- Kultur
- »Mare of Easttown«
Noch ein Femizid
Die US-Krimiserie »Mare of Easttown«
Manchmal lohnt es sich, Serien oder Filme in der Originalsprache zu sehen. Das gilt auch für »Mare of Easttown«, eine neue HBO-Miniserie, von der es allwöchentlich eine neue Folge zu sehen gibt. Denn in dem kleinstädtischen Working-Class-Krimidrama aus der Gegend um Philadelphia arbeiten sich die Schauspieler am »delco-accent« ab. Das ist ein an der US-amerikanischen Ostküste beheimateter, nach dem Delaware-Country benannter Regionalakzent mit jeder Menge umgangsprachlicher Ecken und Kanten. Hauptdarstellerin Kate Winslet, die die titelgebende Mare Sheehan aus dem 10 000-Einwohner-Kaff Easttown spielt, soll bei den Dreharbeiten angeblich fast an dem Dialekt verzweifelt sein. Dabei bestand vor allem die aus dem südostenglischen Berkshire stammende Schauspielerin darauf, der Authentizität wegen diesen Dialekt für ihre Rolle als Polizistin einzustudieren. »Mare of Easttown« ist eigentlich eine siebenteilige Krimiserie, hat aber fast mehr von einem Independent-Sozialdrama, das vor allem von Frauen erzählt, die mit ihrem Job, jeder Menge Reproduktionsarbeit, familiären Zwängen und nicht selten auch mit männlicher Gewalt konfrontiert sind.
Mare lebt mit ihrer Mutter zusammen, hat eine Teenagertochter und eine Enkelin, die Tochter ihres Sohnes, der Suizid verübt hat. Mit dessen früher drogenabhängigen Ex liegt sie im Sorgestreit wegen des Enkelkindes. Ihren Job als Kleinstadt-Detective versieht Mare, die fast jeden kennt, eher wie eine Sozialarbeiterin, die mehr schlichtet als verhaftet. Nebenbei ist sie eine Lokalheldin, weil sie bei einem Basketballspiel vor 25 Jahren mit ihrem Treffer der örtlichen High-School den nationalen Meisterschaftstitel bescherte.
Als der Jahrestag dieses Provinz-Sport-Großereignisses gefeiert wird, passiert ein Mord in der Kleinstadt. Eine junge Frau wird tot aufgefunden, die zuvor in einen Streit mit anderen Jugendlichen verwickelt war. Oder geht es hier um sexuellen Missbrauch, der vertuscht werden soll? Bereits ein Jahr zuvor ist ein Mädchen verschwunden, dessen Mutter ebenfalls Mitglied der legendären Basketballmannschaft ist und die Mare wegen mangelnder Ermittlungserfolge bei jeder sich bietenden Gelegenheit öffentlich angreift. Schließlich wird Mare ein junger Ermittler zur Seite gestellt, den die oft schlecht gelaunte Polizistin gerade noch so erträgt.
In den sieben Episoden entwickelt »Mare of Easttown« ein dichtes Netz miteinander verknüpfter Geschichten der Kleinstadt mit ihren vornehmlich aus Arbeitermilieu und Kleinbürgertum stammenden Bewohnern. Die authentische Inszenierung - von der regionalen Sprache über das von allen fortwährend konsumierte Junkfood und den protzigen Autos bis hin zur Kleidung - wird in den USA, wo die Serie schon läuft, in Feuilletons und Blogs fleißig analysiert.
Aber es sind die motivisch genial miteinander verwobenen einzelnen Storylines der Familien, Freundeskreise und Arbeitskolleginnen, die aus der Krimiserie ein dichtes Gesellschaftspanorama machen, das von seiner pointierten Inszenierung und den großartigen Schauspielern lebt.
Es geht um jugendliches Begehren, routinierte Affären jenseits der 40, frustrierende Polizeiarbeit, Amtsmissbrauch, queere Liebesgeschichten, Teenagermütter, Eifersuchtsdramen, den Stress im Job, Verlustängste, Trauerarbeit, Generationenkonflikte und um junge Frauen, die verschwinden oder ermordet aufgefunden werden.
Irgendwann entsteht der Eindruck, als wären alle Männer in Easttown vom Priester über den mürrischen Jugendlichen bis hin zum Vorzeigevater verdächtig und würden womöglich sogar unter einer Decke stecken. Die Krimigeschichte rückt aber auch immer wieder in den Hintergrund, wenn es etwa um Mares Affäre mit dem Schriftsteller Richard (Guy Pearce) geht, der an einem College in der Nähe Creative Writing unterrichtet, ihre Tochter Siobhan (Angourie Rice) einen Dokumentarfilm über ihren toten Bruder zusammenstellt oder eine weitere Etappe im Sorgerechtsstreit mit der ehemaligen Schwiegertochter ansteht.
Aber der Fall der verschwundenen jungen Frauen und der verdächtigen Männer tritt dann doch immer wieder in den Vordergrund. Und das passiert nicht zuletzt deshalb, weil die ständig zwischen Tür und Angel Philly-Cheese-Steak-Sandwiches in sich hineinstopfende Mare Sheehan gar nicht aufhören kann, um die Wahrheit zu kämpfen, die immer bedrohlicher wird und irgendwann sogar die Ermittlerin an ihre Grenzen bringt.
»Mare of Easttown« - immer freitags ab 20.15 Uhr auf Sky Atlantic und auf Sky Ticket (Deutschland), sowie über Sky Go und Sky Q auf Abruf verfügbar.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.