Gewehrkugeln per Post

Die Spitzenkandidaten bei den Wahlen in Madrid sind Morddrohungen ausgesetzt

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 5 Min.

»Demokratie gegen Faschismus« oder »Freiheit oder Kommunismus«? Bei den Regionalwahlen in Madrid wird eine Richtungsentscheidung für Spanien fallen und entschieden, ob rechtsextreme Franco-Anhänger Teil einer Regierung werden. Offiziell wird am Dienstag nur entschieden, wer zukünftig in der Hauptstadt und das Umland regiert. Linke Kräfte halten es für möglich, die Vorherrschaft in einer Region zu brechen, in der die rechte Volkspartei (PP) seit 26 Jahren regiert. Umfragen verneinen das eher. Gewählt wird mitten in der Pandemie - obwohl die Inziddenz in Madrid besonders hoch ist - und erstmals seit Jahrzehnten an einem Wochentag. Darüber soll die Beteiligung niedrig gehalten werden, was die Konservativen normalerweise begünstigt. »Die Rechte hat keine Wähler, sondern Gläubige«, meint der bekannte Schauspieler José Sacristán.

Alles hängt in der Region, in der sich die ökonomische, finanzkapitalistische und mediale Macht des Landes konzentriert, davon ab, ob es der Linken gelingt, ärmere Wähler zu mobilisieren. Die sind von der sozialen Krise stark betroffen, aber auch über fehlende Hilfen der linken Zentralregierung enttäuscht. Frustration und Corona-Müdigkeit nutzt die bisherige Regierungschefin Isabel Ayuso von der CDU-Schwesterpartei PP, um sich als Anführerin einer Rebellion gegen »die da oben« darzustellen, obwohl sie offensichtlich die Interessen der Privilegierten vertritt.

Klar ist, dass wichtige Richtungsentscheidungen für das gesamte Land fallen werden, unter anderem über einen neuen Tabubruch der PP. Ließ die sich schon bisher in Madrid von der rechtsextremen VOX-Partei stützen, will sie die Ultras nun direkt in die Regierung holen. »Ich habe keine Probleme, mit VOX einen Pakt zu schließen«, erklärt Ayuso. Nach Umfragen wird sie auf die Stimmen der Anhänger der Franco-Diktatur (1939-75) angewiesen sein.

Ayuso stilisiert die Wahlen zu einer Entscheidung über »Kommunismus oder Freiheit« hoch. Das erklärt sie nicht nur mit Blick auf die Linkskoalition »Unidas Podemos« (UP), dem Koalitionspartner der Sozialdemokraten (PSOE) unter Pedro Sánchez in der Zentralregierung. Ihr Augenmerk gilt auch dem Ministerpräsidenten selbst, den sie auf Sicht gerne beerben würde. Für sie ist im Wahlkampf deshalb Sánchez der Feind, der einer »sozialkommunistischen Regierung« vorstehe und eine »Diktatur« wie in »Venezuela« errichten wolle. »Ich habe bei VOX nicht die Barbareien gesehen, die bei Podemos begangen werden«, wirft sie ihm die Koalition mit UP vor. Das ist hanebüchen, denn die VOX hat sich nicht einmal von hochrangigen Ex-Militärs distanziert, die in einem Chat einen Putsch planten und »26 Millionen Hurensöhne erschießen« wollten.

Im extrem zugespitzten Wahlkampf wurden letztlich sogar alle TV-Duelle abgesagt, da sich VOX nicht einmal von Morddrohungen distanziert hat, die der Podemos-Chef Pablo Iglesias und seine Familie erhalten hatte. In einem Brief wurde ein »Todesurteil« für ihn, seine Frau und seine Eltern ausgesprochen. Vier scharfe Patronen für Sturmgewehre unterstrichen die Drohung, die das spanische Militär und die Nationalpolizei benutzt. Ähnliche Drohungen haben auch der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska, die Direktorin der Guardia Civil, María Gámez erhalten. Industrieministerin Reyes Maroto bekam ein blutiges Messer zugeschickt. Sie soll Finanzministerin in Madrid werden, sollte die PSOE die Wahlen gewinnen. Für Ayuso, auf Schmusekurs mit VOX, haben solche Vorgänge aber »keine Bedeutung«. In Katalonien fing die Post derweil einen an Ayuso adressierten Brief mit zwei Kugeln anderen Kalibers ab.

Wegen der hohen Bedeutung der Regionalwahlen war Iglesias sogar vom Posten als Vize-Ministerpräsident zurückgetreten, um Ayusos Wiederwahl möglichst zu verhindern. Für Iglesias steht nämlich »die Demokratie auf dem Spiel«, die durch eine »neue Rechte à la Trump« bedroht werde. Er spielt dabei auch auf Ayusos Ambitionen an, Madrid als Sprungbrett zu nutzen, um den PP-Chef Pablo Casado auszustechen und sich als künftige Spitzenkandidatin in Stellung zu bringen.

Bel Pozueta beobachtet als Parlamentarierin für die linke baskische EH Bildu (Baskenland Vereinen) aus dem Madrider Parlament besorgt, was sich in Spanien in der »sozialen Krise« zusammenbraut. Für sie ist klar, dass »die Rechte und Ultrarechte die Konfrontation schürt, weil sie davon profitiert«. Deshalb sei es »sehr wichtig, dass die Linke nun aufsteht«. Es gehe nun darum, die »Frustration« von vielen zu überwinden. »Die Linke muss eine Alternative aufzeigen und klarmachen, dass sie der Rechten und dem Faschismus begegnen und die Wahlen gewinnen kann«, erklärt Pozueta gegenüber dem »nd«.

Mit der Konfrontation und den Morddrohungen wurde jedenfalls erreicht, dass die gespaltene Linke zusammenrückt. Hatte der PSOE-Kandidat Ángel Gabilondo kürzlich noch erklärt, mit dem »radikalen« Iglesias nicht paktieren zu wollen, solidarisierte er sich nach den Morddrohungen mit ihm. Er erklärt nun: »Pablo, uns bleiben noch Tage, um die Wahlen zu gewinnen.« Die Sánchez-Vertraute Adriana Lastra erklärt nun ebenfalls. »Es geht um Demokratie oder Faschismus.«

Eine besondere Rolle kommt Mónica García von »Más Madrid« (Mehr Madrid) zu. Die Ärztin und bisherige Regionalparlamentarierin hatte ihren Job als Anästhesistin trotz der Parlamentstätigkeit nicht aufgegeben und rieb Ayuso die tödliche Wirkung von Privatisierung und Kürzungen im Sozialwesen stets unter die Nase. Die Covid-Sterblichkeit in Madrid liegt 35 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Sie ist beliebt und war real die einzige Oppositionsstimme gegen Ayuso, da Gabilondo abgetaucht war. Sie versucht geschickt, sich nicht zu links zu verorten, um breit wählbar zu sein. Ihrer Partei war es schon gelungen, vier Jahre die Hauptstadt zu regieren, wo sie auch bei den letzten Kommunalwahlen stärkste Kraft wurde.

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