Als Randthema abgetan: Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt

Francis Seeck über die negativen Folgen der Corona-Pandemie für queere Menschen

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die queeren, trans und nicht-binären Menschen ausgewirkt, die Sie für Ihre Dissertation zum Thema Sorgearbeit interviewt haben?

Da gab es dramatische Entwicklungen: Eine Interviewpartnerin gehört etwa zur Risikogruppe, weil sie chronisch krank und älter ist. Vor der Pandemie hat sie in einem linken Hausprojekt gewohnt. Weil sich die Menschen dort aber nicht auf Hygienemaßnahmen einigen konnten, musste sie ausziehen. Sie ist dann in ihr Heimatdorf zurückgezogen - ein ziemlich transfeindliches Umfeld, in dem sie nicht mehr offen trans leben kann. Und natürlich spielen auch Armut und Klasse eine Rolle: Viele trans und nicht-binäre Personen waren schon vor der Pandemie erwerbslos oder in informellen, schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen. Insgesamt hat die Pandemie materiell arme Menschen besonders hart getroffen.

Francis Seeck
Francis Seeck ist Geschlechterforscher*in und arbeitet zu den Themen Sorgearbeit, Klassismus sowie geschlechtliche Vielfalt. Für seine*ihre Dissertation hat Seeck 19 queere, trans und nicht-binäre Menschen zum Thema Sorgearbeit befragt. Dabei ging es auch um die momentanen Lebensumstände der Befragten.

Welche Auswirkungen haben Sie außerdem beobachtet?

Ich habe auch trans-aktivistische Gruppen interviewt, trans Berater*innen und Menschen, die trans Cafés betreiben. Da ist die Einschätzung eher ambivalent: Viele Formate finden jetzt online statt. Natürlich produziert das Ausschlüsse - für Leute, die keinen Internetzugang oder Laptop haben, denen die technischen Skills fehlen oder die keinen ruhigen Ort haben, an den sie sich zurückziehen können. Andererseits sind durch Onlineformate Reisekosten weggefallen. Das hat es für viele leichter gemacht, sich zu beteiligen.

Dennoch leiden derzeit besonders viele queere, trans und nicht-binäre Menschen an Einsamkeit. Woran liegt das?

Daran, dass die Politik gerade sehr auf Paarbeziehungen und heterosexuelle Kernfamilien ausgerichtet ist. Für Menschen, die in Wahlfamilien leben, für Patchwork-Familien und polyamoröse Konstellationen sind viele Möglichkeiten des Zusammenkommens weggefallen. Das führt natürlich zu sozialer Isolation. Einige der Befragten hat das in existenzielle Krisen gestürzt. Für andere war es schwierig, dass zeitweise auch die gesundheitliche Versorgung von trans Personen eingeschränkt war. Geschlechtsangleichende Operationen wurden beispielsweise verschoben, da sie von der Politik nicht als »lebensnotwendige« Eingriffe eingestuft wurden.

Auch viele öffentliche queere Orte sind geschlossen. Was bedeutet das für LSBTIQ?

Vereinsräume, Treffpunkte, Bars und Clubs sind natürlich sehr wichtig. Das sind Räume, in denen die eigene Realität die Norm ist und es Möglichkeiten gibt, Erfahrungen zu teilen und Unterstützung zu erhalten. Man muss aber auch sagen, dass Clubs- und Bars vor allem in der cis Schwulenszene eine sehr große Bedeutung haben. Für viele trans Personen waren das nie sichere Räume. Auch dort gab es Ausschlüsse. Und auch außerhalb Berlins, im ländlichen Raum, spielen Clubs keine so große Rolle.

Außerdem muss man Geld haben, um in Clubs gehen zu können.

Genau. Und für Menschen, die älter sind oder chronische Krankheiten haben, ist das oft auch keine Option. Dennoch ist es natürlich ein Problem, dass viele dieser Orte jetzt existenziell bedroht sind. Viele fragen sich, welche Räume es nach der Pandemie noch geben wird. Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt wurde ja schon vorher als Randthema abgetan. Die Angst ist groß, dass zukünftige Kürzungen deshalb vor allem queere Orte treffen könnten.

Viele dieser Orte haben schon jetzt finanzielle Schwierigkeiten. Gibt es Möglichkeiten, sie zu unterstützen?

Teilweise konnten die finanziellen Auswirkungen durch Spenden abgefedert werden. Vor der Pandemie haben viele Gruppen und Einzelpersonen auf Soliparties Geld gesammelt, etwa um Kosten für transitions zu bezahlen. In den vergangenen Monaten hat sich Crowdfunding als gute Alternative erwiesen. Wobei man da sagen muss, dass das nicht für alle Menschen gleichermaßen gut funktioniert.

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Wieso nicht?

Weil man die eigene Geschichte als eine Art Entrepreneur-Geschichte erzählen muss: Man hat aus dem Nichts ein Projekt aus dem Boden gestampft. Personen aus der Mittelklasse wissen oft besser, wie sie sich darstellen müssen, um Geld zu bekommen. Und Forschungen aus den USA haben gezeigt, dass weiße, trans männliche Personen und trans Personen mit Klassenprivilegien oft mehr Geld gespendet bekommen als von Rassismus betroffene oder transweibliche Personen und trans Personen aus der Armuts- und Arbeiter*innenklasse. Auch Crowdfunding reproduziert also soziale Ungleichheiten.

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