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Am anderen Ende

Die Serie »Underground Railroad« von Barry Jenkins erzählt teils auf verstörende Weise von der Geschichte der Sklaverei in den USA

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 6 Min.

Kaum ein Buch über die Geschichte der Sklaverei und des US-amerikanischen Rassismus dürfte in den vergangenen Jahren weltweit eine solche Reichweite gehabt haben wie Colson Whiteheads Roman »Underground Railroad« (2016). Nun hat Barry Jenkins das mit dem National Book Award und dem Pulitzerpreis (den zwei wichtigsten literarischen Auszeichnungen in den USA) prämierte Werk als zehnteilige Serie verfilmt.

»Underground Railroad« erzählt zum Teil auf verstörende Weise von der Geschichte der Sklaverei anhand des Schicksals der jungen Cora (großartig gespielt von der im internationalen Film bisher kaum bekannten südafrikanischen Schauspielerin Thuso Mbedu), die von einer Plantage in Georgia in den 1840er Jahren quer durch die halbe USA flieht und dabei auf zahlreiche Menschen trifft. »Underground Railroad« ist aber kein historisches Epos im herkömmlichen Sinn. Die titelgebende Underground Railroad gab es zwar in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA tatsächlich. Es war ein Netzwerk geheimer Fluchtrouten und Häuser für aus der Sklaverei entflohene Menschen. Zum anderen gab William Still 1872 ein Buch gleichen Titels heraus, das eine Chronik der geflohenen Menschen enthält.

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In der Fiktion wird diese Fluchtroute zu einer tatsächlichen Untergrundbahn, die verschiedene Staaten unterirdisch miteinander verbindet und in der Cora und andere aus der Sklaverei in Richtung Norden fliehen. »Am einen Ende steht, was man war, bevor man in den Untergrund ging, und am anderen Ende tritt ein neuer Mensch ins Licht hinaus. Die Welt droben muss so gewöhnlich sein verglichen mit dem Wunder darunter«, heißt es in dem Roman, der diese zwischen 1810 und 1850 genutzte Fluchtroute mit den Mitteln der Phantastik quasi materialisiert. Barry Jenkins lässt in seiner Serienadaption diese Untergrundbahn sogar noch ein Stück materieller werden, wenn man so will, mit langen Eisenbahnzügen, zahlreichen Schaffnern und Stationsvorstehern, ganzen Bahnhofshallen und jeder Menge Fahrgästen, wo im Roman auch mal nur ein Tunnel und eine Draisine vorkommen.

Akribisch wird Buch geführt über die Fahrgäste, wodurch diese Untergrundbahn in der Serie etwas geradezu Kafkaeskes bekommt. Auch das Amerika in dieser Geschichte entspricht keineswegs den historischen Gegebenheiten, sondern ist eher eine in der Vergangenheit liegende Parallelwelt, die allegorisch verschiedene Aspekte rassistischer Herrschaft inszeniert. So eröffnet »Underground Railroad« anhand der unterschiedlichen Stationen von Coras Flucht ein ganzes Panorama rassistischer Gewalt und Repression in den USA. In der Serie sind die einzelnen Episoden nach Bundesstaaten benannt und bilden so Coras jahrelange Fluchtroute ab.

Cora wächst auf einer Baumwollplantage in Georgia auf und leidet wie alle anderen Sklaven dort unter dem brutalen Regime des Plantagenbesitzers, der ein widerwärtiger, sadistischer Rassist ist. Coras Mutter (Sheila Atim) ist die Einzige, der vor Jahren die Flucht von der Plantage gelungen ist. Als auch Cora mit ihrem Freund Caesar (Aaron Pierre) flieht, wird sie vom Sklavenjäger Ridgeway (Joel Edgerton) verfolgt, der schon vor Jahren vergeblich ihre Mutter suchte und nicht fand. Cora auf die Plantage zurückzubringen, wird für Ridgeway zur Obsession, sodass er ihr durch das ganze Land folgt, sie mehrmals gefangen nimmt - aber Cora gelingt immer wieder die Flucht.

Ihre erste Station nach dem albtraumhaften Georgia ist South Carolina, wo es in der Fiktion zu diesem Zeitpunkt keine Sklaverei mehr gibt. Cora und Caesar leben dort in einem Art Wohlfahrtsprogramm, das Schwarzen Menschen Unterkunft, Bildung, Arbeit und medizinische Versorgung bietet. Nur stellt sich bald heraus: die Schwarzen Frauen werden sterilisiert, die Männer nehmen, ohne es zu wissen, an pharmazeutischen Versuchen teil, bei denen Menschen ums Leben kommen. Hinter der liberalen, philanthropischen Haltung der vermeintlichen weißen Wohltäter steckt ein brutales und nicht weniger mörderisches System von Ausbeutung und Unterdrückung.

