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Transatlantische Allianz: Wertekanon und Westbindung
Von der Gründung der Bundesrepublik bis zum vereinten Deutschland – ein historischer Exkurs
Im März 1947 rief US-Präsident Harry S. Truman den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion aus. Drei Monate später verkündete sein Außenminister George C. Marshall den nach ihm benannten Plan zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas. Am 4. April 1949 wurde die Nato gegründet, am 23. Mai desselben Jahres das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Deren leitende Organe, Parlament und Regierung, begannen im September zu arbeiten, Bundespräsident und Kanzler wurden gewählt. Am 22. November schlossen die drei westlichen Besatzungsmächte und die Bundesrepublik das sogenannte Petersberger Abkommen. Es sah den Beitritt der BRD zur Internationalen Ruhrbehörde vor.
Am 3. Dezember 1949 äußerte Bundeskanzler Konrad Adenauer in einem Interview mit der US-amerikanischen Zeitung »The Cleveland Plain Dealer«, die Bundesrepublik »solle zur Verteidigung Europas einen Beitrag in einer europäischen Armee unter dem Kommando eines übergeordneten europäischen Befehlshabers leisten«. Erforderlich sei die Ausdehnung des militärischen Engagements der Vereinigten Staaten in Deutschland.
Aus diesem Sammelsurium von Daten und Fakten ergibt sich für die Betrachtung im Nachhinein das Muster einer dreifachen Westbindung der damals gerade im Entstehen begriffenen Bundesrepublik: erstens an einen Wertekanon, zweitens an ein kapitalistisches Europa, drittens an die Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Westbindung war noch keine Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes.
Jetzt der Reihe nach:
Der Wertekanon, den das zunächst provisorische Teilstaatsgebilde sich verordnete, ist im Grundgesetz zusammengefasst: Menschen- und staatsbürgerliche Grundrechte, Demokratie, Gewaltenteilung. Das ist es, was in aktuellen globalen Auseinandersetzungen der sogenannte Westen für sich reklamiert. Die geografische Zuordnung ist irreführend. Auch Japan gilt ja längst als in diesem Sinn westliches Land. Immerhin ist diese Bezeichnung historisch angebracht, weil Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich die ersten Staaten waren, die sich zu solchen Normen staatlichen Verhaltens verpflichtet hatten.
In Deutschland war das zweimal gescheitert: Die Paulskirchenverfassung von 1849 trat nie in Kraft. Das Deutsche Kaiserreich war keine Demokratie, sondern ein Obrigkeitsstaat. Die Weimarer Republik mit ihrer Verfassung von 1919 wurde ab 1930 zu einer Art Präsidialdiktatur und 1933 vom Faschismus zerschlagen. Das Grundgesetz war der dritte Versuch, den demokratischen Wertekanon auch in Deutschland umzusetzen; die DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949, damals nicht für den Osten, sondern für Gesamtdeutschland geplant, übrigens der vierte.
Diese an Grundwerten und demokratischen Verfahren orientierte Selbstverpflichtung ist die wichtigste der drei Westbindungen. Insoweit sie seitdem realisiert wurde und wird, kann man sich keinen vernünftigen Menschen vorstellen, der (oder die) nicht gern in einem solchen Staat leben möchte – mindestens so lange, wie die Kasse stimmt, also die materiellen Voraussetzungen für die Legitimation ausreichend vorhanden sind.
Die europäische Westbindung war noch keine Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, sondern ergab sich aus den Machtverhältnissen des Jahres 1949. Nach den Angriffskriegen und dem Völkermord des NS-Staates wurde das, was von Deutschland übrig geblieben war, unter Sicherungsverwahrung gestellt. Die Teilung des Landes war eine Form davon und hat von 1945 bis 1990 gut funktioniert.
Aber auch dem Teilstaat mit der vorläufigen Hauptstadt Bonn trauten die westlichen Siegermächte und seine Nachbarn nicht. Um gleichberechtigt zu werden, musste sich die Bundesrepublik erst einmal hinten anstellen. Allmählichen völkerrechtlichen Aufstieg erlangte sie nur auf dem Umweg der Delegierung von Souveränitätsrechten an europäische Institutionen, zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet. Produktion und Verteilung wichtiger Materialien der einstigen deutschen Waffenschmieden – Kohle, Koks und Stahl – wurden von der Internationalen Ruhrbehörde kontrolliert. Ihr gehörten Belgien, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, die Niederlande und die USA an. Durch ihre Bereitschaft zum Beitritt im November 1949 fügte die BRD sich dort ein. Das war der erste Schritt auf einem Weg, der 1951 zur Gründung der Montanunion und 1957/58 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft führte.
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Der neue Staat im Westen hatte ein ostpolitisches Programm: Wiederherstellung eines kapitalistischen Gesamtdeutschlands durch Zurückdrängung der Sowjetunion aus Mitteleuropa. Dies ging nur im Rahmen des von den USA geführten zweiten Kalten Krieges. Das Bündnis mit ihr wurde zur Staatsräson der Bundesrepublik. Konrad Adenauers Angebot vom Dezember 1949, auch eigene Truppen dafür bereitzustellen, war ein Beitrag hierzu. 1950 wurde eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft geplant. Nach deren Scheitern in der französischen Nationalversammlung 1954 folgte 1955 der Beitritt der Bundesrepublik in die Nato.
Versuchen wir aus der Sicht des Jahres 2024 eine Zwischenbilanz dessen zu ziehen, was sich 1949 anbahnte: Die Entscheidung für eine parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung und rechtsstaatlicher Garantie von Freiheitsrechten nach dem Muster westlicher bürgerlicher Gesellschaften hat ein recht effizientes politisches System hervorgebracht. Es gibt vorläufig wohl doch ein recht ordentliches politisches Leben im falschen kapitalistischen. Die Einordnung der Bundesrepublik in Westeuropa hinderte sie nicht daran, dort zur ökonomischen Vormacht zu werden, wenngleich nicht immer zur Freude ihrer Nachbarn.
Der Sieg der USA 1947 im ersten Kalten Krieg und die Gefolgschaft der BRD ist dem deutschen Kapital gut bekommen. Ausweislich der Wahlergebnisse war auch das Volk damit zufrieden. Ob diese dritte Form der Westbindung (die transatlantische) beim neuesten Showdown der Vereinigten Staaten – vordergründig gegen Russland, in der Hauptsache gegen China – ebenso viel Vergnügen bereiten wird, muss sich noch zeigen. Diesseits und jenseits des großen Wassers wird jetzt wohl viel darüber nachgedacht werden.
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