Hört auf mit den Kinderkategorien!

Meine Sicht: Rainer Rutz über die Rückkehr zum Regelbetrieb an Berlins Schulen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 2 Min.

Es wirkt etwas bizarr. Auf der einen Seite warnt Berlins Vizesenatschefin Ramona Pop (Grüne) auf der Senatspressekonferenz am Dienstag angesichts der beschlossenen Lockerungen im Alltag eindringlich vor der Bildung von Menschentrauben und appelliert: »Ich bitte darum, das tunlichst zu unterlassen.« Auf der anderen Seite feiern sich ihre Parteifreundinnen dafür, ordentlich viel Druck gemacht zu haben, damit ebenjene Traubenbildung ab kommender Woche in den Klassenräumen der Hauptstadt wieder möglich ist. Gut, an den Schulen gilt weiterhin Masken- und Testpflicht. Ginge es nach besonders hartgesottenen Lockerern wäre auch das perdu.

Tatsächlich waren es indes auch weniger die wahlkämpfenden Grünen (im Schulterschluss mit der angeschlagenen SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey), die den bisherigen Wechselunterricht zu Fall gebracht haben, sondern die entsprechenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts. Aber geschenkt. So oder so darf gefragt werden, welchen Nutzen die Schülerinnen und Schüler aus den verbleibenden elf Tagen im Vollbetrieb ziehen sollen. Für einen etwaigen Bildungserfolg hat das keine Bedeutung. Das Schuljahr ist de facto durch. Entlastung bringt der Schritt zuvorderst den sehr vielen Familien, die auf dem Zahnfleisch kriechen, keine Frage.

Das generelle Problem ist, dass bei Schülerinnen und Schülern - und so auch hier - zu häufig in Kinderkategorien gedacht wird. Sowohl bei den Grünen als auch bei Ex-Familienministerin Giffey, die zuletzt bevorzugt vor einem putzigen roten Gartenhäuschen mit putziger roter Gießkanne für sich warb. Aus dem Blick verloren werden dabei die Schülerinnen und Schüler, die aus dem Kinderalter raus sind. Die keine Rundumbetreuung brauchen. Die auch nicht mehr mit einem schulischen Zoobesuch bespaßt werden wollen. Die - teilweise wenigstens - auch mit dem Homeschooling wesentlich besser zurechtkommen als die Jüngeren.

Und doch sollen jetzt auch die Jugendlichen sechs Stunden und mehr am Tag zurück in die in der Regel zu engen Klassenräume. Wenn das also eh schon alles wumpe ist, dann bitte aber sich hinterher nicht schon wieder beschweren über Teenager, die in den Sommerferien nachts in den Parks die Sau rauslassen.

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