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Revolutionär mit Charisma
»Stimme der Revolution«: Rudi Dutschke, die Ikone der westdeutschen Linken, wird in Originaltonaufnahmen wieder erlebbar
Links und radikal - das ist deutlich erkennbar nicht eine identitätslose Grüne Partei, es ist auch nicht die »Identitätspolitik« genannte Moralpolitik eines selbstzufriedenen linksliberalen Bürgertums. Wohl auch nicht die Beschwörung der bürgerlichen »Normalität« und ebenso wenig eine besinnungslose Antifa, die meint, »Schwurbler*innen« aus den Kiezen zu vertreiben, sei bereits emanzipatorische Politik.
Links und radikal in einem gesellschaftsverändernden und humanistischen Sinn waren hingegen sicherlich Eigenschaften des prominenten Sprechers der außerparlamentarischen 68er-Bewegung in Westdeutschland: Rudi Dutschke. Dessen rednerischen Impetus kann man nun in Form von Tondokumenten der Reden und Diskussionen dieses 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde geborenen und in der DDR aufgewachsenen, aufklärerischen Agitators kennenlernen.
Der Ousia Verlag um Carsten Prien macht sich schon seit einigen Jahren verdient um das Erbe der antiautoritären Revolte, in deren Zentrum eine rätesozialistische Utopie stand. Nach Buchveröffentlichungen, die Dutschkes Kritiken des bürokratischen Staatssozialismus sowjetischer Prägung und dem entgegengesetzte basisdemokratische Organisationsmodelle präsentierten, liegt nun eine CD-Box vor, die zwölf Originalaufnahmen des APO-Sprechers beinhaltet, der 1968 Opfer eines rechtsradikalen Anschlags geworden ist, an dessen Spätfolgen er 1979 schließlich verstarb.
Die Stimme ist markant, die Sätze zeugen von einem Glauben an die Kraft der Entfaltung des besseren Arguments. Viele zentrale Begriffe wie »Produktivkraft« entstammen dem Kosmos des Marxismus, in heutigen Debatten bis in die radikale Linke hinein sind sie tabuisiert oder aus der Mode gekommen. Sie verweisen auf komplexe theoretische Zusammenhänge, sind definiert und werden von Dutschke auch ihrer Definition gemäß verwendet. Wer heutige - und zwar nicht nur linke - Debatten verfolgt, weiß, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist.
Dutschke moralisiert nicht, dennoch sind seine Überlegungen von einer moralischen Überzeugung durchdrungen. Ermahnungen erfolgen eher im Modus der Selbstkritik als der Fremdanklage, so etwa wenn er 1967 davon spricht, dass sie selbst als Demonstranten sich von den letzten »Resten faschistoiden Gewaltdenkens« hätten frei machen müssen. Nicht nur hier ist der libertäre Marxismus Dutschkes mit einer linkschristlichen Befreiungsemphase angereichert.
Das politische Aktionsdenken Dutschkes war von dem Appell Ernst Blochs geprägt, den wissenschaftlichen Rationalismus nicht zur politischen Kälte erstarren zu lassen. Doch dieser »Wärmestrom« führt nicht zum Gefühlskitsch oder zum »Geschwurbel«, wie sich bei der kurzen Diskussionssequenz mit dem Sozialphilosophen Herbert Marcuse zeigt: Dutschke entfaltet lang gezogen, aber sprachlich präzise die Fragestellung, ob nach wie vor der »proletarischen Revolution« und der arbeitenden Klasse die universelle Rolle bei der Befreiung zukomme. Es ist eine Freude zu hören, wie begeistert Marcuse Antwort gibt. Er sah die US-amerikanische Arbeiterklasse als reformistisch an, vermochte aber bei der europäischen noch Elemente einer politischen Erinnerung und Form erkennen, die menschliche Befreiung beinhalten könnte. Auch sprachlich trachtet er, Dutschke an Präzision und Klarheit noch zu überflügeln. Als hätte der 1933 aus Deutschland Emigrierte eine besondere Freude nicht nur am Inhalt, sondern auch am verschachtelten Satz, der dennoch klare, kritische Gedanken präsentiert.
Der Berliner Historiker Götz Aly hatte vor langer Zeit im polemischen Überschwang und aufgrund eigener biografischer Bedürfnisse Dutschke mit dem NS-Propagandaminister Josef Goebbels in ein Verhältnis der »Ähnlichkeit« gebracht. Weil beide ihr akademisches Publikum zur Bildung revolutionärer Bewusstseingruppen, zur Agitation in der Aktion aufgerufen hätten.
Bislang hat noch niemand diese Herausforderung angenommen und tatsächlich mal eine inhaltliche wie linguistische Redeanalyse der Ausführungen Dutschkes vorgenommen. Die Analyse der Stimme der Revolution - ihres Inhalts wie auch ihres Stils - dürfte interessante Ergebnisse nach sich ziehen. Eines aber ist jetzt schon klar: »Rudis Utopie«, so schreibt seine langjährige Ehepartnerin und Kampfgefährtin Gretchen Dutschke im Begleitbuch, »war die Hoffnung auf eine Zukunft ohne Hunger, Ausbeutung und Krieg«. Damit steht der Revolutionär Dutschke nicht nur mit Blick auf den Nazi Goebbels auf der anderen Seite der Barrikade, sondern auch, was Götz Aly, die aktuellen Grünen und so manchen geschichtsvergessenen Antifa-Aktivisten anbelangt.
Die Stimme der Revolution. Rudi Dutschke in zwölf Originalaufnahmen, Ousia Verlag, 5 Audio-CDs, eine MP3-Bonus-CD, 2 Booklets mit insgesamt 128 S., brosch., 35,90 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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