Repression überschattet Wahlkampf

In Algerien soll im Juni ein vorgezogenes Votum über die Parlamentszusammensetzung stattfinden

  • Claudia Altmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Überschattet von einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise sowie zunehmender Repression gegen Oppositionelle läuft seit knapp einer Woche in Algerien der Wahlkampf zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 12. Juni. Staatspräsident Abdelaziz Tebboune hatte vor drei Monaten die Nationalversammlung aufgelöst und deren Neuwahl als Teil seiner Politik des »Neuen Algerien« um ein Jahr vorverlegt. Seit Februar 2019 haben landesweite friedliche Massenproteste, bei denen jeden Freitag zeitweilig Millionen Menschen gegen das herrschende korrupte System auf die Straße gegangen waren, die politische Krise des nordafrikanischen Landes offen zutage treten lassen.

Auch der Sturz von Langzeitpräsident Abdelaziz Bouteflika im April 2019 und die Wahl seines Nachfolgers im Dezember desselben Jahres haben die Protestbewegung »Hirak« nicht gestoppt. Nach wie vor sieht ein Großteil der Bevölkerung des 43-Millionen-Landes die Forderungen nach einem echten Systemwandel in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unerfüllt. Vorschläge des »Hirak«, in einer Übergangsphase eine breite demokratische Debatte mit dem Ziel einer konstituierenden Versammlung zu führen, wurden von der Führung ignoriert. Daher wird der anstehende Urnengang von vielen Anhängern der Protestbewegung abgelehnt. Auch mehrere politische Parteien aus dem linken und weiteren demokratischen Spektrum boykottieren die Wahlen. Dennoch bewerben sich jetzt um die 407 Parlamentsplätze mehrere Tausend Kandidaten auf etwa 1500 Listen.

Vor dem Hintergrund, dass die politischen Parteien des Landes kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung haben, sind die meisten Bewerber diesmal unabhängig. Die Regierung hat vor allem junge Leute zur Teilnahme ermutigt und finanziert deren Wahlkampf mit jeweils umgerechnet etwa 1800 Euro, dem Zehnfachen des algerischen Mindestlohns. Im Vorfeld der Wahl hat Tebboune versprochen, dass die alten Praktiken, wie Stimmen- und Kandidatenkauf sowie Wahlfälschung, der Vergangenheit angehören sollen. Ein eigens dafür verabschiedetes Gesetz schließt Personen von der Kandidatur aus, die »Verbindungen zu zweifelhaften Finanzen und Geschäften« haben und stellt die Entgegennahme von Bargeldspenden aus dem Ausland unter Strafe. Damit soll dem künftigen Parlament Glaubwürdigkeit zurückgegeben werden.

Bisher hatte die oberste Volksvertretung den Ruf, lediglich die Politik der Regierung kritiklos abzusegnen und der Bereicherung der Abgeordneten zu dienen. Derlei Praktiken haben auch mit dazu beigetragen, dass die bisher die Mehrheit stellenden Parteien Nationale Befreiungsfront (FLN) - im jahrzehntelangen Einparteiensystem alleinherrschend - und deren Schwesterpartei Nationaldemokratische Sammlungsbewegung (RND) in den Augen der Bevölkerung weitestgehend diskreditiert sind. Gleiches gilt auch für die zugelassenen islamistischen Parteien, die das System in den zurückliegenden 30 Jahren mitgetragen haben.

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Generell ist das Interesse an der Wahlkampagne mit dem offiziellen Motto »Beginn des Wandels« mehr als gering. In der Hauptstadt Algier sind die installierten Ständer für die Wahlplakate nahezu leergeblieben. Die wenigen angebrachten Plakate wurden von Unbekannten wieder heruntergerissen. Angesichts der weit verbreiteten Ablehnung des Wahlganges lässt die Führung des Landes allerdings versöhnende Maßnahmen vermissen. Stattdessen setzt sie auf massive Repression gegen Andersdenkende. So wurden die jüngsten friedlichen Freitagsdemonstrationen mit Polizeigewalt im Keim erstickt. Allein in der vergangenen Woche wurden dabei 800 friedlich Demonstrierende festgenommen. 159 Personen sitzen wegen ihrer Kritik am politischen System derzeit im Gefängnis, darunter einige mit ein- und mehrjährigen Haftstrafen.

Sowohl die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen als auch die Europäische Union haben die algerische Regierung wegen ihres Vorgehens gegen Oppositionelle kritisiert. Deren Antwort war dieser Tage die Ankündigung, mehrere regimekritische Parteien, darunter die Sozialistische Arbeiterpartei (PST), verbieten zu wollen. Für den laufenden Wahlkampf und den Tag der Abstimmung kündigte das Justizministerium zudem an, dass jede deren Ablauf behindernde Aktion mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft wird.

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