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Die Angst geht um
Die Zivilgesellschaft in Sachsen-Anhalt blickt mit Sorge auf die kommende Landtagswahl. Es droht ein weiterer Machtzuwachs der AfD.
Katrin Schmidt schaut sich um, wirkt ratlos. Junge Leute, wohin das Auge blickt. »Wo die Alten sind, weiß ich auch nicht«, sagt die rüstige Frau und überlegt: »Ob sie sich nicht trauen? Ob sie es noch nie gemacht haben?« Schmidt, die eigentlich anders heißt, ihren richtigen Namen aber lieber nicht in der Zeitung lesen will - »ich werde von Nazis bedroht« -, hat sich trotzdem unters jugendliche Volk gemischt. Mit weiteren älteren Damen steht sie an diesem milden Frühlingstag an einer Straßenecke auf der Ludwig-Wucherer-Straße in Halle. Nur wenige Meter entfernt von einem der Tatorte des Halle-Anschlags, dem »Kiez-Döner«, demonstrieren die »Omas gegen Rechts«, wie sie sich nennen, eine Woche vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt für eine demokratische und offene Gesellschaft, vor allem: gegen einen weiteren Machtzuwachs der ohnehin starken AfD. Neben vielen anderen Gruppen, Initiativen und Gewerkschaften sind sie dem Aufruf des »Unteilbar Sachsen-Anhalt«-Bündnisses gefolgt, insgesamt 2000 Menschen sind an diesem Samstag auf der Straße. »Wir wollen keine Rechten in der Regierung. Wir wollen eine solidarische, moderne Gesellschaft«, sagt Katrin Schmidt.
Der Ort ist nicht zufällig ausgewählt: Das Attentat, bei dem ein antisemitischer Attentäter am 9. Oktober 2019 zwei Menschen ermordete, nachdem er in die Synagoge einzudringen versucht hatte, war in der Geschichte des Landes eine Zäsur - und steht zugleich in einem engen Zusammenhang mit dem in Sachsen-Anhalt fest verankerten Rechtsextremismus, das haben der Prozess gegen den mittlerweile zu lebenslanger Haft verurteilten Attentäter sowie die politische und zivilgesellschaftliche Aufarbeitung gezeigt. Auch vor dem Döner-Imbiss selbst und an vielen weiteren Orten im Bereich der Ludwig-Wucherer-Straße haben sich Menschen versammelt, die sich dem Problem stellen wollen. Die Bündnispartner von »Unteilbar«, etwa die IG Metall und Amnesty International, haben entlang der etwa zwei Kilometer langen Strecke Infostände aufgebaut. Am Ende der Veranstaltung verbinden sich die Demonstranten mittels verschiedenfarbiger Bänder - denn nach wie vor müssen ja Abstände eingehalten werden - zu einer Menschenkette: dem »Band der Solidarität«.
Bricht die CDU ihren Grundsatz?
Was diese Menschen eint: eine klare Ablehnung der AfD, die seit fünf Jahren im Magdeburger Parlament sitzt und bei der Wahl am 6. Juni auf eine Verstetigung ihres starken Ergebnisses von 2016 - 24,3 Prozent - hoffen darf. Und, vielleicht, sogar auf mehr, das zeigen aktuelle Umfragen. In Sachsen-Anhalt geht die Angst um, die CDU könnte ihren Grundsatz brechen, eine Koalition mit der AfD auszuschließen. Bereits in der ablaufenden Legislaturperiode erweckte die CDU-Fraktion gleich mehrmals den Eindruck, als hätte sie mit der AfD nicht allzu große Probleme.
Beispielhaft dafür stand die erst im letzten Moment von Ministerpräsident Reiner Haseloff verhinderte gemeinsame Abstimmung gegen den Rundfunkstaatsvertrag. Nun warnt selbst CDU-Parteichef Armin Laschet, der Haseloff am Wochenende im Wahlkampf unterstützte und beispielsweise das Bauhaus Dessau und den Tagebau Profen besuchte: »Wer darüber nachdenkt, mit der AfD zu kooperieren, trifft auf den gebündelten Widerstand der ganzen CDU.« Auch die »Omas« machen sich Sorgen »Machterhalt ist alles«, sagt Katrin Schmidt. Nach großem Vertrauen klingt das nicht.
Woran liegt es, dass die AfD in Sachsen-Anhalt so hohe Ergebnisse erzielt? Schnell kommt Katrin Schmidt auf das Thema Ostdeutschland zu sprechen: »Der Osten fühlt sich ziemlich abgehängt«, sagt sie und merkt an, dass sie dieses Gefühl nicht so richtig nachvollziehen könne: »Die Menschen hatten 30 Jahre Zeit, sich aufzurappeln. Irgendwann muss auch mal gut sein.« Dass bestimmte Unterschiede zwischen Ost und West nach wie vor bestehen, erwähnt sie nicht - wobei ebenso unklar ist, ob diese wirtschaftlichen und sozialen Differenzen, beispielsweise niedrigere Löhne und eine fehlende Repräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen, tatsächlich ausschlaggebend sind für den AfD-Wahlerfolg in Sachsen-Anhalt. Andere Beobachter sprechen von Demokratie-Defiziten in Ostdeutschland aufgrund der Sozialisation älterer Jahrgänge in einem autoritären DDR-System, das nicht nur oppositionelle Meinungen bekämpfte, sondern auch Rechtsextremismus nicht ausreichend thematisierte - denn Nazis durfte es ja im real existierenden Sozialismus nicht geben. Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU), der jüngst auf Twitter eine an ihn gerichtete Hass-Mail veröffentlichte, in der ihm der Tod gewünscht wird, sagte in einem Podcast der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, einige Menschen in Ostdeutschland seien »auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen«.
