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Nach dem Deckel kommt der Mietenturbo
Vermietungsportal erwartet deutlichen Anstieg der Berliner Angebotspreise – Senat veröffentlicht neuen Mietspiegel
»Wir erwarten mit Abstand die größten Preissteigerungen in Berlin«, sagt Axel Schmidt, Sprecher des Immobilienportals Immoscout24 am Donnerstag. Die Angebotsmieten in der Hauptstadt könnten also schneller steigen als in den im Vergleich betrachteten Metropolen Hamburg, München, Köln und Frankfurt am Main. Das wäre dann eine Folge des Mitte April gefallenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, der den Mietendeckel für nichtig erklärt hatte.
»Nachholeffekte« heißt das im Ökonomensprech. Das Mietniveau in Berlin soll sich demnach also an Hamburger oder Frankfurter Werte um die zwölf Euro pro Quadratmeter im Bestand annähern. Immoscout definiert als Neubau nur in den letzten zwei Jahren fertiggestellte Wohnungen. Derzeit liegen sie bei rund zehn Euro.
Seit 15. April sind die Angebotsmieten für Wohnungen, die vor 2014 bezugsfertig waren und bei denen demnach das Berliner Landesgesetz zur Mietenbegrenzung gegriffen hatte, auf dem Portal um satte sieben Prozent nach oben gegangen. Das entspricht 90 Cent pro Quadratmeter. Gleichzeitig hat ein Teil der Immobilienbesitzer offenbar den Vermietungsstreik beendet. Das Angebot stieg seitdem um 8,6 Prozent. In absoluten Zahlen entspreche das Zuwächsen »von einigen Hundert Wohnungen«, erläutert Schmidt. Allerdings dauere es nun länger als vorher, bis es zum Abschluss eines Mietvertrags kommt, beobachtet Immoscout-Analyst Tim Winke.
»Es ist gut, dass Berlin durch das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts wieder Rechtssicherheit hat. Wir hoffen, dass sich das Angebot an Bestandswohnungen weiter erholen wird«, erklärt Immoscout-Geschäftsführer Thomas Schroeter. Nach Angaben des Portals gibt es in der Hauptstadt durchschnittlich 158 Kontaktanfragen pro Woche auf jedes Vermietungsangebot im Bestand – ein Mehrfaches der Werte, die in den anderen Metropolen üblich sind.
Derweil zeigt sich, dass die Stadtentwicklungsverwaltung nicht unvorbereitet auf ein Scheitern des Mietendeckels war. Am Donnerstag ist auch der neue Mietspiegel 2021 veröffentlicht worden – auf dessen Erarbeitung hatten unter anderem die Grünen massiv gedrängt. Es ist ein Indexmietspiegel, der auf der bundesweiten Entwicklung der Lebenshaltungskosten seit Veröffentlichung der letzten Auflage 2019 basiert. Um 1,1 Prozent steigen also die Werte für alle Mietspiegelfelder. Die Durchschnittsmiete stieg um sieben Cent pro Quadratmeter auf 6,79 Euro.
»Das Land nutzt durch die Veröffentlichung eines qualifizierten Mietspiegels konsequent den im Bundesrecht bestehenden Spielraum, um Mieterhöhungsmöglichkeiten zu begrenzen«, erklärt Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke). Berlin hatte eigentlich auch keine andere Wahl, denn durch Gesetze fixierte Mieten wie bei Sozialwohnungen oder beim Mietendeckel dürfen nicht einfließen. Doch auch München ist bereits diesen Weg gegangen, um den irren Mietanstieg zu begrenzen – bei Immoscout werden dortige Bestandswohnungen für fast 16 Euro pro Quadratmeter angeboten.
»Durch die Vorsicht des Berliner Senats haben wir nun zeitnah und im rechtlich vorgegebenen Zeitraum einen Folgemietspiegel«, lobt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mieterverein, das Vorgehen.
Da es wegen des Mietendeckels nicht möglich gewesen sei, die ortsüblichen Vergleichsmieten zu erheben, »konnten wir den diesjährigen Mietspiegel nicht mitzeichnen«, erklärt der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen auf nd-Anfrage. Auch andere Verbände haben nicht unterzeichnet, was der Gültigkeit allerdings keinen Abbruch tut.
Der Mieterverein kritisiert das scharf. »Wir rechnen mit vielen Mieterhöhungen, mit denen die Mietspiegelwerte überschritten werden sollen, und zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen«, so Reiner Wild. Bei der aktuell im Bundestag befindlichen Mietspiegelreform werde es auf Druck der Immobilienwirtschaft keine Verbesserungen geben, kritisiert die Mieterlobby.
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