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Der Geist der Songs
Er ist kein Magier, aber sehr aktiv: Am Pfingstmontag wird Bob Dylan 80 Jahre alt
Von den einen wird er vergöttert. Sie halten ihn für ein unsterbliches Genie des Tiefsinns. Die anderen sagen, er könne weder singen, noch Gitarre spielen. Und seine Texte seien unverständlicher Quatsch.
Die Musealisierung Dylans hat längst begonnen. Egal ob in Duluth/Minnesota, wo Dylan vor 80 Jahren als Robert Zimmermann geboren wurde, oder in Hibbing/Minnesota, wo seine Eltern später mit ihm hinzogen und er mit seiner Rock’n Roll Band in der Stadthalle auftrat. Oder das New Yorker Gaslight, wo er als noch unbekannter Folksänger auftrat, oder das legendäre Haus »Big Pink« bei Woodstock, wo die »Basement Tapes« aufgenommen wurden, und, und, und … Überall wimmelt es von wallfahrenden Dylanologen.
Aber die Frage ist, was feiern wir eigentlich, wenn wir Bob Dylan feiern? Den alten Mann, der irgendwo auf der Welt gerade hinter der Bühne sitzt und auf den nächsten Auftritt seiner unendlichen Tour wartet? Oder feiern wir den großen Musiker? Die geschrammelten Versionen seiner Songs »Blowin in the Wind« oder »Mr. Tambourine Man« hatten jedenfalls nicht das Zeug zum Pop-Hit. Erst als Peter, Paul and Mary »Blowin in the Wind« in eine dreistimmige Hymne verwandelten, wurde es zum Hit. Erst als die Byrds »Mr. Tambourine Man« unter Strom setzten und mehrstimmig arrangierten, wurde es zum Hit. Erst als die Beatles den Dylan-Stil einmal durch den Lennon-McCartney-Filter siebten und »You’ve got to hide your love away« darin hängen blieb, wurde klar, dass der Insidertipp Dylan zu einem der größten Einflüsse auf den Mainstreampop geworden war. Der Dylan-Stil wurde in den Sechzigern und Siebzigern extrem einflussreich. Die Popmusik wurde ernsthafter, intellektueller und politischer.
Aber ist Dylan wirklich das Genie, für das ihn viele halten? Wie alle Popmusiker, ist er auch nur ein Zwerg, der auf den Schultern von ganz vielen anderen Zwergen steht, die zusammen zum Riesen geworden sind. »Ich nehme einen Song, den ich kenne, und spiele ihn einfach in meinem Kopf ab«, erzählte er 2005 in einem Interview mit der »Los Angeles Times« über seine Songwritingtechnik. »Und irgendwann verändern sich die Worte und ich beginne einen Song zu schreiben.« Mark Polizzotti berichtet in seinem Buch über das Album »Highway 61 Revisited«, von 1965, dass Dylan bei seinen Melodien häufig derart deutliche Anleihen bei seinen Folk-Kumpels machte, dass er kaum noch seinen Anspruch auf die Urheberschaft verteidigen konnte.
Dylan ist kein Magier, sondern eher ein co-aktiver Musikkonsument. Der Literaturwissenschaftler Ole Petras bezeichnet Popmusik als ein »Gewebe von Äußerungen, die in einem fortwährenden Austausch stehen«. Ein Songwriter wie Dylan sei in diesem Gewebe höchstens eine Schnittstelle, aber kein Ursprung. Und das weiß Dylan auch. His songs contain multitudes. Nicht der alte Mann ist genial. Genial sind die vielschichtigen Songs. Verrätselte Palimpseste, die von uralten Traditionsfäden durchzogen sind und sich aus modernen Stilrichtungen und komplexen lyrischen Einflüssen speisen. Er hat sich auf das Geschäftsmodell »Popstar« eingelassen und seit 1962 mit wechselnden Musikern und Produzenten 39 offizielle Studioalben aufgenommen. Darunter sind Klassiker und grandiose Reinfälle. Viele, viele Menschen waren daran beteiligt. Er hat diese Alben beworben mit Bildern und Filmaufnahmen. Ikonisch ist der Film mit den Wörterschildern zu »Subterranean Homesick Blues«. Das Phänomen Dylan, umgeben von einer gigantischen Wolke aus Marketing, Kommentaren, Reviews, Interpretationen und Mythen. Alles, was Dylan veröffentlicht, wird augenblicklich einer gründlichen Exegese unterzogen. Ohne all das wäre Zimmermann heute ein hustender Rentner mit Gitarre, der in der Fußgängerzone Folktraditionals vortragen würde.
Ein Rebell ist Dylan nicht. Ihm selbst war sein Helden- und Geniestatus immer unheimlich. Der Orden der Ehrenlegion, der Nobelpreis, der Oscar? Er hat das immer mit einem gewissen Widerwillen hingenommen. »Don’t follow leaders«, sang er schon 1965. Der Auftritt mit Joan Baez beim »March on Washington« 1963, als Martin Luther King »I have a dream« sagte, machte ihn zum Helden des Protests. Und als er 1965 auf dem Newport Folk Festival mit einer E-Gitarre seine Folkkarriere in die Luft jagte, wurde er noch mal zum Helden, der sich mutig über Konventionen und Erwartungen hinwegsetzt.
Damit gewann Dylan in den Sechzigern und Siebzigern eine treue Anhängerschaft, die ihn bis heute als Genie verehrt. Aber wenn Fans so etwas tun, dann sagen sie damit mehr über den Zeitgeist als über ihren Star. Eine Heldenfigur ist immer eine Komplexitätsreduktion. Und in Bob Dylan wurde all das, was die Protestkultur der Sechziger Jahre verehrte, hineinprojiziert. Davon zehrt er bis heute.
Eigentlich sollte Dylan zum 80. seine Fans feiern. Denn ein Popsong bekommt erst Bedeutung, wenn er gehört wird. Wichtiger als alles, was Bob Dylan mit den Songs sagen oder erreichen wollte, ist das, was seine Hörer daraus gemacht haben. Es ist egal, ob »Blowin in the Wind« oder »Chimes of Freedom« als Protestsongs gemeint waren oder nicht. Wenn sie von ihren Hörern so benutzt wurden, dann sind sie Protestsongs. Es ist egal, wer Bob Dylan wirklich ist, wenn er von seinen Fans für einen intellektuellen Protestliedermacher gehalten wird, dann ist er einer.
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Vielleicht ist es Zeit für eine postheroische Betrachtung des Phänomens Bob Dylan. Es geht hier nicht um ein Genie. Es geht um ein paar Dutzend genialer Songs, Alben und Performances, die zum Soundtrack des Lebens vieler Hörer wurden. Feiern wir also am Pfingstmontag den Geist dieser Songs. »Wenn ich nicht Bob Dylan wäre, würde ich vermutlich selber denken, dass Bob Dylan mir eine Menge Antworten geben kann«, zitiert Maik Brüggemeyer die Essenz des Mythos Dylan.
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