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  • AfD-Spitzenkandidat*innen

»Flügel«-Kandidaten setzen sich durch

Alice Weidel und Tino Chrupalla führen die AfD als Spitzenduo bei der Bundestagswahl im Herbst an

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die AfD steht geschlossen hinter Euch! Auf geht’s – einig!«, verspricht Stephan Brandner auf Twitter. Der Parteivize bejubelte im Kurzbotschaftendienst am Dienstag euphorisch den Sieg von Alice Weidel und Tino Chrupalla bei der Urabstimmung über das AfD-Spitzenduo zur Bundestagswahl im September. Um seine Nähe zu Kandidat*innen zu betonen, postete Brandner zwei Fotos, auf denen er in trauter Eintracht jeweils mit Weidel oder Chrupalla zu sehen ist.

Auf den ersten Blick hat der zum Lager der Völkischen zählende Parteivize recht: Bei der Mitgliederbefragung stimmten etwas über 71 Prozent der Teilnehmer*innen für Weidel und Chrupalla. Das konkurrierende Duo, bestehend aus der hessischen Bundestagsabgeordneten Joana Cotar und dem niedersächsischen Generalleutnant a. D. Joachim Wundrak, konnte dagegen nur rund 27 Prozent von sich überzeugen.

Allerdings: Obwohl die AfD allerorten betont, wie wichtig ihr Basisdemokratie sei, scheinen die eigenen Mitglieder von dieser Möglichkeit nur zögerlich Gebrauch zu machen. An der Befragung beteiligten sich nur etwa 48 Prozent der rund 32 000 Parteibuch-Besitzer*innen. Nicht zuletzt könnte die geringe Quote auch damit zusammenhängen, dass nur eine Woche Zeit blieb, um an der Online-Umfrage teilzunehmen. Ein größerer innerparteilicher Wahlkampf war im Vorfeld der Abstimmung ebenfalls nichts vorgesehen – ein klarer Nachteil für das wesentlich unbekanntere Duo Cotar und Wundrak.

»Die AfD geht erwartbar mit einem Flügel-nahen Team ins Rennen«, sagte der Politologe Michael Lühmann gegenüber »nd«. Weidel, Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, und Bundessprecher Chrupalla galten von Anfang an als Favorit*innen, insbesondere, weil sie sich der Unterstützung durch die völkisch-nationalistischen Kräfte in der Partei sicher sein konnten. Der »Flügel« befindet sich trotz seiner formalen Auflösung im vergangenen Jahr im Aufwind. Zuletzt gelang es seinem Frontmann Björn Höcke, auf dem Bundesparteitag in Dresden eine weitere Radikalisierung des Wahlprogramms im Sinne der Völkischen durchzusetzen.

Einziger Schönheitsfehler aus Sicht der rechtsradikalen Strömung: Der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen hatte knapp verhindern können, dass mögliche Spitzenkandidat*innen bereits auf dem Parteitag in Dresden gewählt wurden. Erfahrungsgemäß sind die Völkischen auf Versammlungen besser organisiert, die Chancen für ein nicht vom »Flügel« unterstütztes Duo waren zumindest theoretisch bei einer Urwahl deutlich höher. Meuthen hatte sich, wenig überraschend, für Cotar und Wundrak stark gemacht. Der Plan ging allerdings nicht auf.

»Obwohl nur knapp die Hälfte der Mitglieder abgestimmt hat, zeigt das Ergebnis, wo die Partei ideologisch steht, nämlich deutlich in der völkischen Tradition des Flügels um Höcke«, so Lühmann. Ebenso belege die Abstimmung, wie groß die Mobilisierungsfähigkeit und organisatorische Macht des aufgelösten »Flügels« ist, so der Politikwissenschaftler von der Universität Göttingen. Ein Wahlprogramm mit völkischer Handschrift, zwei vom »Flügel« gestützte Spitzenkandidat*innen – für Lühmann deutliche Beweise dafür, dass die AfD mit ihrer Strategie der Selbstverharmlosung gescheitert ist. Mit »Deutschland. Aber normal« hatte sie ihre Kampagne zur Bundestagswahl überschrieben, um sich ein bürgerlich-konservatives Image zu verpassen.

Wie wenig dieses Selbstbild mit der Realität übereinstimmt, hatte sich zuletzt am Wochenende gezeigt. Im Zuge von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mühlhausen wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung war am Samstag Höckes Haus im thüringischen Bornhagen durchsucht worden. Zudem war erst vor einer Woche bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz die Thüringer AfD als »erwiesen rechtsextreme« Gruppierung einstuft. Höckes Landesverband ist der erste innerhalb der AfD mit dieser Bewertung.

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