Cora begibt sich wieder auf die Flucht, muss ihren Geliebten Caesar zurücklassen und landet in North Carolina. In dessen religiös geprägtem Herrschaftssystem, das ein Stück weit an die frühneuzeitlichen mörderischen Hexenjagden in Salem erinnert, werden alle Schwarzen Menschen und die weißen, die ihnen helfen, hingerichtet. Kilometerlange Baumreihen mit erhängten, vor allem Schwarzen Menschen säumen die Landstraßen dieser Gegend, die Barry Jenkins wie in einem Horrorfilm inszeniert. Cora versteckt sich wochenlang, auf dem Dachboden kauernd, im Haus eines weißen Ehepaares, bis sie schließlich entdeckt wird und ihre Fluchthelfer massakriert werden.

Die nächste Station, Tennessee, ist eine vor sich hin brennende postapokalyptische Landschaft, durch die sie als Gefangene mit dem Sklavenjäger Ridgeway fährt. Barry Jenkins, der für den Film »Moonlight« (2016) den Oscar erhielt, inszeniert diese Serie mit der für sein filmisches Schaffen so typischen stimmungsgeladenen, regelrecht an Gemälde erinnernden Bildern und langen Kameraeinstellungen, in denen er die Gesichter der Menschen in den Fokus nimmt. Insofern unterscheidet sich diese Serie, deren zehn Folgen jeweils länger als eine Stunde dauern, radikal von dem, was derzeit an süffigen und unterhaltsamen Bewegtbildern in Serienproduktionen üblich ist.

Jenkins bildgewaltiges Opus zeichnet sich über weite Strecken durch eine regelrecht elegische Langsamkeit aus, die eher im Stil des Arthouse-Kinos gehalten ist. Dabei werden die Brutalität und die Grausamkeit dessen, was erzählt wird, auch nicht voyeuristisch ausgeschlachtet. Oft bleibt die Kamera lange an der Mimik einer Person hängen, die etwas Schreckliches sieht. Die Brutalität des mörderischen Rassismus wird hier nicht mit literweise Kunstblut inszeniert, sondern immer wieder auch einmal nur angedeutet oder aus der Ferne gezeigt. Insofern positioniert sich dieser Film auch ein Stück weit in der derzeit in den USA geführten Debatte, die um die Frage kreist, inwieweit die Bilder von der Gewalt gegen Schwarze Menschen auch eine unangemessene Verwertung in der derzeitigen Kulturindustrie erleben. Von »Black Trauma Porn« ist in diesem Zusammenhang die Rede.

Die mehr als zehn Stunden dauernde Serie »Underground Railroad« ist voller verstörender und grausamer Bilder. Jenkins erzählt jedoch ebenso wie Whitehead in der literarischen Vorlage vor allem von den seelischen Abgründen, Schmerzen und deren Verarbeitung durch die Figuren. Auch wenn Cora die Hauptperson in diesem Epos ist, um die sich alles dreht, ist »Underground Railroad« vor allem auch eine Geschichte über all die Menschen, denen Cora begegnet und von denen sie viele im Lauf ihrer Flucht wieder verliert.

Die Serie erzählt von zahlreichen aus der Sklaverei entflohenen Menschen, von Sympathisanten, von Solidarität und vom gemeinsamen Kampf gegen ein repressives System. Dem selbst organisierten Landwirtschaftskollektiv in Indiana, in dem Cora schließlich unterkommt, lässt Barry Jenkins viel Raum, um ein anderes, utopisches, Schwarzes Amerika zu zeigen.

Wobei sich auch hier bald Diskussionen einstellen, in denen es um die Frage geht, wie das Kollektiv im kapitalistischen Amerika überleben kann. Sollen weiße Geschäftsleute eine Beteiligung an der dortigen Weinproduktion bekommen? Und wie verhält es sich mit Cora, die illegal dort lebt? Ist sie eine Gefahr für die Gemeinschaft? Und müsste dieses Kollektiv nicht all seine Energie in den Kampf gegen Sklaverei stecken, statt auf einer utopischen »Insel« zu leben? Darüber wird heftig gestritten, bis sich schließlich zeigt, dass auch dieses utopische Landwirtschaftskollektiv den nie endenden mörderischen und rassistischen Angriffen des weißen Amerika ausgesetzt ist.

Aber wieder schafft es Cora, zu entkommen, um ganz am Ende aus der geheimen unterirdischen Bahn ans Tageslicht zu treten und einem offenen, unbekannten Schicksal entgegenzusteuern.

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