Linke Perspektiven

Die Diskussionen um progressive Alternativen bei den Wahlen im Herbst sind durchzogen von einer merkwürdigen Lethargie. Doch linke Themen scheinen in der breiten Öffentlichkeit angekommen zu sein

  • Franziska Drohsel
  • Lesedauer: 3 Min.

Beim Stichwort Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot erntet man meist ein Seufzen, gefolgt von den vielen »abers«, warum es darüber nicht zu diskutieren lohnt. Wirft man einen Blick auf die inhaltliche Debattenlage, scheint die Situation für progressive Inhalte wiederum gar nicht so aussichtslos. Viele linke Gewissheiten scheinen in der breiten Öffentlichkeit angekommen zu sein - bei aller Vorsicht, denn das Verkünden linker Annahmen ist etwas anderes als deren Durchsetzung. Dennoch ein paar Beispiele:

Die Pandemie hat tragisch gezeigt, wohin es führen kann, wenn in elementaren Bereichen privatisiert und bei den Löhnen gespart wird. Längst scheint es anerkannt, dass die Privatisierungen und Kürzungen im Gesundheitsbereich falsch sind und Bereiche der Daseinsvorsorge gesellschaftlich zu organisieren sind. Dies fügt sich ein in eine Debatte, in der in den letzten Jahren schon deutlich wurde, dass Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge (Wasser, Strom, Energie) wieder rekommunalisiert oder wie in Berlin eine Vergesellschaftung von Wohnraum diskutiert wird. Kurz: Die Marktmantra ist vorbei - der Markt versagt offensichtlich.

Die künstliche Verknappung durch geistige Eigentumsrechte an Impfstoffen und anderen medizinischen Schutzgütern ist seit der Pandemie und der einseitigen Verteilung des Impfstoffs zugunsten der reichen Länder in der Kritik internationaler NGOs und internationaler Prominenz. Es ist ungerecht, unsolidarisch und epidemiologisch dumm. Das Erfordernis internationaler Solidarität, der alte Anspruch der Arbeiter*innenbewegung, ist aktueller denn je.

Außerdem braucht es auf globaler Ebene Klimagerechtigkeit. Die Fridays-for-Future-Generation und viele andere haben zumindest eines geschafft: Niemand wird heute mehr behaupten, es gäbe kein Erfordernis, jetzt klimapolitisch radikal umzusteuern. Radikal heißt, das 1,5 Grad-Ziel konsequent umzusetzen und die Energie- und Verkehrswende mit allen Kosten, mit gravierenden Umstellungen der Lebensweisen und einem massiven Umbau des Arbeitsmarkts durchzusetzen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April wird die Dynamik über die in Deutschland zu ergreifenden Schritte noch einmal komplett verändern.

In einer globalisierten Welt und erst recht einer der sozialen Ungleichheit wird Migration aus Verfolgung, aus Not, aus der Suche nach Perspektiven immer stattfinden. Das Sterben an den Grenzen muss ein Ende haben. Die Rettung von Menschen in Not kann nicht weiter zivilen Rettungsmissionen überlassen werden. Es sind legale Fluchtmöglichkeiten zu schaffen.

Die Bewegungen von metoo, blacklivesmatter und viele andere haben beeindruckend gezeigt, dass in einer linken Sichtweise die Perspektiven von vielen Menschen Ausdruck finden müssen. Ohne ein Abbilden dieser Perspektiven, ohne eine Parteinahme für den Blick derjenigen, deren Blick strukturell nicht oder zu wenig einfließt, wird es nicht gehen.

Zusammengenommen ergeben sich hieraus schon einige sehr konkrete Projekte, für die es zu kämpfen lohnen würde und die in den Wahlprogrammentwürfen aller drei Parteien links der Mitte auch schon angelehnt sind: die Aussetzung des Patentrechts und die gerechte Verteilung des Impfstoffs, das Schaffen legaler Fluchtrouten, Daseinsvorsorge in gesellschaftliche Hand und Mietendeckel bundesweit ermöglichen, die Gewährleistung von Vielfalt durch Maßnahmen wie Quoten und durch Aufarbeitung strukturellen und institutionellen Rassismus.

Dem stehen aber weder Debatten um ein politisches Projekt noch ein progressives Parteienbündnis zur Seite - geschweige denn der Wille, in die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu gehen. Das Rufen nach höheren Löhnen für Pflegekräfte, das Unterzeichnen von Online-Petitionen, die Spende für Seawatch sind notwendige Schritte, aber noch keine hinreichenden, die entgegenstehenden Widerstände zu brechen. Dafür benötigt werden nicht nur die kritische Wissenschaft, die engagierte Zivilgesellschaft, sondern politische Bewegungen, Gewerkschaften und eben auch Parteien, die den Willen in konkrete Schritte gießen: Bündnisse links der Mitte sind nicht nur sinnvoll, sondern zwingend.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -