USA unterstützen Aussetzung von Patenten für Impfstoffe

Washington will sich bei der Welthandelsorganisation für Ausnahmeregelung einsetzen

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Washington. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie hat sich die US-Regierung für eine vorübergehende Aussetzung des Patentschutzes für Impfstoffe ausgesprochen. »Das ist eine weltweite Gesundheitskrise, und die außergewöhnlichen Umstände der Covid-19-Pandemie verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen«, erklärte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch. Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus begrüßte die Entscheidung als »historisch«.

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Die US-Regierung glaube fest an den Schutz geistigen Eigentums, sagte Tai. Sie werde sich aber bei der Welthandelsorganisation WTO für eine Ausnahmeregelung bei Corona-Impfstoffen einsetzen, »um diese Pandemie zu beenden«. »Das Ziel der Regierung ist es, möglichst viele Menschen so schnell wie möglich mit sicheren und wirksamen Impfstoffen zu versorgen«, die Handelsbeauftragte. Sie betonte zugleich, die Verhandlungen bei der WTO könnten dauern, weil ein »Konsens« gefunden werden müsse. Tai verwies auch auf die »Komplexität« des Themas.

Progressive Demokraten und Aktivisten hatten in den letzten Wochen mit Briefen und Demonstrationen Druck auf das Weiße Haus gemacht, den nun verkündeten Schritt zu gehen. Dementsprechend erfreut reagierte die Parteilinkenvereinigung Congressional Progressive Caucus (CPC). »Die Entscheidung könne Leben retten, komme keinen Moment zu früh« und sei Ergebnis einer globalen Graswurzelbewegung, erklärte die CPC-Vorsitzende Pramila Jayapal.

»Reiche Länder haben aktuell 80 Prozent der verfügbaren Impfstoffe verabreicht, arme Länder nur 0,3 Prozent der Vaccine erhalten. Um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, müssen wir jedes Werkzeug nutzen, das wir haben. Die Aussetzung der Patentrechte wäre ein wichtiger erster Schritt«, so Jayapal. Der CPC fordert außerdem zusätzlich 25 Milliarden Dollar in die Impfstoffproduktion in den USA zu investieren, um damit ärmere Länder zu versorgen, Technologietransfer und Hilfe bei der Organisation von Impfkampagnen für Länder mit niedrigem Einkommen.

WHO-Chef Tedros schrieb beim Onlinedienst Twitter, es handle sich um einen Schritt in Richtung Impfstoff-Gerechtigkeit, »der das Wohlergehen aller Menschen überall in einer schwierigen Zeit in den Vordergrund« stelle. »Lassen Sie uns jetzt alle gemeinsam schnell und solidarisch handeln«, fügte er hinzu. Der WHO-Chef hatte angesichts der Impfstoff-Knappheit in vielen Ländern seit Monaten für einen solchen Patentverzicht plädiert.

Nichtregierungsorganisationen sowie Entwicklungs- und Schwellenländer fordern die vorübergehende Ausnahmeregelung, damit die weltweite Impfstoff-Produktion angekurbelt werden kann. Das wurde von Industrienationen, in denen die großen Pharmakonzerne ansässig sind, bislang aber abgelehnt. Der Weltpharmaverband IFPMA nannte die US-Entscheidung am Mittwoch »enttäuschend«.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigt sich offen für eine Debatte über den US-Vorstoß zur Aussetzung von Corona-Impfstoffpatenten. »Die Europäische Union ist bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht«, sagte von der Leyen am Donnerstag. Man müsse sehen, wie der US-Vorschlag diesem Ziel dienen könne. »Kurzfristig rufen wir jedoch alle Länder mit Impfstoffproduktion auf, Exporte zu erlauben und alles zu vermeiden, was Lieferketten stören könnte.«

Von der Leyen betonte in ihrer online übertragenen Rede für eine Konferenz in Italien: »Um es klar zu sagen, Europa ist die einzige demokratische Region der Welt, die Exporte im großen Maßstab erlaubt.« Bisher seien mehr als 200 Millionen Dosen Corona-Impfstoff in den Rest der Welt geliefert worden. Das sei fast so viel, wie hier in der EU verabreicht worden sei. Die EU sei die Apotheke der Welt.

»Jetzt wo die USA an Bord sind, muss die EU nachziehen«, forderte der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament Bernd Lange auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Die Patentaussetzung sei »moralisch wichtig«, so der SPD-Politiker. In Deutschland reagierte der Linkspartei-Parlamentarier Niema Movassat mit Spott und Ironie auf die Ankündigung aus den USA und »Prüfung« der Patent-Freigabe auch durch die EU: »Manchmal ja doch ganz praktisch, dass die EU einfach den USA folgt.« Er kritisiert, dass »Deutschland weiter stramm gegen jede Freigabe der Patente« stehe. Um dies zu ändern will die Linkspartei laut Movassat noch am Donnerstag einen Antrag im Bundestag einbringen, schließlich fordere man bereits seit Januar eine Patentfreigabe.

Bei Menschenrechtsorganisationen stieß die Ankündigung der USA auf Jubel. Amnesty International schrieb im Kurzbotschaftendienst Twitter, US-Präsident Joe Biden habe damit klar gemacht, »dass die USA das Leben von Menschen über die Gewinne von Pharmaunternehmen stellen«. Es handle sich um einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, um einen »erschwinglichen und fairen Zugang zu Impfstoffen weltweit« zu ermöglichen.

Erfreute Reaktionen kamen auch aus anderen Teilen der Welt: Neuseeland begrüßte die Entscheidung und der australische Premierminister Scott Morrison nannte den Vorstoß »großartige Nachrichten«. Nun könne Australien mRNA-Impfstoffe vor Ort herstellen.

Negativ reagierten dagegen Anleger: Die Aktienkurse von Impfstoffherstellern wie Biontech, Moderna und Novavax erlitten teils deutliche Kursverluste. So rutschte der Kurs der Moderna-Aktie um zwischenzeitlich mehr als sechs Prozent in den Keller.

Die Verhandlungen für eine Aussetzung des Patenschutzes werden bei der WTO geführt. Indien und Südafrika machen dort schon seit geraumer Zeit Druck, um eine vorübergehende Aussetzung des Patentschutzes bei den Vakzinen zu erreichen.

Unmittelbar vor der Ankündigung der USA rief WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala die Mitgliedstaaten auf, sich der Dringlichkeit der Frage der gerechten Verteilung von Impfstoff bewusst zu werden. »Die Art und Weise, wie die WTO dieses Thema behandelt, ist entscheidend«, sagte sie am Mittwoch in Genf.

Nach Angaben eines WTO-Sprechers gab es bei den Verhandlungen über eine mögliche Patentaussetzung für Impfstoffe »sehr konstruktive« Gespräche. Indien und Südafrika als besonders energische Verfechter einer Aussetzung hätten angekündigt, ihren Vorschlag dafür »zu überarbeiten« und in der kommenden Woche einen möglichen Kompromisstext vorzulegen.

Diese Ankündigung wurde von Okonjo-Iweala begrüßt. »Ich bin fest überzeugt: Wenn wir einmal alle mit einem konkreten Text vor uns zusammensitzen, dann werden wir einen pragmatischen und für alle Seiten akzeptablen Weg finden.« AFP/nd

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