- Politik
- Schuldenbremse in Sachsen
Den Härtetest nicht bestanden
Sachsens Politik ringt um Änderungen bei Schuldenbremse
Über fünf Monate haben Sachsens Abgeordnete benötigt, um den Landeshaushalt für die Jahre 2021/22 auszuhandeln, der am Donnerstag beschlossen wurde. Dass dabei trotz der Coronakrise auf harte Einschnitte verzichtet werden konnte, ist einer kräftigen Neuverschuldung zu danken. Allein für diesen Etat nimmt der Freistaat Kredite über 2,3 Milliarden Euro auf, die fehlende Steuereinnahmen ausgleichen sollen. Das Geld kommt aus einem Fonds von 6,7 Milliarden Euro, für den der Landtag angesichts der Pandemie im April 2020 einstimmig den Weg frei machte.
Doch spätestens im Haushalt 2023/24 dürften sich schmerzhafte Einschnitte auch in monatelangen Verhandlungen nicht vermeiden lassen – wenn der Freistaat an seinen derzeitigen finanzpolitischen Spielregeln festhält. Seit 2013 ist in seiner Verfassung eine Schuldenbremse verankert. Zwar ermöglicht diese in »außergewöhnlichen Notsituationen« wie der Pandemie die Aufnahme von Krediten. Sie stellt aber auch harte Regeln für deren Rückzahlung auf. Die Tilgung, heißt es in Artikel 95 (6) der Verfassung, müsse »spätestens innerhalb von acht Jahren erfolgen«.
Die Konsequenzen wären dramatisch. Würde der Coronafonds voll ausgeschöpft, müsste das Land bis 2028 jährlich rund eine Milliarde Euro Schulden tilgen. Damit »droht der Rotstift im sozialen und kulturellen Bereich, beim Personal und bei Investitionen«, sagt DGB-Landeschef Markus Schlimbach. Die Schuldenbremse werde dann »zu einer massiven Investitionsbremse«. Die Jusos fürchten einen »Totalkollaps der Förderung der Zivilgesellschaft und ein Ende jeglicher staatlicher Investitionen«.
Schuldenbremsen wurden seit entsprechenden Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat aus dem Jahr 2009 in Bund und Ländern eingeführt. Sie unterscheiden sich aber im Detail. Müssen Kredite aufgenommen werden, darf sich die Rückzahlung im Bund über 20 Jahre erstrecken, in Nordrhein-Westfalen gar über 50. Sachsen, das sich gern als finanzpolitischer Musterknabe aufspielt, setzte sich eine Frist von nur acht Jahren und schrieb diese in die Verfassung, die nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden kann. Der DGB-Chef nennt die Festlegung zum Tilgungszeitraum »aberwitzig«.
Wie es zu der Regelung kam, ist schwer zu klären. Über die für die Schuldenbremse nötige Änderung der Verfassung verhandelten 2013 CDU, Linke, SPD und Grüne im Landtag. Offenbar konnte man sich eine Krise im jetzigen Ausmaß nicht vorstellen. »Hätte man damals so etwas geahnt, hätte man sicherlich eine andere Regelung gefunden«, sagte Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt im Oktober. Inzwischen ist klar, dass die geltenden Regularien dem Land die Luft nähmen. Man habe »eine Schuldenbremse, die den Staat in der Krise zusätzlich schwächt«, sagt Franziska Schubert, Fraktionschefin der Grünen. Sie habe »den Stresstest nicht bestanden«.
Eine Abschaffung steht freilich auch nicht zur Debatte. Zwar hat die Linke das im Oktober per Parteitagsschluss gefordert, ähnlich äußerten sich jetzt auch die Jusos. Im Landtag und in der Koalition aus CDU, Grünen und SPD ist das aber nicht mehrheitsfähig. Für die CDU gehört der weitgehende Verzicht auf neue Schulden zur »soliden« Finanzpolitik. Für die Grünen sagt Schubert, man wolle das Instrument »praktikabel« gestalten. Konkret erwäge man einen Tilgungszeitraum von 30 Jahren und einen Mechanismus, der Krisen nicht verstärkt, sondern ihnen entgegen wirkt, sagte sie dem »nd«. Gebhardt bezeichnete jetzt im Landtag eine Frist von 20 bis 30 Jahren zur Rückzahlung der Kredite als »angemessen«. Der DGB fordert eine Verlängerung der Tilgungsfrist auf 50 Jahre.
In der Koalition befinde man sich derzeit »in der Abstimmung über ein Paket an Verfassungsänderungen«, sagt Schubert. Um es zu verabschieden, sind Stimmen der Opposition erforderlich. Die Linke signalisiert Bereitschaft – allerdings nur, wenn »auf Augenhöhe verhandelt« werde, sagte Gebhardt.
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