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Angriff auf Konzernprivilegien
EU-Kommission macht neuen Vorstoß für Reform der Unternehmensbesteuerung
Auf ein Neues: Bereits zum dritten Mal versucht die EU-Kommission, den Mitgliedstaaten ein Gesetzespaket zur Beschränkung der dubiosen Steuerpraktiken multinationaler Konzerne schmackhaft zu machen. Es gehe um eine »Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert«, sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis bei der Präsentation der Pläne in Brüssel. Mit Hilfe einheitlicher Regeln sollen Schlupflöcher gestopft werden. Zudem werde das Aufkommen zwischen den EU-Staaten fairer verteilt. Die Unternehmenslobby wird mit Kostenersparnis durch weniger Bürokratie gelockt.
Schon vor zehn Jahren hatte die Kommission einen Vorstoß für eine einheitliche Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage gemacht, fünf Jahre später noch einmal in leicht veränderter Form. Bisher haben die EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Gewinnermittlungsverfahren bei der Steuererhebung - einige ermöglichen es den Konzernen, sich vor dem jeweiligen Fiskus quasi arm zu rechnen. Letztlich scheiterten alle Vorstöße der Kommission an der Blockade durch einzelne Staaten wie Luxemburg, Irland und die Niederlande, die multinationale Unternehmen mit besonderen Vergünstigungen locken - das Prinzip der Einstimmigkeit in Steuerfragen in der EU stand im Weg.
Der aktuelle Versuch hat einen anderen Namen: BEFIT, englische Abkürzung für »Unternehmen in Europa: Rahmen für Einkommensbesteuerung«. Ziel ist, bis 2023 EU-weit einheitliche Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung mit einer gerechteren Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten auf den Weg zu bringen. Die Steuersätze würden national bleiben. Außerdem stellt die Kommission die Einführung einer Digital- und Mindeststeuer in Aussicht. In den nächsten Monaten wird es weitere Initiativen geben, die große Konzerne zur Offenlegung ihre tatsächlichen Steuerquote zwingen und den Missbrauch von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke eindämmen sollen. Auch bei der Energiebesteuerung soll sich etwas tun.
Die Initiativen sind dabei eng verbunden mit den laufenden Verhandlungen über Veränderungen in der Unternehmensbesteuerung im Rahmen der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Die Regeln für eine globale Steuerreform werden vom Industrieländerclub OECD ausgearbeitet. Das Vorhaben hat gerade erst starken Rückenwind durch den Vorschlag der neuen US-Regierung zu einer globalen Mindeststeuer für große Unternehmen erhalten. Allgemein wird mit einer Einigung im Sommer gerechnet, was dann auch Änderungen in der EU nach sich ziehen müsste.
Doch ob der internationale Druck ausreicht, die neuen Brüssler Pläne voranzubringen? Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2019 hatte ergeben, dass bei einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage in der EU insbesondere Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland die Gewinner wären. In diesen Staaten sind selbst Unternehmensverbände für eine Neuregelung. Am meisten zu verlieren hätten hingegen die bisherigen Bremser. Und für die gibt es eigentlich keinen Grund, sich zu bewegen, zumal selbst besonders dreiste Steuersparmodelle auch juristisch kaum zu belangen sind: Gerade erst wurde eine von der EU-Wettbewerbskommission verlangte hohe Steuernachzahlung des Internetriesen Amazon in Luxemburg vom EU-Gericht gekippt.
Und so bleibt es fraglich, ob Brüssel mit BEFIT mehr Erfolg als mit früheren Initiativen haben wird. »Die EU-Kommission hat einen ambitionierten Plan für faire und effektive Unternehmensbesteuerung in Europa vorgelegt«, meint Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europaparlament. »Die Vorschläge sind gut, aber es fehlt an einem Plan für die Durchsetzung.«
An der Einstimmigkeit in Steuerfragen hat sich nämlich bis heute nichts geändert. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni versucht, die Skeptiker mit gesundem Menschenverstand zu ködern: Bis zu 70 Milliarden Euro jährlich gehen den EU-Staaten laut Schätzungen durch die Steuervermeidungspraktiken großer Unternehmen verloren. Geld, das zur Konjunkturankurbelung nach der Coronakrise eigentlich dringend benötigt wird. Die Situation nach der Pandemie mache eine verlässliche öffentliche Finanzierung nötig, sagte Gentiloni. Doch rein mit Argumenten wurden Steueroasen bisher noch nie zum Einlenken bewegt.
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