- Kultur
- Fernsehzeitschriften
Letzte Zuckungen
Noch sind Fernsehzeitschriften die Cash-Cows großer Verlage. Doch ihr Stern sinkt - und das hat Gründe
Alice Schwarzer, wer hätte das gedacht, kauft Fernsehzeitschriften. Besser: kaufte. Angeblich aus gutem Grund. »Ich lese Hörzu«, gratulierte die Urgroßmutter des bundesdeutschen Feminismus der Urgroßmutter bundesdeutscher TV-Magazine 1996 zum 50. Geburtstag und erklärte: »Wegen der spannenden und bewussten Berichte über Frauen«. Da könnte es sein, dass sie zum 75. Blattgeburtstag im Dezember keinen Glückwunsch mehr schickt. Spannende, gar bewusste Berichte über Frauen, ach was, über irgendwen, sucht man mittlerweile - zumindest in der aktuellen Ausgabe - vergebens.
Stattdessen: das »Foto der Woche« voll süßer Gepard-Babys, reißerischer True Crime zum ungelösten »Fall Maddie«, als Test getarnte Werbung für tschechische Pkw mit fossilem Antrieb und nach den üblichen Medizin-, Reise-, Kochrezepten »5 Wissensfragen der TV-Woche«, zum Beispiel jener, was »Percherons« sind. Will das wirklich jemand wissen? Wer nur die Auflage beim Vierten im Tableau der verkaufsstärksten »Programmies« betrachtet, wie Fernsehillustrierte branchenintern heißen, dürfte wild nicken. Knapp 900 000 Hefte - davon kann selbst »Der Spiegel« nur noch träumen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Verglichen mit der goldenen Ära jedoch - die Siebziger mit ihren Fernsehshows, die Achtziger mit ihrem Amerikanismus, die Neunziger mit ihrer Vielfalt - sind 865 588 Exemplare, die laut IVW-Erhebungen Ende 2020 Woche für Woche über den Ladentisch gingen, ein mittleres Desaster. Fast zwei Drittel beträgt der Auflagenrückgang seit der Jahrhundertwende, als »Hörzu« noch auf gut zwei Millionen Couchtischen lag. Wobei das im Schatten der neuen Konkurrenz 14-tägiger TV-Magazine nur halb so viel wie im Bombenjahr 1979 war. Es geht also abwärts. Jedes Jahr 3,6 Prozent.
Verglichen mit Traditionsblättern anderer Verlage von Bauer bis Klambt, deren Absatz wie im Fall der »Funk Uhr« fast geviertelt wurde und selbst beim Marktführer »TV 14« zweistellig fällt, geht es der »Hörzu« zwar gut; zumal ihr Anzeigenumsatz mit 38 Millionen Euro zuletzt höher lag als bei jeder anderen Fernsehzeitschrift. Aber nicht erst seit Springer sein Hamburger Flaggschiff 2014 an die Essener Funke Mediengruppe verscherbelte, geht es bergab.
Das Wort »Bedeutungsverlust« weist Verlagssprecher Dennis Jerchow zwar von sich; immerhin seien unter den zehn erfolgreichsten Publikumszeitschriften »nach absolut verkaufter Auflage acht Programmies«, denen er »außerordentlich hohe Wirtschaftlichkeit« attestiert. Doch wer seine Druckerzeugnisse liest, findet fatale Zeichen letzter Zuckungen. Die »Gong« etwa, 1948 in München gegründet und 52 Jahre lang kleiner, aber stolzer Rivale der »Hörzu«, wird nun nicht nur im selben Verlag, sondern vom selben Chefredakteur gemacht.
In der aktuellen Ausgabe der »Gong« zeigt Christian Hellmann daher, kein Witz: das »Foto der Woche« voll süßer Gepard-Babys, reißerischer True Crime zum ungelösten »Fall Maddie«, als Test getarnte Werbung für tschechische Pkw mit fossilem Antrieb und nach den üblichen Medizin-, Reise, Kochrezepten »5 Wissensfragen der TV-Woche«, zum Beispiel jener, was »Percherons« sind. Nahezu identischer Inhalt einstiger Kontrahenten: selbst im Zeitalter der Redaktionsgemeinschaften grenzt das an publizistische Selbstverleugnung.
Geradezu bizarr ist hingegen, wie beide gemeinsam die Zukunft verleugnen. Was auch Dennis Jerchow »den neuen Mega-Trend« nennt, verstecken »Gong« und »Hörzu« verschämt am Heftende. Eine Dreiviertelseite für Netflix, Amazon, Disney+ oder Plattformen linearer Internet-TV-Sender - da kann der Grundversorger einer vergreisenden, vorwiegend weiblichen Kernkundschaft noch so schwärmen, wie weit die Verkäufe des neuen Printprodukts »Streaming« schon »unsere Erwartungen übertreffen«: Politische Dauerkrise, Smartphones, Videoportale machen auch seinem Metier zu schaffen.
Wie überall im Drucksegment sterben die Fernsehplatzhirsche mitsamt ihrer Klientel aus und reißen Frischlinge wie etwa die »TV Spielfilm« mit, die das Genre 1990 revolutioniert hatten. Heute gehört sie zu Bauer und verbucht 71 Prozent Auflagenminus seit Herbst 2000.
Insgesamt schrumpfen rund 30 Programmies dreier Großverlage bis auf wenige Ausnahmen noch rasanter als Anstand oder Quote von Sat1. Und aus Sicht der Wirtschaftsprüfer könnten auch die Erträge bald unter fünf Milliarden Euro fallen. Ach ja: die Antwort, was Percherons sind, lautet übrigens französische Arbeitspferde. Wen’s interessiert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.