Werbung

Die letzte Erkenntnis blieb unpubliziert

Thomas Alexander Szlezák über Platon, einen Meisterdenker

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Besteht die philosophische Tradition Europas nur aus einer »Reihe von Fußnoten zu Platon«? Diese Behauptung stellte der englische Mathematiker und spätere Harvard-Professor für Philosophie Alfred North Whitehead vor über 60 Jahren auf. Mehrfach zitiert ihn der Tübinger Altphilologe und Philosophieprofessor Thomas Alexander Szlezák in seinem großartigen und streitbaren Werk über den »Meisterdenker der Antike«.

In diesem mustergültig edierten und durch mehrere Register bestens erschlossenen Buch geht es um den »ganzen« Platon, also sein Leben und seine aristokratische Herkunft. Der Autor beschreibt Platons Denken und Schreiben sowie die Überlieferung seines mündlichen Wirkens in der von ihm gegründeten Akademie. Szlezák weitet den Blick über die für manche Platon-Interpreten ausschließlich als authentisch gewerteten Dialoge hinaus, die seit 200 Jahren »klassische Bestseller« sind - wohl auch, weil der »Gesprächsführer« kein Geringerer als der von einem Athener Gericht zum Tode verurteilte Sokrates war, Platons wichtigster Lehrer.

Das alles erzählt der Autor mit philologischer Genauigkeit, die nicht nur den Wortlaut, sondern auch den jeweiligen Textzusammenhang würdigt, sowie mit einer an Platon angelehnten »dialektischen« philosophischen Gedankenfolge. Damit überzeugt er seine Leser und vielleicht auch die Vertreter von Gegenpositionen. Bleibt irgendwo ein Unklarheit, kann Szlezák mit Platon charmant auf die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens verweisen. Das Buch, in dem diskret auch des Philosophen homoerotische Neigung angedeutet wird, wendet sich nicht nur an Spezialisten. Es fordert dennoch mit seiner streng wissenschaftlichen Methode vom Leser - wie Platon einst von seinen Akademieschülern - eine fortwährende geistige Mitarbeit.

Überraschend für die an der »romantischen« Platon-Rezeption geschulten Leser wird hier anhand des in seiner Echtheit umstrittenen »Siebten Briefes« nachgewiesen, dass Platon nicht seine »letzte Erkenntnis« publiziert hat, um sie nicht einer ungebildeten Diskussion auszusetzen. In jenem Schreiben werden Platons umstrittene Aktivitäten in Syrakus gerechtfertigt, die darauf abgezielt hätten, den tyrannisch regierten syrakusischen Stadtstaat nach philosophischen Grundsätzen zu reformieren. In den Dialogen habe Platon absichtsvoll vor der Erkenntnisschwelle seinen Gedankengang oft abgebrochen, informiert Szlezák. Über dessen »ungeschriebene« Gedanken wissen wir von einigen seiner Schüler, deren berühmtester und auch kritischster Aristoteles war, der spätere Lehrer des makedonischen Königs und Welteneroberers Alexander der Große.

Aus den diversen Quellen erschließt Szlezák die »Grundzüge der Prinzipientheorie« Platons, wobei er nicht mit Kritik an Ungereimtheiten spart. An Platon kritisiert der Autor, dass dieser »das Gute« als Ursache von allem Richtigen und Schönen der Welt, das von Gott stamme, überhöht habe; für »das Schlechte« in der Welt müsse man andere Ursachen als Gott suchen. Welche, fragt sich rein rhetorisch der wissende moderne Mensch.

Szlezák behandelt auch Platons Anthropologie, Ethik, Staatsauffassungen und Kosmologie bis hin zu seinen Gedanken über Mythen, Religion, Götter und Gott. An verschiedenen Stellen warnt er davor, Platon mit »modernen« Maßstäben zu messen, zum Beispiel wenn er von dessen Ironie spricht. Anderswo verweist er ins Heute. »Die Frage nach den letzten Prinzipien aller Dinge mag in post-metaphysischer Zeit als obsolet gelten«, schreibt er und ergänzt, dass die vorsokratische/sokratische Frageweise fortlebt in der Suche der theoretischen Physik nach einer vollständigen vereinheitlichenden Theorie, die es ermöglichen würde, die bisher nicht in Einklang miteinander gebrachten Theorien einheitlich zu denken. Szlezák verweist in einer seiner insgesamt 1149 Fußnoten auch auf den britischen Astrophysiker Stephen Hawking. So führen die Fußnoten einerseits mit Whitehead auf Platon zurück, andererseits auf eine weiter notwendige Beschäftigung mit Platon in eine noch zu erschließende Zukunft.

Thomas Alexander Szlezák: Platon - Meiterdenker der Antike. C. H. Beck, 779 S., geb., 38 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

- Anzeige -
- Anzeige -