- Politik
- Corona-Impfung
Impfung von Kindern ab 12 Jahren wahrscheinlich bald möglich
Bund und Ländern sprechen sich für Freigabe ab dem 7. Juni aus / Entscheidung der EU-Arzneimittelbehörde erwartet
Berlin. Vor der Entscheidung der EU-Arzneimittelbehörde EMA über die Zulassung eines Corona-Impfstoffes für Kinder wird die Debatte über die Konsequenzen heftiger. Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD) forderte, Kinder und Jugendliche müssten in vollem Umfang an den Öffnungsschritten aus dem Lockdown teilhaben. Eine Impfung dürfe dabei keine Rolle spielen. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) verlangte, die Eltern müssten sich gut informieren und dann selbstständig entscheiden können.
»In erster Linie sind hier Kinder-, Jugend- und Hausärztinnen und -ärzte die kompetenten Ansprechpersonen«, sagte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Zudem darf nie in Zweifel stehen, dass das Entscheidungsrecht, ob das einzelne Kind geimpft werden darf oder nicht, allein bei den Eltern liegt.«
Ob in der Europäischen Union eine Corona-Impfung bereits für Kinder möglich wird, will an diesem Freitag die EU-Arzneimittelbehörde EMA entscheiden. Der zuständige Experten-Ausschuss kommt zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um über die Zulassung des Impfstoffs von Biontech/Pfizer für Kinder ab 12 Jahren zu beraten. Bisher ist er in der EU ab 16 Jahren freigegeben.
Keine Priorisierung für Kinder
Am Donnerstag hatten Bund und Länder festgelegt, dass sich Kinder ab 12 Jahren in Deutschland vom 7. Juni an gegen Corona impfen lassen dürfen, sofern die EU-Behörde grünes Licht gibt. Am 7. Juni soll die Priorisierung hierzulande generell aufgehoben werden, damit sollen sich dann auch Kinder von zwölf bis 16 Jahren um einen Termin bemühen können, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mitteilte.
Es ist allerdings nicht mehr vorgesehen, dass die Länder vom Bund zusätzliche Impfdosen für Kinder und Jugendliche erhalten sollen. Nach dem Bund-Länder-Beschluss sollen für die Impfungen insbesondere die niedergelassenen Ärzte infrage kommen. Auch indirekten Zwang solle es nicht geben, hatte Merkel betont.
Versagen der Impfpaten
Ulrike Henning über falsche Prioritäten beim Impfgipfel
Lambrecht sagte, die Teilhabe der Kinder am gesellschaftlichen Leben dürfe nicht davon abhängen, ob sie geimpft sind oder nicht. »Das muss für die Teilnahme am Präsenzunterricht, aber auch für Freizeitaktivitäten wie Schwimmbadbesuche oder Urlaube gelten.« Zusammen mit ihren Eltern müssten die Kinder eine verantwortungsbewusste und freiwillige Entscheidung auf der Basis umfassender und fundierter Information treffen können.
Der Verband Bildung und Erziehung warf der Regierung vor, vor dem Impfgipfel Erwartungen geschürt zu haben, die nicht eingehalten werden könnten. Es sei gut, dass die Bund-Länder-Beratungen das deutlich gemacht hätten, sagte Beckmann. Hier sei klar geworden: »Es wird keine zusätzlichen Impfkontingente geben.«
Beckmann sagte: »Wir verstehen zwar die Euphorie, denn die Impfung verheißt Normalität. Doch immer den zweiten vor dem ersten Schritt zu gehen und schon von Impfmobilen vor Schulen zu fabulieren, noch bevor der Impfstoff für diese Altersgruppe freigegeben, geschweige denn von der zuständigen Impfkommission empfohlen wurde, kommt einer fahrlässigen Täuschung gleich.«
Lauter Ruf nach mehr Präsenzunterricht
Spitzenkandidaten von Grünen, CDU und SPD fordern Bildungssenatorin zu Kurswechsel auf
Auch der Deutsche Lehrerverband reagierte enttäuscht. Es sei zweifelhaft, ob die Beschlüsse nennenswerte positive Auswirkungen auf den Schulbetrieb im nächsten Schuljahr hätten, sagte Verbandschef Heinz-Peter Meidinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Stiko will sich Zeit lassen
Die EMA will das Ergebnis ihrer Beratungen über die Zulassung des Biontech-Impfstoffs um 15.00 Uhr in Amsterdam bekannt geben. Die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland will sich mit ihrer Empfehlung allerdings noch Zeit lassen, weil aus ihrer Sicht die Daten über Nebenwirkungen bei Kindern noch zu dünn sind. Sie hat angedeutet, dass sie eine Impfung womöglich nur für vorerkrankte Kinder empfehlen will.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt stellte sich hinter dieses Vorgehen: »Die Datenlage zu Risiken und Nutzen einer möglichen Corona-Impfung bei Kindern und Jugendlichen ist derzeit noch so unzureichend, dass man keine Empfehlung abgeben kann«, sagte er der »Rheinischen Post«.
Keine dringliche Indikation für eine Impfung
Intensivmediziner verlangten, den immer noch knappen Impfstoff vor allem bei Erwachsenen einzusetzen, weil die ein höheres Risiko für schwere Krankheitsverläufe hätten. »Kinder erkranken häufig asymptomatisch oder im Verlauf harmlos und haben deshalb derzeit bei knappen Impfstoffkapazitäten keine dringliche Indikation für eine Impfung«, sagte der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Florian Hoffmann, den Funke-Zeitungen.
Impfe sich, wer kann
Die Risikogruppen sind noch lange nicht geschützt, doch es gibt Terminprobleme. Das Gedrängel nimmt zu
In Deutschland will bisher nur etwa die Hälfte der Familien ihre Kinder gegen das Coronavirus impfen lassen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der »Augsburger Allgemeinen« (Freitag) hervor. Demnach sind 51 Prozent der Befragten, bei denen Kinder im Haushalt leben, für eine Impfung des Nachwuchses, 40 Prozent der Erziehungsberechtigten lehnen hingegen die Schutzimpfung für ihre Kinder derzeit ab. Der Rest äußerte sich unentschieden. dpa/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.