Drei Dinge sind wahr. Erstens: Unter Arbeitern und Arbeitslosen wurde die AfD bei der Wahl 2016 stärkste Partei - jeweils mit weitem Abstand. Zweitens: Die AfD punktete vor allem im historisch von der Bergbau- und Chemieindustrie geprägten Süden Sachsen-Anhalts, weniger im agrarischen Norden. Drittens: Linke Parteien schaffen es derzeit nicht, Wähler zu gewinnen. Die Linke versuchte sich zuletzt mit Hilfe eines heiß diskutierten Wahlplakats - »Nehmt den Wessis das Kommando!« - an einem populistischen Gegenentwurf, doch für die Partei deutet sich nach den klaren Verlusten bei der letzten Wahl - von 23,7 auf 16,3 Prozent - ein weiteres Desaster an: In aktuellen Umfragen steht sie bei zehn bis 13 Prozent.
Auch die SPD ringt um den Osten, nicht zuletzt bei der Bundestagswahl am 26. September, und kam daher just an diesem Wochenende in Halle zu einem »Ostkonvent« zusammen. Am Rande des Treffens nimmt sich Parteichefin Saskia Esken Zeit, um an einer der Kundgebungen vor dem Landesmuseum teilzunehmen und anschließend über die Demo-Route zu schlendern. Natürlich habe man Fehler gemacht, räumt sie gegenüber »nd« ein: »Die etablierten Parteien, wenn man sie so nennen darf, haben zu lange zu wenig Transparenz, zu wenig Partizipation in ihrer Politik ermöglicht. Vor allem aber hat man es versäumt, die rechten Netzwerke einem Verfolgungs- und Überwachungsdruck zu unterwerfen.« In den sogenannten neuen Bundesländern, so Esken, herrsche »eine große Verunsicherung über unser demokratisches System. Das muss gelernt werden, das muss Teil der politischen Bildung sein.«
AfD heizt die Stimmung an
Währenddessen heizt die AfD die Stimmung immer weiter an. Mit Björn Höcke im Schlepptau touren die Rechtsradikalen durchs Land, machen Halt in verschiedenen Klein- und Mittelstädten. Zeitz, Burg, Haldensleben, Merseburg heißen die Stationen - überall kämpft die AfD gegen die CDU um die Direktmandate. Auch in Weißenfels sollte Höcke sprechen, sagte aber kurzfristig ab. Dabei hätte es den Protagonisten des offiziell aufgelösten »Flügels« gar nicht gebraucht - Sachsen-Anhalts Spitzenkandidat Oliver Kirchner ist in seiner Rhetorik mindestens genauso drastisch. »Die CDU braucht in diesem Land kein Mensch«, brüllt Kirchner am Freitagabend auf dem Marktplatz von Haldensleben ins Mikrofon - so laut, dass seinen 200 im Regen stehenden Anhängern fast die Ohren wegfliegen. Und weiter, an die 200 Gegendemonstranten auf dem benachbarten Postplatz gerichtet: »Die Antifa soll mal anfangen, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zu DDR-Zeiten gab es einen Paragrafen, der hat asoziales Verhalten unter Strafe gestellt. Ihr hättet euch im Sozialismus alle hinter Gittern wiedergefunden!«
Es ist auf den letzten Metern ein Wahlkampf jenseits der Grenzen des guten Geschmacks. Einer, der auch von Gewalt geprägt ist: Das Auto des Naumburger Linken und Flüchtlingshelfers Frank Mayntz ging in Flammen auf, in Magdeburg zerstörten Unbekannte die Scheiben im Bürgerbüro des Magdeburger Grünen-Abgeordneten Olaf Meister, in Seehausen in der Altmark wurde das Basislager von Waldbesetzern durch Explosion eines Böllers verwüstet. Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag: »Das alles passiert nicht einfach so. Es wird befeuert vom parlamentarischen Arm rechten Terrors im Wahlkampfmodus. Und es ist auch im Zusammenhang mit den Aufrufen und Kampagnen der sonstigen extremen Rechten zu sehen. Sie labeln es als Gegenwehr gegen Linke. Gemeint ist aber Angriff.«
Auch die »Omas gegen Rechts« blicken mit großer Sorge auf den Wahlsonntag - und wollen sich trotzdem nicht die Hoffnung nehmen lassen. Sie versuchen, sich an den kleinen Dingen festzuhalten, zum Beispiel an diesen Bändern, dieser Menschenkette. Katrin Schmidt: »Es ist toll, wie viele Menschen sich hier zusammenfinden. Ich habe heute von so vielen Leuten gehört, die sich bis jetzt nicht politisch engagiert haben und die jetzt dazukommen. Das macht mir Mut.« Um gleich darauf einzuschränken: »Es gibt Menschen, die wir einfach nicht erreichen.«
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