rätsel greifen sogar in unseren Tagesablauf ein. Wenn es mal eins gibt, für das wir länger brauchen, dann kann es passieren, dass sich der ganze familiäre Zeitplan verschiebt.
Nathan Mattes: Ich lese ganz gern auch die Seiten Wirtschaft - Soziales. Und die Seiten über Berlin und Brandenburg. Man will ja wissen, was in der Region los ist, in der man lebt. Ansonsten finde ich es einfach generell gut, dass es um linke Bewegung, um linke politische Ziele geht.
Wie finden Sie denn den Gedanken, für das »nd« anstelle der GmbH eine Genossenschaft zu gründen, über die wir derzeit diskutieren?
Rudolf Müller: Sagen wir einmal so: Es ist besser als nichts. Wenn es hilft, Probleme zu lösen, und ein vernünftiger Weg gefunden wird, dann soll es passieren, klar.
Nathan Mattes: Ich bin schon Mitglied in zwei Genossenschaften und würde auch bei einer nd-Genossenschaft Anteile zeichnen, wenn es so weit ist. Ich hoffe nur, dass das nicht ein Weg ist, auf dem sich die bisherigen Eigentümer irgendwie aus der Affäre ziehen wollen.
Folgen Sie dem »nd« in den sozialen Medien, also auf Twitter, Facebook oder Instagram?
Rudolf Müller: Nein. Ich schiele da gelegentlich mal hin, aber aktiv bin ich dort nicht.
Nathan Mattes: Ich folge auf Twitter, dem nd-Account und jetzt auch »nd bleibt«. Und ich habe den Newsletter »Muckefuck« und die Podcast abonniert.
Gibt es Geschichten oder Artikel, die Ihnen im Gedächtnis geblieben sind?
Jolinde Müller: Kein bestimmter Artikel, aber »Unten links« lese ich gern, immer als Erstes. Manche machen Spaß und sind gelungen - bei anderen würde ich sagen, die hätten Sie lieber von mir schreiben lassen sollen. Und ich interessiere mich für feministische Artikel.
Nathan Mattes: Was mir sehr gefällt am Wochenende, sind die Interviews auf der letzen Seite. Da ging es beispielsweise mal um einen Mathematiklehrer in Wien oder um einen Schleusenwärter in Brandenburg.
Umgekehrte Frage: Was überblättern Sie?
Rudolf Müller: Was sich die deutschen Sportindustriellen so einfallen lassen. Ich bin kein Sportgegner, aber wenn es da nur noch ums Geld geht, ist das nicht mein Ding.
Jolinde Müller: Doch, wenn es um die Kritik am Fußball geht, lese ich das manchmal.
Was sagen Sie zum neuen Layout, das wir seit letztem Sommer haben?
Jolinde Müller: Mir gefällt es. Auch wenn ich weiß, dass es da sehr unterschiedliche Meinungen gibt.
Nathan Mattes: Ich finde es tatsächlich gut: aufgeräumter, der neue Zeitungskopf auf der Titelseite hat einen hohen Wiedererkennungswert. Das ist einfach modern, 21. Jahrhundert halt. Und dass ihr online und im gedruckten Blatt die gleichen Schriftarten verwendet, passt gut.
Das »nd« ist jetzt 75 Jahre alt - welche Schlagzeile würden Sie sich für die Jubiläumsausgabe in 75 Jahren wünschen?
Jolinde Müller: Der Kapitalismus ist überwunden!
Nathan Mattes: Irgendwas Schönes, Hoffnungsvolles. So was wie »Es gibt keine Grenzen mehr«. Oder wenigstens: »Kriegsschiffe werden zu Flüchtlingsrettern«. Aber ich hoffe, dass es nicht 75 Jahre dauert, bis wir uns solcher Probleme entledigt haben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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