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Atomausstieg in Königstein
Die Wismut beendet in Sachsen nach 75 Jahren die kommerzielle Verwertung von Uran
Zum großen Ereignis fährt keine Staatskarosse vor. Statt dessen rangiert ein Sattelzug mit grünem Tank vorsichtig unter Silo 216.3 auf dem Betriebsgelände der Wismut GmbH im sächsischen Königstein. Er befördert 20 Tonnen flüssiges Urangemisch, das an eine US-Firma verkauft und in deren Auftrag in Südmähren weiterverarbeitet wird. In den vergangenen 25 Jahren sind jährlich fünf bis zehn solcher Lastwagen vom Hof gerollt, dieser ist der allerletzte. Michael Paul, technischer Geschäftsführer der Wismut, wählt große Worte: »Das ist aus unserer Sicht ein historischer Akt.«
Er ist es, weil damit die kommerzielle Verwertung des Kernbrennstoffs endet und die Bundesrepublik »aus der Liste der Uran produzierenden Staaten ausscheidet«, sagt Paul. Ein paar aufwendige Formalien sind noch zu erledigen. Inspekteure der Überwachungsbehörde Euratom werden kontrollieren, dass wirklich kein Uran mehr in Umlauf gebracht wird. Dann jedoch endet nach einem Dreivierteljahrhundert eine Ära.
1946 begann ein Unternehmen, das später zur sowjetischen und ab 1954 zur sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut wurde, mit der Förderung von Uran zunächst im westlichen Erzgebirge. Das strahlende Metall wurde für das Atomwaffenprogramm der Sowjetunion benötigt. Ab 1961 wurden auch Lagerstätten am Rande des Elbtals erkundet; 1967 wurde in Königstein mit der Förderung von Uranerz begonnen. Insgesamt wurden bis 1990 aus der DDR exakt 216 350 Tonnen Uran in die Sowjetunion geliefert. Das Land war damit der viertgrößte Uranproduzent der Welt hinter der UdSSR, den USA und Kanada.
Mit dem Ende der DDR endete die Förderung. Allerdings gab es auf den Flächen der Wismut - insgesamt rund 3700 Hektar - noch große Mengen des radioaktiven Metalls: auf Halden, in Absetzbecken oder, wie im Fall Königstein, gelöst in einer Lauge unter Tage. Wegen des niedrigen Urananteils im Gestein hatte man dort in den 1980er Jahren begonnen, das Metall mit Hilfe von Schwefelsäure aus dem Erz zu lösen. Für die 1991 zu einer bundeseigenen GmbH umgewandelte und mit der Sanierung der Hinterlassenschaften ihres Vorgängers beauftragte »neue« Wismut sei Königstein wegen der ätzenden Brühe in den Schächten ein »sehr besonderer« Standort gewesen, sagt Paul.
Das will etwas heißen. Die Wismut hatte nach knapp 45 Jahren Tätigkeit enorme Umweltschäden hinterlassen. In vier Absetzanlagen in Westsachsen und Ostthüringen lagerten beispielsweise auf einer Fläche von 700 Hektar Millionen Kubikmeter feinkörniger Schlämme. Die Absetzbecken galt es so zu sichern, dass Gefahren für die Umwelt ausgeschlossen wurden, etwa das Einsickern von radioaktiver Flüssigkeit in das Grundwasser. Gruben mussten verfüllt, Halden abgetragen werden. Teils führten die Arbeiten zu spektakulären Ergebnissen: Schlema im Erzgebirge, dessen Ortskern einst unter einer Abraumhalde verschwand, ist heute Kurbad; in Ronneburg fand 2007 auf ehemaligem Bergbaugelände eine Bundesgartenschau statt.
Auch in Königstein wurde saniert - und dabei weiterhin Uran auf den Weltmarkt gebracht. Das Ökoinstitut Freiburg prüfte Ende der 1990er Jahre, welche Optionen es für den Standort gibt, sagt Paul. Die Flüssigkeit im Bergwerk hätte zu Schlamm verdickt und auf eine Deponie gekippt - oder zu einem Produkt verarbeitet werden können, das kommerziell verwertbar ist. Letzteres hielt man für »sinnvoll, solange es wirtschaftlich ist«, sagt Paul. Das war immerhin fast ein Vierteljahrhundert lang der Fall. Aus den Grubenabwässern wurde eine gelbliche Suspension aus Urandioxid hergestellt, die 20 Prozent Uran enthält. Die US-Firma Nuclear Fuels Corporation kaufte diese und ließ sie so weiterverarbeiten, dass am Ende Brennstäbe für Kernkraftwerke entstanden. Die Wismut nahm auf diese Weise über die Jahre 72 Millionen Euro ein - die freilich nur gut ein Prozent der bisher für die Sanierungsarbeiten investierten 6,8 Milliarden Euro ausmachen.
Jetzt versiegt diese Einnahmequelle. Die Konzentration von Uran in den Grubenwässern war bereits seit 2010 spürbar gesunken; die Tanklastwagen nach Südmähren fuhren immer seltener. Jetzt ist endgültig Schluss.
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Den Schlüssel herumdrehen können sie in Königstein dennoch nicht. Noch seien in den Wässern in der 300 Meter tiefen Grube »einige hundert Tonnen Uran« gelöst. Zudem enthalten sie auch viele andere Schwermetalle und giftige Stoffe. »Mindestens zwei Jahrzehnte« müssten sie behandelt werden. Was künftig dabei ausgefiltert und ausgefällt wird, landet auf einer Deponie. Immerhin ist die Wismut zuversichtlich, die Anlagen Ende der 2030er Jahre abstellen zu können. An dem Standort am Rande von Elbtal und Sächsischer Schweiz gebe es die »einmalige Chance, in historischer Zeit auf die aktive Behandlung der Abwässer verzichten zu können«, sagt Paul und erinnert daran, dass etwa die Hinterlassenschaften des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet als »Ewigkeitslasten« gelten. Auch die meisten Anlagen und Gebäude über Tage werden in Königstein irgendwann abgerissen; über eine Nachnutzung wird bereits mit der Kommune geredet.
Dass der Uranverkauf nun endet, sorgt bei der Wismut nicht für Betrübnis. Der Markt liege ohnehin am Boden, sagt Paul. Zuletzt seien weltweit 50 000 Tonnen gefördert worden, doch wegen der Abrüstung von atomaren Waffen gebe es ein Überangebot; einige Förderunternehmen hätten ihre Gruben vorübergehend stillgelegt. In Königstein und damit der Bundesrepublik insgesamt ist endgültig Schluss. Techniker in weißen Overalls halten noch einmal Messgeräte an den grünen Tanklastzug, dann rollt er vom Werksgelände. Der »historische Akt« ist vorbei.
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